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Tomáš Halík: „Diese Form der Kirche ist am Ende“

Der Priester Tomáš Halík erklärt im Gespräch, welche Erneuerungen die Kirche braucht, um für die Herausforderungen der Postmoderne gerüstet zu sein.
Der tschechische Theologe Tomáš Halík
Foto: Roman Vondrous via www.imago-ima (www.imago-images.de) | „Seit der Aufklärung gibt es einen Prozess der Exkulturation der Kirche. Dies gipfelte im Vertrauensverlust Hunderttausender Gläubiger. Diese Form der Kirche ist am Ende.“

Der Priester Tomáš Halík (74) kennt das Leben im kommunistischen Untergrund genauso wie das Leben in der Weltkirche: geweiht wurde er in der DDR, in den 1980er Jahren war er enger Mitarbeiter von Franti ek Kardinal Tom ek. Nach der Wende absolvierte er ein Postgraduiertenstudium an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom, auf das eine Habilitation in Breslau für Praktische Theologie und in Prag für Soziologie folgten.  Papst Benedikt XVI. verlieh ihm den Ehrentitel „Päpstlicher Prälat“, im Jahr 2014 erhielt er den Templeton-Preis, den inoffiziellen „Nobelpreis für Religion“. Im exklusiven Interview für das Feuilleton der „Tagespost“ erläutert Halik, welche Erneuerungen die Kirche braucht, um für die Herausforderungen der Postmoderne gerüstet zu sein.

Herr Professor Halik, Sie haben einmal von einem protestantischen Freund erzählt, der sich nicht mehr als Protestant bezeichnet, weil man gegen Papst Franziskus nicht protestieren müsse. Können Sie verstehen, dass es Leute gibt, die Papst Franziskus selbst für einen Protestanten halten?

Jeder, der in der Geschichte des Christentums eine wichtige Rolle spielte, angefangen bei Jesus, hatte seine Gegner. Warum sollte dieser Papst also keine Gegner haben? Alle wichtigen profilierten Persönlichkeiten haben auch Feinde. 

Der gleiche Papst hat auch gesagt, er finde die evangelische Kirche in Deutschland so schön, wir bräuchten keine zweite. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass der Synodale Weg zu einer Protestantisierung der katholischen Kirche und damit zu einem Schisma führt?

Nein, ich meine das ist notwendig. Wir befinden uns in einer Situation wie vor der Reformation. Damals war der Ablasshandel ein Skandal als Zeichen für eine tiefe Krise des gesamten Systems der mittelalterlichen Kirche. Und auch heute sind die Missbrauchsskandale nicht nur Probleme Einzelner, sondern ein Signal, dass etwas faul ist mit dem ganzen System der Macht in der Kirche. Es geht um den Missbrauch von Macht und Autorität. Papst Franziskus hat gesagt, das ist eine Krankheit des Klerikalismus, das müssen wir heilen. Und das ist nur ein Aspekt einer großen Krise des katholischen Christentums durch Exkulturation. Die Hauptaufgabe der Kirche ist Inkulturation und Evangelisation. Evangelisation muss mit Inkulturation verbunden sein, sonst handelt es sich bloß um eine Indoktrination. 

Können Sie das etwas genauer erläutern?

Seit der Aufklärung gibt es einen Prozess der Exkulturation der Kirche. Dies gipfelte im Vertrauensverlust Hunderttausender Gläubiger. Diese Form der Kirche ist am Ende. Wir müssen diese Krise ernst nehmen. Es geht etwas zugrunde, aber das ist auch eine Chance, den Grund wiederzuentdecken. Die Kirche braucht wirklich eine radikale Erneuerung, aber das muss und kann nicht nur Veränderung von Institutionen und Strukturen sein. Da verstehe ich auch ein bisschen die Kritik, die der Papst am deutschen Synodalen Weg hat. Der konzentriert sich zu sehr auf die institutionellen Veränderungen. Wir müssen darüber diskutieren, aber das ist nicht das Wichtigste. Ich konzentriere mich mehr auf die innere Erneuerung, auf die Vertiefung der Theologie und Spiritualität. Aber das bedeutet nicht, dass die alten Strukturen nicht auch der Veränderung bedürfen. Der Papst trägt Verantwortung für die ganze Kirche und ich hoffe, dass der synodale Prozess zu einer Dezentralisierung führen wird. Zur Weihe von Frauen mindestens zum Diakonat sind verschiedene Länder schon vorbereitet. Ich meine, in Deutschland wäre das ja vielleicht kein so großes Problem. In Afrika oder in Polen ist das aber etwas anderes.

Hieße Dezentralisierung nicht, dass wir von der römisch-katholischen Universalkirche zu Nationalkirchen kommen? Würde in Deutschland eine solche Kirche nicht in direkter Konkurrenz zu einem Kirchenprodukt stehen, das es schon gibt, nämlich der evangelischen Kirche?

Naja, das ist nicht genau dasselbe. Das ist jetzt eine neue Zeit. Ich meine, das Wichtigste im katholischen Erbe sind nicht etwa der Zölibat oder solche Dinge. Das Wichtigste sind die Spiritualität und die Liturgie. 

Papst Benedikt hatte sich bemüht, die Anhänger der alten Liturgieformen mit denen der neuen zu versöhnen. Das hat Franziskus jetzt wieder zurückgenommen.

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Das war für mich eine Überraschung. Ich hatte mehr Pluralität in der Liturgie der katholischen Kirche erwartet. Dazu gehört auch Toleranz gegenüber dem alten Ritus. Aber vielleicht war für Viele der alte Ritus mehr ein Symbol des Widerstandes gegenüber dem Papst und den neuen Entwicklungen. Auch bei uns gab es sehr seltsame, sektiererische Christen. Es gibt einen Unterschied zwischen Katholizismus und Katholizität. Im 19. Jahrhundert sah sich der Katholizismus als Gegenbewegung zu anderen -ismen, wie etwa dem Sozialismus. Dieser Katholizismus hat die Vitalität verloren. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte das überwinden und einen Weg finden vom Katholizismus zu einer wirklichen Katholizität. Aber ich meine, die Reformen des Zweiten Vaticanums kamen ein bisschen zu spät. Die Auseinandersetzung mit der Moderne kam, als deren Aufkommen längst abgeschlossen war. Das Konzil hat die Kirche nicht auf die radikale, plurale postmoderne Gesellschaft vorbereitet. Dafür braucht man noch eine andere Reform und ich hoffe, der Synodale Weg kann die Kirche auf diese globale postmoderne Gesellschaft vorbereiten. Aber es ist klar, dass einige lokale Kirchen noch immer nicht das Zweite Vaticanum angenommen haben. 

An welche denken Sie da?

Einige aus Osteuropa. Das Zweite Vatikanische Konzil fiel in die Zeit des Kommunismus, die Priester hatten praktisch keine Möglichkeit, die neue Theologie zu studieren. Da sie nicht Karl Rahner oder Joseph Ratzinger, also die intellektuelle Vorbereitung und den Hintergrund zum Konzil, lesen konnten, kamen die Änderungen und Reformen von oben nur ganz oberflächlich und formal an. Also wir kehren den Altar um und verwenden jetzt die Landessprache statt Latein, aber das war sehr oberflächlich. Und darauf reagiert heute ein ebenso oberflächlicher Konservatismus als Akkumulierung zur Modernität. Alle Änderungen in der Kirche müssen theologisch und spirituell vorbereitet sein. Da sehe ich auch meine Aufgabe: zusammen mit Anderen durchdenken und meditieren, was dieser synodale Prozess braucht. Ich bin tief davon überzeugt, dass er eben nicht nur diese institutionellen Veränderungen braucht, sondern am meisten eine spirituelle und theologische Vertiefung.

Wie beurteilen Sie das Vermächtnis von Papst Benedikt XVI. in diesem Zusammenhang?

Die beiden Päpste Johannes Paul II. und Papst Benedikt haben mit großer Noblesse eine Periode der Kirchengeschichte beendet. Aber jetzt ist Zeit für eine neue Epoche. Die alte Epoche hatte die Aufgabe, sich mit der Modernität auseinanderzusetzen. Ich meine, dass der Dialog von Ratzinger ein Jahr vor seiner Papstwahl mit Habermas an der Katholischen Akademie in München sehr bedeutend war. Die beiden waren sich einig, dass der liberale, säkulare Humanismus und das katholische Christentum einander brauchen. Um die Einseitigkeit beider Seiten zu überwinden, brauchen sie die Kompatibilität. Das war eine gute Beendigung der langjährigen Konflikte zwischen Katholizismus und Modernität. Keine Anpassung, aber auch keine Kontrakultur. Eine ausgleichende Kompatibilität. In dieser Periode spielte Papst Benedikt eine wichtige Rolle. Ich habe ihn persönlich gekannt und ich schätze ihn sehr. Nie zuvor in der Kirchengeschichte war so ein großer Theologe Papst. Er war gut für seine Zeit, aber jetzt ist eine neue Situation mit neuen Herausforderungen und dafür brauchten wir auch einen neuen Papst. Die Schattenseite war, dass er eher ein intellektueller Theologe war als ein Manager. So hatte er nicht viel Kraft, sich mit den wirklichen Problemen der Kirche auseinanderzusetzen.

Hat denn Papst Franziskus die Kraft, die aus dem synodalen Prozess entstehenden Veränderungen noch herbeizuführen?

Bis jetzt ja. Seine Änderungen in der Kurie vollzieht er Schritt für Schritt mit jesuitischer Beharrlichkeit und er setzt sehr viele gute Impulse. Ich denke, dass Gedanken, wie die Kirche als Feldlazarett zu sehen, noch einer Vertiefung bedürfen. Das ist die Aufgabe von uns Theologen.

Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie viele richtige Fragen stellen und diese auch sehr schön formulieren, aber dass Sie nicht in die Tiefe gehen und auch keine Lösungswege anbieten. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?

Es gibt einige Fragen, die so gut sind, dass man sie nicht mit Antworten beschönigen soll. Die Fragen sind sehr wichtig und sie sollen auch offenbleiben und provozieren, eigene kreative Antworten zu finden. Theologen sind nicht dafür da, fertige Rezepte anzubieten. Die Situation der Kirche in den verschiedenen Ländern ist sehr unterschiedlich. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, aber wir können dafür die Inspiration liefern.

Sie fordern eine vertiefte Spiritualität. Nun gibt es ja zum Beispiel Priesterbruderschaften, die sich nicht über mangelnden Zulauf und Nachwuchsmangel beklagen, die verfasste Kirche hingegen schon.

Die haben Nachwuchs und Andrang. Mein Eindruck ist aber, dass Priester in bestimmten Bruderschaften eher Sektenpriester sind und keine Kirchenpriester. Was sie anbieten, ist eine Flucht vor der Realität von heute. Sie bieten eine Zuflucht an vor der komplexen und anspruchsvollen Gegenwart. Populisten und Fundamentalisten machen dasselbe. Sie geben einfache Antworten auf komplizierte Fragen, aber das funktioniert nicht. Daher sehe ich in diesem Konservatismus eher eine Analogie zum Populismus in der Politik oder eben zum Fundamentalismus. Das Wort „Religio“ kann man einerseits von „religare“, also „wiedervereinigen“ ableiten, aber auch von „religere“, also neu lesen, die Bibel neu interpretieren und in einen neuen Kontext stellen. Diese Nostalgie nach den guten alten Zeiten hilft uns nicht. Wir sollen Impulse geben für eine kreative Mitgestaltung der heutigen Welt und nicht eine Kontrakultur oder einen Bunker bauen.


Hintergrund

Der tschechische Soziologe, Religionsphilosoph und Priester Tomáš Halík, Jahrgang 1948, hat in seinen Jahren im Untergrund der kommunistischen Diktaturen des Warschauer Paktes gelernt, über den Tellerrand hinaus zu sehen und die europäische Dimension nie aus dem Blick zu verlieren. Halík, der 1990 bis 1993 Generalsekretär der Tschechischen Bischofskonferenzen und externer Berater des tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel war, ist heute nicht nur Professor für Soziologie an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag und Rektor der Universitätskirche Sankt Salvator sowie Präsident der Tschechischen Christlichen Akademie, sondern er war immerhin auch schon Gastprofessor an den Universitäten von Oxford und Cambridge. Internationale Bekanntheit erlangt hatte Halík zuletzt mit seinem Eröffnungsvortrag auf dem Kontinentaltreffen der Weltsynode Anfang Februar in Prag, in dem er mahnte, dass „radikal denken“ müsse, „wer sich auf die Suche nach dem Kern des Glaubens macht und die Kirche verändern will“.

Zuletzt erschien von Tomáš Halík das Buch „Der Nachmittag des Christentums“ (Verlag Herder, Freiburg 2022).

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