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Bundestag debattiert Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe

Drei Regelungsmodelle vorgestellt – Experten fordern vor einer Entscheidung des Parlaments zunächst die Suizidprävention gesetzlich zu verankern.
Bundespressekonferenz in Berlin
Foto: Chris Emil Janssen via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Bundespressekonferenz in Berlin - Gesetzentwurf Suizidbeihilfe - Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Bündnis 90/Die Grünen, Prof. Dr.

Der Deutsche Bundestag hat gestern drei interfraktionell erarbeitete Gruppenanträge zur Neuregelung der Suizidbeihilfe in Deutschland in Erster Lesung debattiert. In der sehr ernsthaft geführten Debatte, in der 13 Redner für die jeweiligen Gesetzentwürfe warben, waren weder Zwischenrufe noch Fragen erlaubt.

Das restriktivste wurde von einer Gruppe um die Abgeordneten Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Stephan Pilsinger (CSU), Benjamin Strasser (FDP) und Kathrin Vogler (Die Linke) erarbeitet. Er trägt den Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“ (Bundestagsdrucksache 20/904) und will den „assistierten Suizid ermöglichen, ohne ihn zu fördern“.

84 Parlamentarier unterstützen restriktivste Vorlage

Die Vorlage, die bislang von 84 Parlamentariern unterstützt wird, stellt dazu die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ grundsätzlich unter Strafe. Ihm zufolge kann, „wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“ mit „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ werden. „Nicht rechtswidrig“ ist hingegen die Förderung, wenn die suizidwillige Person „volljährig und einsichtsfähig“ ist und sie sich mindestens zweimal von einer Fachärztin oder einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, die selbst nicht an der Selbsttötung beteiligt sind, hat untersuchen lassen und zudem mindestens ein Beratungsgespräch absolviert hat.

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Dagegen will der Gesetzentwurf einer Gruppe um die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP), Petra Sitte (Die Linke) und Helge Lindh (Bundestagsdrucksache 20/2332) will das vom Bundesverfassungsgericht behauptete „Recht auf einen selbstbestimmten Tod“ legislativ absichern und den Zugang von tödlichen Präparaten nach umfassender Beratung regeln. Er wird bisher von 68 Abgeordneten unterstützt.

Der Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksache 20/2293) einer dritten Gruppe um die Abgeordneten Renate Künast, Katja Keul (beide Bündnis 90/Die Grünen) und Edgar Franke (SPD) sieht das nicht viel anders, will aber eine Behörde zur Abgabe der tödlichen Präparate verpflichten.

Suizidprävention muss dringend gestärkt werden

Zuvor hatten der „Deutsche Hospiz- und Palliativverband“ (DHPV) und die „Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention“ (DGS) gefordert, Suizidprävention gesetzlich zu verankern, bevor der Bundestag eine gesetzliche Neuregelung der Suizidbeihilfe beschlösse. „Bevor wir eine staatlich geförderte Suizidbeihilfe oder bundesweite Beratungsstellen zur Umsetzung der Suizidbeihilfe in Betracht ziehen, geschweige denn gesetzlich verankern, muss dringend die Suizidprävention gestärkt werden“, erklärte am Donnerstag der Vorsitzende des DHPV, Professor Winfried Hardinghaus, mit Blick auf die Erste Lesung der Gruppenanträge im Parlament.

Nötig geworden ist das, weil der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am Aschermittwoch 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid, das der Bundestag im November 2015 mit großer Mehrheit beschlossen hatte, für verfassungswidrig und den § 217 StGB für „nichtig“ erklärte.

„Die Debatte um ein entsprechendes Gesetz muss zeitnah im Bundestag geführt und ein Suizidpräventionsgesetz noch vor einer gesetzlichen Regelung zur Beihilfe zum Suizid verabschiedet werden“, erklärte auch die Vorsitzende der DGS und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. Ute Lewitzka.

2020 mehr als 25 Suizide pro Tag in Deutschland

2020 hätten sich Deutschland 9.206 Menschen das Leben genommen. Das seien mehr als 25 pro Tag. Mehr als 100.000 Menschen hätten 2020 einen Suizidversuch unternommen. Der stellvertretende DGS-Vorsitzende, der Diplomgerontologe Dr. Uwe Sperling, ergänzte, Suizide und Suizidversuche erfolgten meist in großer seelischer Not. „Unterstützung in dieser seelischen Not hilft. Suizidprävention ist möglich. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe benötigt ein verlässliches Fundament. Deshalb fordern wir den Gesetzgeber auf, Suizidprävention In Deutschland jetzt gesetzlich zu verankern.“

Gestärkt werden müsse auch die Hospizarbeit und die palliative Versorgung von Menschen. „Auch wenn die Entwicklung der Hospizarbeit und der Palliativversorgung durch das Hospiz- und Palliativgesetz von 2015 und die entsprechenden gesetzlichen Regelungen bereits zu einer Verbesserung in der hospizlichen Begleitung und palliativen Versorgung der Betroffenen beigetragen haben, bleibt gerade auch vor dem Hintergrund der drohenden Normalisierung der Suizidbeihilfe viel zu tun“, erklärte der Geschäftsführer des DHPV, Benno Bolze.  DT/reh

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