Suizidbeihilfe

Eine weitere Quadratur des Kreises

Mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts den Gesetzgeber vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Bei der Orientierungsdebatte im Parlament zeichneten sich vergangenen Mittwoch drei mögliche Lösungsmodelle ab. Klar ist schon jetzt: Die Quadratur des Kreises wird keinem gelingen.
Collage Bundestag Blutbad
Foto: Adobe Stock | Will der Bundestag nicht hinnehmen, dass Sterbehilfeorganisationen weiterhin schrankenlos ihr Unwesen treiben, muss er versuchen, das eigentlich Unregelbare doch noch irgendwie zu regeln.

In einer weitgehend sachlich und ernsthaft geführten Debatte hat der Deutsche Bundestag am vergangenen Mittwoch ein weiteres Mal über Möglichkeiten einer rechtlichen Neuregelung der Beihilfe zum Suizid diskutiert. In der vergangenen Legislaturperiode hatten die Parlamentarier dazu schon einmal einen Anlauf unternommen. Weil der jedoch nicht rechtzeitig vor der Bundestagswahl zum Abschluss gebracht werden konnte, verfielen alle der damals über die Fraktionsgrenzen hinweg erarbeiteten Gruppenanträge der sogenannten Diskontinuität. Nun hat das Parlament das Gesetzgebungsverfahren erneut gestartet. In der 90-minütigen Orientierungsdebatte warben unterschiedliche Gruppen um Unterstützung für ihre jeweiligen Regelungsmodelle.

Nötig geworden war die rechtliche Neuregelung der Beihilfe zum Suizid, weil der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 das vom Bundestag im Herbst 2015 mit großer Mehrheit verabschiedete „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ für verfassungswidrig und den § 217 StGB für „nichtig“ erklärt hatte. Unter dem Vorsitz des damaligen Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle erfand der Zweite Senat dabei ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“, das auch das Recht einschließt, dabei „Angebote Dritter“ in Anspruch zu nehmen. Damit nicht genug: Indem die Richter das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ auch noch an das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde banden, erschufen sie gewissermaßen ein neues „Super-Grundrecht“.

Das Leben als Höchstwert

Seitdem steht der Bundestag vor der Schwierigkeit, einerseits sicherstellen zu sollen, dass die Bürgerinnen und Bürger von diesem neuen Grundrecht Gebrauch machen können. Andererseits sollen die Abgeordneten zugleich jedoch dafür sorgen, dass der Staat auch weiterhin jenen Selbsttötungen entgegenwirkt, „die nicht von freier Selbstbestimmung und Eigenverantwortung getragen sind“. Dies gebiete, so die Richter, „die Bedeutung des Lebens als ein Höchstwert“ der Verfassung. Ähnlich wie schon bei der gesetzlichen Regelung der Abtreibung steht der Gesetzgeber deshalb vor keiner geringeren Aufgabe als der, eine erneute Quadratur des Kreises bewerkstelligen zu sollen.

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In der Debatte ließen denn auch mehrere Abgeordnete durchscheinen, welche Zumutung sie darin erblicken. So erklärte etwa der SPD-Abgeordnete Helge Lindh gleich zu Beginn: „Die autonom gebildete Entscheidung eines Menschen, sich das Leben zu nehmen, ist eine Zumutung für uns alle und eine Zumutung für die Gesellschaft.“ Gleiches gelte auch für „die Entscheidung des Verfassungsgerichts, diesem autonom gebildeten Willen in ganz besonderer Weise gerecht zu werden und auch das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung als verfassungswidrig zu erklären“. Das könne man „nicht kleinreden“. Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch sprach gar von einer „schiefen Bahn“, auf die „das Urteil des Verfassungsgerichts“ das Parlament führe. Und auch der CDU-Gesundheitspolitiker Hubert Hüppe wollte aus seinem Herzen keine Mördergrube machen. Es sei ihm „noch nie so schwergefallen“, eine „Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu akzeptieren“ wie diesmal, bekannte Hüppe. Denn sie zwinge ihn, „an einer Regelung mitzuwirken“, die er „aus Gewissensgründen grundsätzlich ablehnen“ müsse.

Will der Bundestag nicht hinnehmen, dass Sterbehilfeorganisationen weiterhin schrankenlos ihr Unwesen treiben, muss er versuchen, das eigentlich Unregelbare doch noch irgendwie zu regeln. Anfang des Jahres prahlten die in Deutschland tätigen Sterbehilfevereine bei einer makabren Leistungsschau im Haus der Bundespressekonferenz damit, im vergangenen Jahr 346 Selbsttötungen ermöglicht zu haben.

Drei Regelungskonzepte

Im Parlament zeichnen sich bislang drei unterschiedliche Regelungskonzepte ab. Das restriktivste wurde bereits fertig ausgearbeitet und von einer Gruppe um die Abgeordneten Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Stephan Pilsinger (CSU), Benjamin Strasser (FDP) und Kathrin Vogler (Die Linke) in den Bundestag eingebracht. Der Gesetzesentwurf trägt den Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“ (Bundestagsdrucksache 20/904) und will, wie es der SPD-Abgeordnete Castellucci formulierte, „den assistierten Suizid ermöglichen, ohne ihn zu fördern“.

Die Vorlage, die bislang von 84 Parlamentariern unterstützt wird, stellt die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ grundsätzlich unter Strafe. Demnach kann, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“ mit „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ werden. „Nicht rechtswidrig“ ist die Förderung hingegen, wenn die suizidwillige Person „volljährig und einsichtsfähig“ ist und sie sich mindestens zweimal von einer Fachärztin oder einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, die selbst nicht an der Selbsttötung beteiligt sind, hat untersuchen lassen und zudem mindestens ein Beratungsgespräch absolviert hat.

Komplexe Fragen suchen Antworten

Der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling betonte, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werfe komplexe Fragen auf, die es zu beantworten gelte. „Wann ist der Wunsch, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, Ausdruck persönlicher Autonomie? Wie soll man herausfinden, ob die Entscheidung eines Sterbewilligen vielleicht gar nicht selbstgesetzten Gründen entspringt, sondern er sich sozialem Druck ausgesetzt sieht oder an einer Krankheit leidet, die es ihm unmöglich macht, seinen Wunsch zu sterben, selbstbestimmt zu reflektieren?“ Beide Situationen „voneinander abzugrenzen“ sei „keineswegs trivial“. Denn die „Autonomie des Einzelnen und sein daraus resultierendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ müssten „ebenso geschützt werden wie das Leben“. Nur, wenn „sich der Staat schützend vor das Leben des Einzelnen stellt“, könne „auch die Autonomie des Einzelnen geschützt werden“.

Das sahen die Verfechter einer „liberalen Sterbehilferegelung“ allerdings völlig anders. Für eine solche warb eine Gruppe um die Abgeordneten Helge Lindh (SPD), Till Steffen (Bündnis 90/Die Grünen), Katrin Helling-Plahr (FDP), Petra Sitte (Die Linke). Wie Helling-Plahr erklärte, habe das Bundesverfassungsgericht „ganz klar gesagt: Einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz kann und darf es nicht geben“. Deshalb sei es für sie auch „indiskutabel, eine neue Regelung der Sterbehilfe im Strafrecht überhaupt nur anzudenken“. Stattdessen gelte es, dafür zu sorgen, dass „Menschen, die sich entscheiden, gehen zu wollen“, „ihr im Grundgesetz verankertes Recht auf selbstbestimmtes Sterben ausüben können, wenn sie es für geboten halten“.

Niederschwellige Beratungsmöglichkeiten

Mit ihrem Aufruf, „Menschen, die über einen Suizid nachdenken, zur Seite“ zu stehen, indem der Bundestag „flächendeckend und bundesweit niederschwellige Beratungsmöglichkeiten“ schafft und „konkrete Hilfe, zum Beispiel auf dem Weg ins Pflegeheim“, anbietet, stimmte die FDP-Abgeordnete geradezu das Hohelied der Suizidbegleitung an. Es sei ein Gebot der „Menschlichkeit, Betroffene mit ihrem Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht mehr alleine zu lassen und sie nicht weiter auf risikoreichere Methoden oder gar auf Brutalsuizide zu verweisen.“ Dabei ignorierte Helling-Plahr, dass Palliativmediziner seit langem darauf verweisen, dass es gar keinen Zusammenhang zwischen Suizidhilfe und Brutalsuiziden gibt. „Es erschießen oder vergiften sich nicht deshalb weniger Menschen, weil eine organisierte Sterbehilfe erlaubt ist“, weiß etwa der Palliativmediziner Thomas Sitte. In der Schweiz gebe es viel mehr Suizide als in Deutschland. Die Menschen, die sich selbst das Leben nähmen, seien andere als jene, die organisierte Sterbehilfe in Anspruch nähmen. Wer anderes behaupte, säße einer „Lüge der Sterbehilfelobby“ auf.

Auch die grüne Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther, die darauf verwies, dass sie als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mehr als zwei Jahrzehnte lang viele Menschen in suizidalen Krisen begleitet habe, erklärte: „Die Vorstellung, die häufig auch als Argument angeführt wird, dass mit der Förderung des assistierten Suizids die Zahl der sogenannten harten Suizide reduziert würde, ist leider ein Trugschluss.“ Suizidwünsche seien „in der Regel nicht der Wunsch nach dem Tod, sondern der Wunsch nach einer Pause von einer als unerträglich empfundenen Lebenssituation“.

Verpflichtung zum Suizid?

Ein drittes Regelungsmodell, das von den beiden Parlamentarierinnen Renate Künast und Katja Keul (beide Bündnis 90/Die Grünen) erarbeitet wurde, unterscheidet zwischen Suizidwünschen, die „ihren Tod wegen einer schweren Krankheit“ oder „aus anderen Gründen anstreben“. Während bei Ersteren zwei Ärzte unabhängig voneinander prüfen sollen, ob dem Wunsch des Suizidwilligen eine freie Entscheidung zugrunde liegt, sollen alle übrigen an Landesbehörden verwiesen werden. Künast: „Wir sagen: Es muss eine Behörde geben, gegenüber der man seinen Sterbewunsch glaubhaft darlegt und ein, zwei Fragen beantwortet.“

Nur Wenige wagten es, auch einen Blick in die Zukunft zu werfen. Der CDU-Abgeordnete Hüppe etwa erklärte, sobald der assistierte Suizid gesellschaftlich akzeptiert werde, trage der Einzelne Verantwortung dafür, dass er weiterleben und die Ressourcen der Allgemeinheit in Anspruch nehmen wolle „und – was wahrscheinlich viel entscheidender ist – seinen Angehörigen zur Last falle. Selbst wenn das objektiv nicht stimmt, reicht allein schon das Empfinden, anderen zur Last zu fallen, um sich moralisch verpflichtet zu fühlen, sich für den Suizid zu entscheiden.“ Und die AfD-Abgeordnete von Storch warnte mit Blick auf die Niederlande: „Wo nach Suizidbeihilfe Sterbehilfe zur Normalität wird, da verfließen irgendwann die Grenzen zwischen Tötung auf Verlangen und Tötung ohne Verlangen.“ Der SPD-Abgeordnete Herbert Wollmann riet, die für September geplante Stellungnahme des Deutschen Ethikrates abzuwarten. Ob dieser Rat verfing, muss sich zeigen. Applaus erntete Wollmann dafür nur bei der SPD.

 

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