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Gesellschaftspolitik ohne jeden Skrupel

§ 219a StGB: Wir sollen für dumm verkauft werden. Oder: Wie Ampelkoalition den Bürgern ein X für U vorzumachen versucht.
Proteste für die Abschaffung von §219a
Foto: Boris Roessler (dpa) | Was der keineswegs unsympathische promovierte Jurist Buschmann zum 219a sagte, stellte für jeden, der gewohnt ist, mehr als nur eine Gehirnzelle in Betrieb zu nehmen, eine intellektuelle Zumutung dar.

Zweimal noch hebt sich der Vorhang, ehe er endgültig fällt. Wenn diese Ausgabe erscheint, steht sogar nur noch eine Aufführung auf dem Spielplan. Jener Tragikkomödie eben, die seit dem 24. November 2017 in wechselnder Besetzung und auf unterschiedlichen Bühnen der Republik aufgeführt wird. An jenem Tag verurteilte das Amtsgericht Gießen die Gießener Abtreibungsärztin Kristina Hänelerstmals wegen Verstoßes gegen das Werbeverbot für vorgeburtliche Kindstötungen (§ 219a StGB) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Mit der Öffentlichen Anhörung im federführenden Rechtsausschuss am gestrigen Mittwoch, bei der die inzwischen durch alle Instanzen hindurch rechtskräftig verurteilte Straftäterin allen Ernstes als „Sachverständige“ geladen war, wurde der vorletzte Akt gegeben. Bedauerlicherweise lief dieser bei Redaktionsschluss noch, so dass wir diesen Teil des Schauspiels nur nachliefern können.

Historische Wahrheit

Das retardierende Moment steuerte jedoch bereits am vergangenen Freitag niemand Geringeres als der Deutsche Bundestag selbst bei, als er im Plenum erstmals jenen Gesetzesentwurf beriet, mit dem die Ampelkoalitionäre das Werbeverbot für Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch endgültig verbannen wollen. 39 Minuten sollte die Aussprache zu dem von Kritikern auch als „Lex Hänel“ verspotteten Gesetzesentwurf der Bundesregierung dauern. So war es zwischen den Fraktionen vereinbart worden. Etliche Zwischenfragen und Kurzinterventionen, mit denen auch jene auf die Bühne strebten, denen die jeweilige Fraktionsregie diesmal keine tragende Rolle zugedacht hatte, sorgten dafür, dass die Debatte am Ende deutlich länger dauerte.

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Den Auftakt übernahm der Bundesminister für Justiz, Marco Buschmann (FDP), persönlich. Was der keineswegs unsympathische promovierte Jurist an diesem Tag ablieferte, stellte für jeden, der gewohnt ist, mehr als nur eine Gehirnzelle in Betrieb zu nehmen, eine intellektuelle Zumutung dar. Es sei, so Buschmann, „eine juristische, eine politische und eine historische Wahrheit, dass der § 218 des Strafgesetzbuches und der § 219a nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben“. Er „bitte, diese Wahrheit zu akzeptieren“. Schon klar. Selbstverständlich hat die gesetzliche Regelung einer Straftat „nichts, aber auch gar nichts“ mit der Werbung für eben jene zu tun. Und weil das so ist, ist es bestimmt auch bloß ein dummer Zufall ist, dass die Strafrechtssystematiker deren Regelung im Strafgesetzbuch in unmittelbarer Nähe zueinander angeordnet haben.

Buschmann deutet die Begriffe um

Doch damit nicht genug: Der Bundesjustizminister bat seine Zuhörer auch, sich einmal „eine junge Frau“ vorzustellen, „die schwanger ist und die in Erwägung zieht, diese Schwangerschaft zu unterbrechen“. „Zu unterbrechen“? Und auch noch „diese Schwangerschaft“? Hallo, geht? noch? Dazu muss man wissen: der 53-Jährige stammt nicht etwa aus Gera oder Görlitz, wo die Rede von „Schwangerschaftsunterbrechungen“ lange Zeit so geläufig war und in etwa denselben Zweck verfolgte, wie die von „Spezialoperationen“ im heutigen Russland, sondern aus Gelsenkirchen.

Aber es kommt noch besser: „Im Internet erlauben wir“, so Buschmann weiter, „jedem Verschwörungstheoretiker, jeder Fake-News-Schleuder jeden Unsinn über Schwangerschaftsabbrüche zu verbreiten. Aber qualifizierten Ärztinnen und Ärzten als Hütern der Wissenschaft, der Fakten, der Sachlichkeit und der Aufklärung verbieten wir, sachliche Informationen bereitzustellen. Das ist doch absurd.“

Schwangerschaftsgewebe statt Kind

Wäre es, wenn so wäre. Nur, so ist es eben nicht. Was ein Bundesjustizminister wissen könnte und sogar wissen müsste. Denn: Jede Ärztin und jeder Arzt darf sich auch jetzt schon im Internet über sämtliche Aspekte vorgeburtlicher Kindstötung auslassen. Er oder sie darf eben nur selbst nicht Anbieter einer solchen sein. Dann, und nur dann, sind ihm Grenzen gesetzt, die er bislang beachten muss. Seit der Reform des § 219a StGB in der letzten Legislaturperiode darf beispielsweise auch eine Abtreibungsärztin wie Kristina Hänel auf ihrer Praxishomepage darüber „informieren“, dass sie Abtreibungen durchführt.

Was sie weiterhin nicht darf, ist – wie in der Vergangenheit geschehen – dazu aufrufen, Bargeld oder eine Bescheinigung über die Kostenübernahme der Krankenkasse mitzubringen sowie die Methoden anzupreisen, mittels derer sie die ungeborenen Kinder im Mutterleib tötet. Im Arzt-Patienten-Gespräch ist ihr auch das erlaubt. Dann darf sie sogar die „Fake-Schleuder“ geben und statt vom Kind, das sie tötet, vom „Schwangerschaftsgewebe“ faseln, das sie absaugt.

Es gibt kein Halten mehr

Warum ist das so? Weil der Gesetzgeber sich einerseits nicht dazu aussah, das Recht auf Leben des Kindes notfalls auch gegen seine Mutter zu schützen, andererseits aber auch nicht wollte, dass eine vorgeburtliche Kindstötung, denn das ist eine Abtreibung, wie eine x-beliebige medizinische Heilbehandlung betrachtet wird.

Im Deutschen Bundestag ist das schon länger nicht mehr mehrheitsfähig. In der vergangenen Legislaturperiode musste die Union der SPD mit dem Ende der Koalition drohen, um zu verhindern, dass sie mit der Opposition stimmte und den 219a StGB zu Fall brachte. Nun aber gibt es kein Halten mehr. Das hat die Debatte am Freitag klar und deutlich gezeigt.

Applaus für ganz normalen medizinischen Eingriff

Als der ehemalige Staatsanwalt und rechtspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Thomas Seitz, in einer Rede, die denen der Parlamentarischen Geschäftsführerin der CDU/CSU-Bundesfraktion, Nina Warken (CDU), und der CSU-Abgeordneten Dorothee Bär in nichts nachstand, feststellte: „Eine Abtreibung ist aber kein normaler medizinischer Eingriff“ und die Abgeordnete der Linkspartei, Heidi Reichinnek, dazwischenrief: „Doch!“, regte sich in den Reihen der Ampel kein Widerspruch. Und als unmittelbar danach die frisch gekürte Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte: „So wie sich Frauen auf medizinische Leistungen verlassen dürfen, wenn sie sich für ein Kind entscheiden, sollen sie künftig auf medizinische Leistungen verlassen können, wenn sie sich gegen ein Kind entscheiden“, gab es langanhaltenden Beifall von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Linken.

Als wäre das noch nicht genug, strafte Paus ihren Kabinettskollegen Marco Buschmann auch noch gleich Lügen. Hatte Buschmann eingangs noch versichert, die Streichung des § 219a StGB habe „keine Auswirkungen auf das Lebensschutzkonzept von § 218 des Strafgesetzbuches“, so erklärte Paus nun: „Dieses Gesetz und die Debatte heute haben eine wichtige Signalwirkung. Diese Bundesregierung steht an der Seite der Frauen und zu ihrem Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Und deshalb wollen wir auch einen zweiten Schritt gehen und die Regelung für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des StGB treffen. Um diese hochkomplexen, juristischen Fragen zu klären, setzen wir eine Kommission zur ,Reproduktiven Selbstbestimmung‘ ein.“

Genießen, dass Ungeborene sterben

Obwohl sich die Bundesminister Paus und Buschmann reichlich in Zeug legten, für den Tiefpunkt der Debatte vermochten sie dennoch nicht zu sorgen. Das blieb einzig und allein der SPD-Abgeordneten Carmen Wegge vorbehalten. Die 32-jährige Juristin begann ihre Rede mit den Worten: „Gerade bin ich versucht, kurz innezuhalten, aufzuschauen und die Situation zu genießen.“ Nicht einmal der Zwischenruf der CDU-Abgeordneten Julia Klöckner, die fragte: „Genießen? Sie genießen, dass Ungeborene sterben?“, vermochte die SPD-Abgeordnete bei dem sichtlichen Auskosten dieses Moments zu stören.

Und so fuhr Wegge, die über die bayerische Landesliste in den Bundestag eingezogen war, ungerührt fort: „Dies ist der Moment, für den so viele Frauen jahrzehntelang auf die Straße gegangenen sind. Dies ist der Moment, für den so viele Ärztinnen und Ärzte gekämpft haben. Dies ist der Moment, in dem wir endlich in das parlamentarische Verfahren zur Streichung von § 219a aus dem Strafgesetzbuch eintreten. Dies ist der Moment, der uns Frauen ein Stück weit die Hoheit über unsere Körper zurückgeben wird. Es ist ein schöner Moment.“

Die Skrupellosigkeit, gewählter Volksvertreter 

Ganz abgesehen davon, dass Frauen schon deshalb nicht jahrzehntelang für die Streichung des Werbeverbots für Abtreibungen auf die Straße gegangen sind, weil bis zur Verurteilung von Kristina Hänel kaum jemand von der Existenz dieser Norm wusste, so gibt auch deren Streichung niemandem „die Hoheit“ über seinen Körper zurück. Auch nicht „ein Stück weit“. Anders wird jedoch ein Schuh daraus. Lebensrechtler hatten von Anfang darauf hingewiesen, dass der Kampf um die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen in Wahrheit auf die Abschaffung des 218 StGB ziele. Ihr Argument: Etwas, für das offen geworben werden dürfe, könne unmöglich dauerhaft eine Straftat darstellen.

Die Redner der Ampelkoalition haben viel dafür getan, dieser Befürchtung neue Nahrung zuzuführen. Noch erschreckender als das ist eigentlich nur noch die Skrupellosigkeit, mit der gewählte Volksvertreter dabei versuchten, den Souverän für dumm zu verkaufen und hinter die Fichte zu führen. Man darf schon jetzt gespannt sein, was die Abgeordneten des Deutschen Bundestags dem Volk nach dem Finale der Zweiten und Dritten Lesung wohl noch alles zumuten. Knallende Sektkorken und die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Kristina Hänel?
Eines ist jedoch sicher: „Fortschritt“, der so oder ähnlich aussähe, nährt bei mündigen Bürgern nur eines: Nämlich Politik- und Politikerverdrossenheit.

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