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Volks- und Aberglaube in Bayern

Volks- und Aberglauben in frommen bis skurrilen Formen in Bayern, kann man sich im Stadtmuseum Dingolfing zu Gemüte führen. Eine umfangreiche Ausstellung gewährt aufschlussreiche Einblicke.
Mann im Fegefeuer, Engel mit Rosenkranz
Foto: Museum Dingolfing | Ein junger Bursche ging in der Allerseelennacht lieber mit seiner Verlobten tanzen, als die Toten zu ehren. Auf dem Heimweg traf er gespensterhafte Brautpaare, die er mit seinem Rosenkranz hätte retten können, ...

Teufelsgeißel“ nannte man die klein zusammengefalteten Papierbögen im Volksmund, auf denen verschiedene Heilige dargestellt sind und in die geweihte Dinge und Schutzmittel aus dem Naturglauben eingeschlagen wurden. Diese „Breverln“, die als Schutz gegen Krankheiten aller Art, Hexen und Dämonen, gegen alle Gefahren für Leib und Seele galten, sind eines der sonderlichen Objekte, welche derzeit im niederbayerischen Dingolfing zu sehen sind.

Mit „Volksglaube und Aberglaube“ beschäftigt sich derzeit eine Sonderausstellung im Stadtmuseum Dingolfing. Der Untertitel der Ausstellung „Zwischen Herzensgeheimnissen und düsteren Schatten“ verweist dabei auf das Spannungsfeld, in dem sich die Ausstellung in der Dingolfinger Herzogsburg bewegt, nämlich zwischen dem Bereich des frommen Volksglaubens auf der einen und zum Teil düsteren abergläubischen Praktiken auf der anderen Seite.

„Bei den Geschichten vermengen sich schwarze Pädagogik mit einer Verdrehung von Heiligkeit.
Sie nahmen durch die ländliche Sensationslust
im Laufe der Jahrzehnte immer grausamere Formen an“

Die Ausstellung widmet sich dabei weniger heute als abergläubisch oder gar esoterisch bezeichneten Vorstellungen – wie etwa der Triskaidekaphobie, der Angst vor der Zahl 13 – sondern stellt anhand verschiedenster Objekte bayerischer Volksfrömmigkeit dar, wie die Begriffe „Aberglaube“ und „Volksglaube“ in der Vergangenheit, insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert verstanden wurden. „Den durchaus wertenden Begriff ,Aberglauben‘ verwenden wir sehr bewusst – es drückt sich darin die explizit katholische Sichtweise auf bestimmte Glaubenspraktiken und Gegenstände aus. Mit diesem perspektivischen Zugang wollen wir die Unterscheidung zwischen Gegenständen eines anerkannten Volksglaubens und abergläubischen Auswüchsen darstellen“, so der Museumsdirektor Thomas Kieslinger, welcher die Ausstellung kuratiert hat. Unter Einbeziehung zeitgenössischer Quellen wird dabei eine volkskundliche, historische und theologische Einordnung der Exponate vorgenommen. Es gelingt dem Kurator anhand der außergewöhnlichen Objekte ein populäres Interesse mit einem wissenschaftlichen Zugang zu verbinden.

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Der Aufbau der Ausstellung orientiert sich an den verschiedenen Bereichen des menschlichen – insbesondere ländlichen – Lebens, welche von volksfrommen und abergläubischen Elementen durchdrungen waren, beginnend mit Schwangerschaft und Geburt bis hin zu Formen bayerischer Memorialkultur.

„Von der Wiege bis zur Bahre“ ist der erste Raum betitelt, in welchem neben Schutzengeldarstellungen zum Kinderschutz oder verschiedenen – teils von der Kirche als problematisch eingestuften – Gebetspraktiken zur Geburt auch skurrile Elemente wie eine „Wahre Länge Mariens“ zu finden sind. Bei letzterer handelt es sich um einen mit Gebeten beschrifteten Streifen Papiers, welcher eben die „wahre Länge“ der Gottesmutter abbilden sollte. Dieser wurde gebärenden Frauen um den Leib gelegt, um eine sichere Geburt zu gewährleisten. Diese schon im Mittelalter beginnende Praxis wurde von der Kirche als abergläubisch verurteilt.

Korona sollte beim Geschäftemachen helfen

Eine gewisse Aktualität enthält das sogenannte „Korona-Gebet“ zur Heiligen Corona. Dies sollte jedoch nicht vor Epidemien und Krankheiten schützen, sondern wurde als Formel zum Wohlstand in Form von „Korona-Schutzzetteln“ verbreitet. Anhand dieser Zettel wird in den begleitenden Erklärungen deutlich gemacht, dass die Unterscheidung zwischen Volks- und Aberglauben in diesem Fall zum einen darin lag, dass die Zettel selbst als schutzverheißend angesehen wurden, nicht die Wirkung des Gebets – was zur Folge hatte, dass sie massenhaft in Bauernhäusern zu finden waren. Zum anderen lag das Problem in diesem Fall darin, dass versucht wurde, durch die Gebete weltlichen Wohlstand zu erlangen.

Neben diesen abergläubischen Auswüchsen werden jedoch auch Objekte gezeigt, welche einen frommen und durchaus gelehrten Volksglauben ausweisen. So etwa ein „Kalender für katholische Christen auf das Schalt-Jahr 1856“, welcher neben den Heiligenfesten auch die Erläuterung weltkirchlicher Ereignisse enthält, wie hier etwa eine Darlegung der zwei Jahre vorher zum Dogma erhobenen Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariens.

Rosenkranzketten mit magischen Amuletten

Dass religiöse Gegenstände durchaus im Grenzbereich zwischen Volks- und Aberglauben stehen können, zeigt die Sammlung historischer Rosenkränze. Das Rosenkranzgebet wurde zwar von der Kirche gefördert, es entwickelten sich jedoch auch hier abergläubische Praktiken, welche die Wirkkraft des Rosenkranzes nicht am Gebet, sondern am Rosenkranz selbst festmachten – meist verbunden mit besonderen quasi „magisch“ verstandenen Gebetsformeln. Ein besonderer Auswuchs davon sind die sogenannten Fraisenketten, welche dem Rosenkranz ähnlich sind, jedoch mit zahlreichen Anhängern versehen wurden. Sie wurden nicht zum Gebet verwendet, sondern als Sammelamulett gegen Epilepsie etwa den Kindern als Heilmittel auf den Kopf gelegt.

Der weihnachtliche Abschluss der Ausstellung überrascht damit, dass hier statt lieblichen weihnachtlichen Bildern und Gesängen, wie sie in Bayern vielleicht vermutet worden wären, vier lebensgroße Bilder von Figuren den Besucher erschrecken, welche nichts mit dem Christkind oder dem netten Nikolaus gemein haben. Die vier von einer lokalen Künstlerin gezeichneten Gestalten wurden nach Beschreibungen von noch lebenden Gewährsleuten angefertigt. Bei den vier Gestalten handelt es sich um den Habergeiß, die Luzie, Niklo und den blutigen Thamerl.

Die Ausstellung ist digital zu sehen

Insbesondere Letzterer, welcher im Volksbrauchtum aus einer Vermischung des Apostels Thomas mit Thomas von Aquin hervorging, verdeutlicht die Rolle dieser Gestalten: Bei den Geschichten vermengen sich schwarze Pädagogik mit einer Verdrehung von Heiligkeit. Sie nahmen durch die ländliche Sensationslust im Laufe der Jahrzehnte immer grausamere Formen an. „Im Zuge der Kuration der Ausstellung war es mir ein Anliegen, die heute in der Region noch tradierten oralen Zeugnisse zu sammeln. Wir konnten einige Männer und Frauen finden, welche die Traditionen und Geschichten dieser weihnachtlichen Schreckgestalten noch kannten und bereit waren, diese zu erzählen“, erläutert Kieslinger. In verschiedenen Audiospuren dieser Erzählungen können sich die Besucher unter dem Eindruck der Bilder zum Abschluss der Ausstellung einen Schauer über den Rücken laufen lassen.

Die letzten zwei Jahre stellten für den Kultursektor, insbesondere auch für die Museen eine besondere Herausforderung dar. Die häufigen Schließungen und immer wechselnden Einschränkungen für Besucher, erforderten eine beschleunigte Antwort auf die Frage, wie ein Museumsbesuch auch als digitales Erlebnis gelingen kann. Das Museum Dingolfing gibt mit der Ausstellung zu Volksglaube und Aberglaube eine für ein städtisches Museum ungewöhnlich innovative Antwort, indem es auf der Homepage der Ausstellung eine vollständige digitale Einsicht in die ausgestellten Objekte ermöglicht. Mit professionell produzierten Videos wird denjenigen, die sich intensiver mit dem Thema beschäftigen wollen eine inhaltlich tiefgehende Einführung in die Hintergründe und Kontexte der Objekte des bayerischen Volksglaubens geboten. Ob nun digital oder vor Ort – ein Besuch der Ausstellung ist nicht nur für ein volkskundlich interessiertes Publikum absolut lohnenswert.


Die Ausstellung im Stadtmuseum Dingolfing – Ob. Stadt 19, 84130 Dingolfing –,
ist bis zum 9. Januar kostenlos zugänglich, eine Verlängerung ist geplant.
Die digitale Ausstellung ist unter www.herzensgeheimnisse-duestereschatten.de zugänglich.

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