Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Kommentar um "5 vor 12"

Der ganz große Coup der Ampel

Wie die Regierung die Gunst der Stunde nutzt, um entgegen aller Bedenken das fragwürdige Selbstbestimmungsgesetz durchzudrücken.
Abstimmung zum umstrittenen Selbstbestimmungsgesetz am Freitag
Foto: IMAGO/Christoph Hardt (www.imago-images.de) | Nur eine Gruppe geht diese Woche offensichtlich leer aus, nämlich die, die sich nicht lautstark bei X (ehem. Twitter) beschweren kann: Kinder.

Wenn jeder einen ordentlichen Bissen abbekommt, öffnet niemand mehr den Mund. Das ist die neue Maxime der Ampelkoalition in der Familien- und Gesellschaftspolitik. Diese Woche nutzte sie ein doppeltes Momentum, um die Abstimmung zum umstrittenen Selbstbestimmungsgesetz ganz unerwartet auf den Kalender des Bundestags für Freitag zu setzen.

Lesen Sie auch:

Es passte einfach zu gut: Am Montagabend stach der „SPIEGEL“ durch, dass die Reproduktionskommission der Bundesregierung Mitte April die Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch empfehlen wird. Die Entkriminalisierung der Abtreibung ist der heilige Gral des „Emma“-Feminismus. Also genau jener Feministinnen, die sich mit ihrer Ablehnung einer pauschalen „Transfrauen sind Frauen“-Kampfrhetorik den wenig schmeichelhaften Spitznamen TERF („trans-exclusional radical feminists) eingehandelt haben. Sie gehören zu den Hauptgegnerinnen des Selbstbestimmungsgesetzes, um das es in den letzten Monaten reichlich still geworden war. So still, dass mancher bereits auf sein vorzeitiges Ableben zu hoffen wagte. Zu gewichtig war der Widerstand gegen ein Vorhaben, das aus ganz verschiedenen Richtungen als kinder-, jugend-, familien- und frauengefährdend eingestuft wird.

Die Ampelkoalition will mit dem Kopf durch die Wand

Die Ampelkoalition will übrigens genau dort mit dem Kopf durch die Wand, wo andere Länder sich mittlerweile den Fakten beugen. In den Niederlanden wird es wohl kein Selbstbestimmungsgesetz geben, nachdem eine Studie von Februar zeigte, dass eine Verunsicherung der Geschlechtsidentität bei Pubertierenden häufig ist und sich der junge Mensch in den meisten Fällen im Laufe des Erwachsenwerdens mit seinem Geburtsgeschlecht aussöhnt.

Das Kalkül der deutschen Regierung sieht jetzt so aus: Die Transaktivisten bekommen genau in dem Moment ihr Selbstbestimmungsgesetz, in dem die Feministen mit der Aussicht auf die Streichung von Paragraph 218 – so die Hoffnung – halbwegs ruhiggestellt sind. Ob die Rechnung aufgeht, darf man bezweifeln – blind sind die Gegner des Selbstbestimmungsgesetzes nämlich nicht.

Wie unfassbar praktisch, dass auch für die, die einfach nicht vom Glauben an die wirklichkeitsstiftende Macht der Biologie abzubringen sind, diese Woche ein kleiner Trost dabei ist: Am Dienstag stärkte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil die Rechte leiblicher Väter. Geklagt hatte ein Vater, der sich nach der Geburt seines (unehelichen) Kindes vergeblich um die rechtliche Anerkennung der Vaterschaft bemüht hatte. Der neue Partner der Mutter war ihm zuvorgekommen. Die aktuelle Vaterschaftsanfechtungsregelung sei mit dem Elterngrundrecht nicht vereinbar, urteilten die Richter in Karlsruhe und forderten den Gesetzgeber dazu auf, bis spätestens Juni 2025 eine Neuregelung des Abstammungsgesetzes vorzulegen, das es leiblichen Vätern erleichtert, die rechtliche Vaterschaft zu erlangen. 

Das Vaterschafts-Urteil ist ein Kuckucksei

Nur: Das Urteil ist ein Kuckucksei. Das Verfassungsgericht rückt nämlich von seiner bisherigen Auffassung ab, dass im Sinne des Kindeswohls ein Kind nur zwei Elternteile haben kann und erklärt, dass der Gesetzgeber auch „die rechtliche Elternschaft des leiblichen Vaters neben der Mutter und dem rechtlichen Vater vorsehen“ könne. Bundesjustizminister Buschmann hat bisher geplant, eine Art Mehrelternschaft nur über die Reform des „kleinen Sorgerechts“ einzuführen. Nun eröffnet Karlsruhe die Möglichkeit einer abstammungsrechtlichen Mehrelternschaft. Ob diese perspektivisch auch den Weg für Familienkonstrukte, die auf einer Leihmutterschaft beruhen, erleichtern könnte? 

Nur eine Gruppe geht diese Woche offensichtlich leer aus, nämlich die, die sich nicht lautstark bei X (ehem. Twitter) beschweren kann: Kinder. Dazu gehören die Kinder, die nie geboren werden, jene, die an den lebenslangen Folgen einer im Nachhinein bereuten Transition leiden (werden) und die, die sich vielleicht bald mit drei oder mehr Elternteilen herumschlagen müssen. Die Schwächsten schützen? Wozu denn – die wählen schließlich nicht. Ihre Eltern aber schon, und die sollten langsam aufwachen.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Franziska Harter Bundesverfassungsgericht Deutscher Bundestag Erwachsenwerden Marco Buschmann

Weitere Artikel

Auch grüne Minister müssen die Kritik, den Spott und Humor ertragen. Bitter ist, dass dieses Recht immer öfter erst vor Gericht erstritten werden muss.
26.04.2024, 05 Uhr
Birgit Kelle

Kirche

Yannick Schmitz, Referent beim Berliner Vorortspräsidium des Cartellverbandes, sieht gute Gründe dafür, dass der Verband künftig wahrnehmbarer auftritt.
27.04.2024, 13 Uhr
Regina Einig
Jesus macht sich eins mit dem Volk der Sünder - auch im Gebet, meint Papst Franziskus in einer Katechese über das Beten.
28.04.2024, 17 Uhr
Papst Franziskus