Neuheidentum

Vom christlichen Weihnachten gehen viele zurück ins Heidentum

Esoterische Literatur zu den „Rauhnächten“ hat Konjunktur. Einst tief verwurzelt im christlichen Volksglauben, werden die Nächte zwischen Weihnachten und Dreikönig konsequent entchristlicht.
Krampuskraenzchen der Gletscherdeife - im Bild eine Hexe
Foto: imago images | Ein Mann verkleidet als Hexe bei einem Umzug in der österreichischen Gemeinde Kaprun. Die ältere Brauchtumsforschung sieht den Ursprung der Rauhnächte im vorchristlichen Heidentum.

Auf den vorweihnachtlichen Büchertischen der Buchhandlungen liegen jedes Jahr mehr Bände mit Titeln wie „Rauhnächte – Die geheimnisvolle Zeit zwischen den Jahren“, „Das Wunder der Rauhnächte“ oder „Magische Rauhnächte“. Was hat es mit diesen Rauhnächten eigentlich auf sich? In welchem Zusammenhang stehen sie mit dem Weihnachtsbrauchtum? Handelt es sich hier überhaupt um christliches Brauchtum? Habe ich als Christ einen spirituellen Gewinn von der Lektüre zu erwarten?

Rauhnächte

Lesen Sie auch:

Auch der Verlag des Katholischen Bibelwerks Stuttgart hat, bereits in zweiter Auflage, einen solchen Band herausgegeben: Nadine Stegelmeier: „Rauhnächte. Die schönsten Rituale“ (2019). Die Autorin führt den Leser in vorchristliche Zeiten zurück. Dort findet sie den Ursprung des Rauhnachtsbrauchtums: „Bereits damals wurde der Zeitraum zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar, dem damaligen Beginn des neuen Jahres, so genannt. Und in dieser Zeit befanden sich die ,Weihnächte‘, seit jeher Nächte voller Magie und Mythen, in denen die Pforten der Anderswelt offenstanden, und in denen sich deren Wesen ungehindert Zutritt in die Menschenwelt verschaffen konnten. Jede einzelne Nacht war einer bestimmten Gottheit geweiht und wurde für Opferungen und andere Kulthandlungen genutzt.“ Es geht also um die zwölf Nächte von Weihnachten bis Dreikönig. Es geht um das Auftreten von Geistern mit lärmenden Umzügen von Dämonen und Hexen. Zugleich wird jeder Tag der zwölf Nächte als Orakeltag in Bezug auf die zwölf Monate des neuen Jahres angesehen.

Wahrsagerei und magische Praktiken

Dementsprechend empfiehlt die Autorin jeweils bestimmte Praktiken, um die Zukunft zu befragen. Für den 30./31. Dezember wird vorgeschlagen: „Man stelle sich in der Silvesternacht mit einem Reisigbesen, der im Vorjahr gebunden wurde, auf den Hof, kehrt sieben Mal im Uhrzeigersinn, und ruft dazu laut aus: ,Pech dich kehr ich aus! Glück, dich lass ich ins Haus!‘, dann sind Haus und Hof und alle, die darin wohnen im kommenden Jahr mit Glück und Frohsinn gesegnet. Auch alte Flüche werden auf diese Art bereinigt.“ Das Wort „Rauhnächte” meint die Rauchnächte, die Abende, an denen geräuchert wurde. Besonders am Dreikönigstag zog die katholische Familie betend mit einer Räucherpfanne durch Stuben und Stallungen. Dabei ist der innere Zusammenhang mit dem Weihrauch, den die Heiligen Drei Könige dem neugeborenen Gottessohn darbringen, klar erkennbar. Bis heute werden in den Kirchen und von Sternsingern kleine Weihrauchpäckchen angeboten.

Christliche Bräuche

In der esoterischen Rauhnachtsliteratur wird jedes Ritual zum Aberglauben umgedeutet. Zum Räuchern am Dreikönigstag heißt es etwa: Räuchert man heute Hüte und Kopfbedeckungen aus, bewahrt man im neuen Jahr einen freien Kopf und ist durch viele gute Einfälle gesegnet“ ( N. Stegelmeier). Als oftmals ungenannte Quelle dient das 1927–1942 entstandene „Wörterbuch des deutschen Aberglaubens” von Hanns Bächtold-Stäubli. Es beruht auf der Grundannahme, dass die meisten christlichen Bräuche Umdeutungen viel älterer germanischer Glaubenspraktiken und Glaubensvorstellungen sind. Diese sogenannte mythologische Schule der Volkskunde ist heute widerlegt. Dies hat aber nichts an der weiterhin vollkommen unkritischen Verbreitung dieser Thesen geändert. Die zwölf Nächte vom 24./25. Dezember bis zum 6. Januar waren eine Zeit der absoluten Arbeits- und Gerichtsruhe. Der Vorabend von Weihnachten, Heiligabend, war ein strenger Fasttag.

Kontaktaufnahme mit den Geistern

Die sogenannten Perchtenläufe, Maskenumzüge, wie sie in manchen Gegenden Bayerns und Österreichs abgehalten werden, das Auftreten einer Frau Percht oder Berchta wurden bereits im 19. Jahrhundert als Relikte urgermanischer Bräuche verstanden. Davon gibt auch unser Rauhnachtsbuch Zeugnis: Perchta kann „als Muttergottheit angesehen werden, die die Mutter Erde symbolisiert und durch deren Erscheinen am 6. Januar als Verkünderin des Lichts das Ende der dunklen Jahreszeit eingeläutet wird“. In diesem Sinne werden auch die alpenländischen Perchtenumzüge verstanden: „Einer der wenigen alten Bräuche, die sich (…) erhalten haben, ist der Brauch der Perchtenumzüge oder des Perchtentreibens zu Ehren der Göttin Perchta.“ In völliger Abhängigkeit von den Thesen der mythologischen Schule leiten heute viele Rauhnachtsbücher zum esoterischen Verständnis des Menschen und der Welt an: Die Zeit der Rauhnächte solle genutzt werden zur „Kontaktaufnahme mit der Welt der Geister und Naturwesen. Die langen, dunklen Abende am Ende des Jahres laden geradezu dazu ein (!), im Kreis der Familie verschiedene Rituale und Orakelmöglichkeiten auszuprobieren und gestärkt in das neue Jahr zu blicken“ (N. Stegelmeier). Aus dem 11. Jahrhundert stammt der erste Beleg für das Wort Percht: Es ist die althochdeutsche Übersetzung für Epiphanie, den Namen des kirchlichen Festes. Analog zur italienischen Bephana, der Personifikation des Epiphanietages und Geschenkebringerin, ist „Perahta“ (die Leuchtende, Glänzende) ebenso eine Personifikation des Epiphanietages. Als Frau Perchts oder Berchta hat sie sich teils zu einer Schreckgestalt entwickelt, die das Arbeitsverbot, Waschverbot, Spinnverbot in der Weihnachtszeit überwachte. Frau Percht hat auch das Übertreten des Fastengebots geahndet. Von verkleideten Gestalten wurde mit einem hölzernen Messer drastisch das Bauchaufschlitzen bei Fastenbrechern inszeniert.

Teufel und Dämonen

Lesen Sie auch:

Eine ähnliche Funktion zur Abschreckung vor adventlichem Fastenbrechen hatte auch die Brauchgestalt der Lutzi, deren Name sich von der heiligen Märtyrerin Luzia ableitet. Daneben wurde im Mittelalter Frau Percht auch mit der Frau Welt identifiziert als Allegorie des Lasters der verschwenderischen Gefallsucht (Luxuria). In diesem Zusammenhang können auch die Perchtenläufe, bei denen Teufelsmasken mit langen Ziegenhörnern und Mäntel aus Schafspelzen getragen werden, als Darstellungen einer dem Bösen verfallenen Welt, der in ihr verbreiteten Laster und als Ausdruck ihrer Erlösungsbedürftigkeit interpretiert werden. Wurden diese Ausdrucksformen des gelebten Christentums in der Zeit der Aufklärung als dunkler Aberglaube verboten, so wurden sie in der Romantik als wertvolle Relikte des urgermanischen Götterglaubens (miss)verstanden. Pfarrer, Lehrer und Heimatpfleger haben dann den Trägern des Brauchtums im 19. Jahrhundert den „alten“ mythologischen Sinn eingeredet. Von Trachtenvereinen wurden, wie in Kirchseeon, Perchtenläufe neu erfunden. Aus dem Teufel, der die Höllenstrafe androht, wurde der Dämon, der nun kreischende Mädchen nicht mehr wegen der Gefallsucht mit der Rute schlägt, sondern nun einen Fruchtbarkeitszauber ausübt.

Heute nur Folklore

In der Tourismuswerbung wurden Perchtenläufe zum folkloristischen Alleinstellungsmerkmal. Heute sind die Perchtengruppen vereinsmäßig organisiert und können etwa zur Belebung von Christkindlmärkten gebucht werden. Verstärkt wurde die Umdeutung allen Brauchtums der gesamten Weihnachtszeit im Dritten Reich. In den Schulbüchern ersetzten Wotan, die Wilde Jagd und Frau Holle die Weihnachtsgeschichte. Unterm vorchristlichen Julbaum sollte „Hohe Nacht der klaren Sterne“ statt „Stille Nacht“ gesungen werden. Subtiler, aber mit nicht weniger fatalen Folgen, verbreitet sich heute über die Rauhnachtsbewegung eine ebenso gezielte systematische Entchristlichung des Weihnachtsfestes. Sie beruht auf Fehlinterpretationen des christlichen Brauchtums, das wegerklärt und durch eine esoterische Spiritualität ersetzt werden soll.

Weihnachten ist etwas anderes

Es kommt dem modernen Menschen entgegen, wenn Gott zur Sinntiefe der Welt erklärt wird. Dann ist er kein Gegenüber mehr und hat sich in der Welt aufgelöst. Er ist nicht mehr der Schöpfer, der zur Antwort ruft. Vor ihm braucht man sich nicht mehr zu verantworten. An die Stelle von Schuld und Vergebung tritt die Selbsterneuerung im Rhythmus des Jahreslaufes. Das geheimnisvoll Numinose bleibt immer zweideutig. Es hat stets eine helle und eine dunkle Seite. Zuletzt sind diese Mächte aber nichts anderes als Objektivierungen von Naturerscheinungen. Dies ist auch der letzte Sinn aller esoterisch verstandenen Rauhnachtsbräuche.

Christlicher Weihnachtsglaube antwortet darauf mit dem Bekenntnis zu Gott, dem Schöpfer, der Abraham aus der Naturreligion herausgerufen und sich in Jesus Christus offenbart hat.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Michael Karger Jesus Christus Mythen Perchta Pfarrer und Pastoren Weihnachtsbräuche Weihnachtsgeschichten

Weitere Artikel

Die Anzahl der Toren in Weltgeschichte und Weltliteratur ist gewaltig – oft tritt er als Vorbild auf, andererseits stellt seine Unverantwortlichkeit eine Warnung dar.
12.02.2023, 11 Uhr
Magdalena Gmehling
Traditionen und kuriose Bräuche: „Der Dicke“, Glockentänzer und Glückstrauben.
23.12.2022, 19 Uhr
Andreas Drouve
Was für Merkel die Raute war, könnte für Olaf Scholz der Schneeball werden, der niemals geworfen wird.
10.03.2023, 17 Uhr
Sebastian Sasse

Kirche

Kira Geiss ist die neue „Miss Germany“ - und engagiert sich an einer Missionsschule. Was ihr Glauben mit ihrer Teilnahme an einem Schönheitswettbewerb zu tun hat und was sie anderen ...
23.03.2023, 11 Uhr
Esther von Krosigk
In der 18. Folge des „Katechismus-Podcasts“ geht Weihbischof Dominik Schwaderlapp auf den Wahrheitsgehalt der Bibel ein.
23.03.2023, 14 Uhr
Meldung
Was auf „synodalen Wegen“ derzeit geschieht, ist mehr als die Wiederholung altbekannter Forderungen.
21.03.2023, 19 Uhr
Martin Grichting