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Schutzengelfest: Himmlische Hierarchie lässt Harmonie entstehen

Göttliche Ordnung und Egoismus schließen sich aus: Eine kurze Reflexion zum Schutzengelfest.
Gemälde: Sturz der Engel
Foto: Wikipedia

Auf dem Fußballplatz herrscht eine klare Hierarchie. Zückt der Schiedsrichter die Rote Karte, ist Widerstand zwecklos, selbst wenn das ganze Station aus Protest einen Höllenlärm veranstaltet. Kakophonie ist der Sound der Hölle. In schönster Harmonie erklingt dagegen die Musik des Himmels. Die Chöre der Engel bedürfen nur einer zarten Instrumentierung durch Glöckchen (tintinnabulum). Wie Sanctus und Gloria ist ihr heller Klang in der Messe ein Verweis auf den unaufhörlichen Lobpreis der Engel. Himmlische und kirchliche Hierarchie bilden eine Einheit. Geht in den Gemeinden und auf den synodalen Wegen das Bewusstsein von dieser heiligen Ordnung verloren, droht Substanzverlust.

Das zeigte sich auf dem Spielfeld der Gemeinde Sankt Maria vom Frieden (Düsseldorf), als 60 Maskenträger 60 Rote Karten für Kardinal Rainer Maria Woelki zückten. Sicherlich wussten die Kirchenkritiker nicht, was sie tun. Wahrscheinlich folgten sie dem Muster gewerkschaftlicher Proteste vor Fabriktoren, wo den Bossen gelegentlich mit Trillerpfeifen die Meinung geblasen wird. Vielleicht wollten sie endlich einmal „frech“ und „selbstbewusst“ sein und es basisdemokratisch „denen da oben zeigen“. Aber ein Kardinal ist kein CEO, der heute kommt, seinen Job erledigt und morgen geht. Er ist herausragendes Mitglied einer kirchlichen Hierarchie, die nicht das Resultat von Mehrheitsentscheidungen ist und auch nicht genderkonform besetzt werden kann.

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Wider die „Heilige Ordnung“

Das griechische Wort „Hierarchie“ bedeutet „Heilige Ordnung“. Es beschreibt den Bauplan der Schöpfung im Zusammenwirken aller Kräfte in der Ökumene. Eine Heilige Ordnung ist unverfügbar, bedarf keiner Rechtfertigung und keiner Reformation. Das unterscheidet sie von allen Hierarchien, die Menschen zur Steuerung von Abläufen in Wirtschaft, Bildung, Politik oder Militär erfunden haben. Allerdings kennt auch die kirchliche und himmlische Hierarchie Fehlverhalten, das – bildhaft gesprochen – zum Platzverweis und zu leeren Sitzen im Chorgestühl führen kann. Der Sturz einzelner Engel und der Sündenfall des Menschen haben zwar die Harmonie nicht in ihren Grundfesten erschüttern können, erforderten aber eine Heilung, die nur der Schöpfer selbst leisten konnte.

Gebildet hat den Neologismus „Heilige Ordnung“ Dionysios von Areopagita (um 490 n. Chr.). Wenn er sich als Schüler des Paulus ausgibt, dann identifiziert er sich nach antikem Brauch mit diesem Lehrer. Der Konvertit Paulus berichtet von einer Entrückung, zuerst in den dritten Engelchor, dann weiter bis ins Paradies (Zweiter Korintherbrief 12, 2f). Dort habe er unaussprechliche Worte vernommen („audivit arcana verba“). Diese „arcana verba“ wurden von der Tradition als Hinweis auf jene Sprache der Engel gelesen, in der sie untereinander kommunizieren. Dass Halleluja, Gloria (kabod) und Sanctus (kadosch) zuerst in der Sprache Israels angestimmt worden sind, gibt der Liturgie einen noch nicht ausgeloteten christlich-jüdischen Resonanzraum.

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Neun Engelchöre bringen Ordnung in die Scharen

Paulus erwähnt fünf verschiedene Engeltypen (Brief an die Epheser 1, 21, Brief an die Kolosser 1, 16), die Dionysios von Areopagita mit den Engeln, Erzengeln, Cherubim und Seraphim in die Ordnung von neun Engelchören bringt. Ihr folgt Papst Gregor der Große. Die Chöre der Engel, Erzengel, Fürstentümer, Gewalten, Mächte, Herrschaften, Throne, Cherubim und Seraphim sind ihm auch Spiegel der Kirche und ihrer unterschiedlichen Berufungen. Die kirchliche Hierarchie bildet mit der himmlischen Hierarchie eine unauflösliche Einheit. Alle Engel haben daher die Funktion von Schutzengeln. Zusätzlich ist jedem Menschen ein persönlicher Schutzengel als Wegbegleiter zugeordnet.

Vor Gott sind alle gleich. Aber Menschen und Engel haben unterschiedliche Begabungen und stehen auf unterschiedlichen Stufen der Hierarchie, ohne dass damit eine Wertung gegeben wäre. Ein Seraphim oder Cherubim schaut nach seiner Art tiefer in das Feuer der Liebe Gottes als ein Engel oder Erzengel. Doch gilt er vor Gott nicht mehr als der geringste unter allen Schutzengeln. Was aber ist mit den Menschen, die dem Schutzengel die kalte Schulter zeigen und nur um sich selbst kreisen? Menschen, die das herrliche Wunderwerk der Hierarchie nicht sehen und darüber sogar noch lachen? Menschen, die das Spiegelbild ihres Schutzengels nicht erkennen, obwohl es vor ihnen steht? Diesen Grenzfällen der Seelsorge gelten Mitleid und Fürbitte Gregors, aber auch der Mahnruf: „Wehe aber der Seele, die von dem Guten, das wir aufgezählt haben, gar nichts in sich wiedererkennt; und ihr droht ein noch schlimmeres Wehe, wenn sie erkennt, dass sie ohne Gaben ist, und darüber keineswegs seufzt. Wer solcherart ist, über den muss man heftig seufzen, weil er nicht seufzt.“ (Homilie 34, 12)

„Gott wird vor allem dadurch gefunden, dass man ihn preist,
nicht nur, indem man über ihn nachdenkt“

Gott will, dass niemand verloren geht. Himmlische Hierarchie und Heilsegoismus schließen sich aus. In der Heiligen Ordnung kommt es auf jeden einzeln an. Eifersucht, Ausgrenzungen und Elitedenken sind folglich wie im Himmel so auf Erden unangebracht. Papst Benedikt XVI. widmete seine Ansprache in der Generalaudienz vom 14. Mai 2008 der liturgischen Theologie des Areopagiten: „Gott wird vor allem dadurch gefunden, dass man ihn preist, nicht nur, indem man über ihn nachdenkt; und die Liturgie ist nicht etwas von uns geschaffenes, etwas, das erfunden wurde, um während eines gewissen Zeitraums eine religiöse Erfahrung zu machen; sie ist Lobgesang mit dem Chor der Kreaturen und das Eintreten in die kosmische Wirklichkeit selbst. Und gerade so wird die Liturgie – die augenscheinlich nur kirchlich ist – weit und groß, sie vereint uns mit der Sprache aller Geschöpfe.“

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Hierarchie als Weg der Heimholung

Edith Stein (1891–1942) zählt das Werk des Dionysios zu den zentralen geistigen Strömungen, das Lebensgefühl des Abendlandes bestimmten. Von Gott kommen Licht, Leben und Liebe und kehren zu ihm zurück. „Alles Sprechen von Gott hat ein Sprechen Gottes zur Voraussetzung“, sagt die Karmeliterin. Erkennen und Verkünden gehören zusammen. Die Hierarchien beschreiben also einen Weg der Heimholung. Alles Höhere beugt sich zum Tieferstehenden und nimmt es an die Hand, trägt Licht in die Schöpfung und führt die Erleuchteten aus dem Dunkel der Erde ins Licht Gottes. Der heilige Bernward von Hildesheim hat diese kreisförmige Bewegung vom Himmel auf die Erde und von der Erde zurück in den Himmel auf seiner Bronzetür dargestellt. Sie gehört zum Weltkulturerbe der Menschheit. Auf den Deckel seines Sarges ließ er die neun Chöre der Engel in den Sandstein meißeln. Wenn sich das Leben in der Ewigkeit vollendet, werden Menschen und Engel in der Gottesschau („visio beatificia“) vereint sein, wie sie schon jetzt in der Eucharistie vereint sind.

Zum Freudenfest der Vollendung gehört auch Tanz

„Denn wer von den Gläubigen möchte daran zweifeln, dass gerade in der Stunde des Opfers die Himmel sich öffnen und die Chöre der Engel zugegen sind? Oben und unten verbinden sich, Himmel und Erde, Sichtbares und Unsichtbares werden eins“, weiss Gregor der Große. Zum Bild der kirchlichen und himmlischen Hierarchie gehört auch der Tanz, betont Dionysios: Auf allen Rängen erklingt der Lobpreis, „als ob es gälte, die heilige Botschaft in einem einzigen Reigentanz im gleichen Rhythmus darzustellen“. Und Gregor ergänzt: „Werden wir einmal zum Himmel zurückgeführt, dann bringen wir sein Freudenfest zur Vollendung.“ (Homilie 34, 3)

Im Schutzengelfest gedenkt der Katholik nicht nur seines persönlichen Schutzengels, der ihn in der Stimme des Gewissens als unbestechlicher Freund begleitet. Er blickt auch auf die heilige Ordnung der Engelchöre und stimmt in ihren nie verstummenden Lobpreis ein: „Mit Weisheit sind die angetan: Sie brennen, leuchten, beten an. Ein großes Lob ertönt im Chor: Ihr ,Heilig, heilig‘ steigt empor.“ (Gotteslob 539, 4)

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