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Stefan Zweig: Die Seelenlage quält den Entwurzelten

Stefan Zweig fühlte sich immer als Weltbürger: In seinen Briefen zeigt sich seine vage Beheimatung im kulturellen Judentum aber auch die enge Beziehung zum abendländischen Kulturraum. Am Judentum erklärte er seine Überlegungen zur Nation, über die Kultur definierte er sich als Person.
Stefan Zweig, Schriftsteller
Foto: Imago Images

Nicht nur bewusster Europäer, sondern Weltbürger war Stefan Zweig (1881–1942), einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller der Zwischenkriegszeit, der aber auch heute noch gelesen wird. Er entstammte einer großbürgerlichen Wiener Familie, die nominell jüdisch war, aber nicht praktizierte, wie viele andere dieser Schicht. Zwar gibt es jüdische Anknüpfungen und Motive im umfangreichen Werk des Schriftstellers, aber wie er innerlich zur Herkunftsreligion seiner Familie stand, blieb im Dunkeln. Mehr Licht darauf wirft nun eine Auswahl aus den Briefen, von Stefan Litt, Historiker und Mitarbeiter der National Library of Jerusalem, klug zusammengestellt und kundig kommentiert.

Im Brief-Korpus mit seinen etwa 25 000 Nummern beschäftigen sich keine 150 mit dem Spektrum Judentum, Zionismus und Antisemitismus: Für Zweig waren offenbar andere Themen wichtiger. Doch lässt sich aus der nun veröffentlichten Auswahl einiges ablesen. Grüße zu den jüdischen Feiertagen hat er niemals gesandt; diese, wie auch Weihnachten, waren für ihn nur ein zeitlicher Bezugspunkt. Als er, schon im brasilianischen Exil, vom Rabbiner gebeten wurde, zum Gottesdienst zu erscheinen und eine Aufgabe zu übernehmen, sagt er, freundlich, wie es seine Art war, ab. Er schreibt, dass er „wie die meisten Österreicher sehr lax in Dingen des Glaubens erzogen wurde und ein Unsicherheitsgefühl in einer wahrhaft gläubigen Versammlung nicht bemeistern könnte“. Es sei dies aber keine „Gleichgültigkeit oder Unfreundlichkeit“.

„Es erschien ihm dieses Streben nach Nation-Werdung
geradezu als Verrat an der jüdischen Mission,
sich mit jedem Volk zu verbinden“

Von einem persönlichen Glauben wird man also schwer sprechen können, wobei sich allerdings auch kein Hinweis auf einen erklärten Atheismus findet. Doch war es in der Zeit von Zweigs Heranwachsen und erstem Schaffen in anderer Hinsicht unwichtig, ob ein Jude sich auch als Glaubender deklarierte. Er wurde jedenfalls von der Öffentlichkeit, erst recht vom organisierten Antisemitismus, dem Judentum zugerechnet, selbst wenn er es formal verlassen hatte.

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Noch während des Ersten Weltkriegs bewies Zweig, dienstverpflichtet ins Kriegsarchiv, Weitblick, indem er voraussagte, dass sich nach dem Krieg der Zorn „gegen die Juden entladen wird. Ich bin überzeugt – felsenfest –, dass nach dem Kriege der Antisemitismus die Zuflucht dieses ,Großösterreich‘ sein wird“. Martin Buber schrieb er 1916: „Es ist die Tragöde und der Hymnus des jüdischen Volkes als des auserwählten – aber nicht im Sinne des Wohlergehens, sondern des ewigen Leidens, des ewigen Niedersturzes und der ewigen Erhebung und der aus solchem Schicksal sich entfaltenden Kraft – und der Schluss ist gleichsam die Verkündigung im Auszug aus Jerusalem zum ewig neu gebauten Jerusalem.“ Mit dieser mystischen Sicht der Dinge taugte Zweig schlecht zum Zionisten, der ja in seiner Jugendzeit zur verfassten Bewegung wurde. Mit Theodor Herzl, dem Autor des „Judenstaates“, war er bekannt. Doch für den Kosmopoliten Zweig, für den das Reisen und Kennenlernen fremder Kulturen eine innere Notwendigkeit war, konnte ein Staat der Juden in Palästina nicht die Lösung sein. Mehr noch, es erschien ihm dieses Streben nach Nation-Werdung geradezu als Verrat an der jüdischen Mission, sich mit jedem Volk zu verbinden.

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Weltbürger zu sein, war keine Pose

Wieder gegenüber Buber bekannte er, „dass ich die Diaspora liebe und bejahe als den Sinn seines (des jüdischen) Idealismus, als seine weltbürgerliche allmenschliche Berufung“. Zu erstreben war für ihn vielmehr „dieses Eins sein, ohne Sprache, ohne Bindung, ohne Heimat, nur durch das Fluidum des Wesens“. Auch andere Juden lehnten einen eigenen Staat ab, doch Zweig war darin sehr klar. Dafür ist er, zu Lebzeiten und nach seinem Tod, etwa durch Hannah Arendt, auch lebhaft kritisiert worden. Den Briefen, mit Gesprächspartnern aus der ganzen Welt, kann man entnehmen, dass das Weltbürgertum für Zweig keine Pose war. Seit früher Jugend konnte er es sich leisten, exzessiv zu reisen, die Welt war sein Feld. Sprachlich-gedanklich fest im deutschen Raum verwurzelt, waren ihm jedoch Nationalstolz oder Revanchismus komplett fremd.

So konnte er schreiben: „Ich halte nationale Gedanken, wie den jeder Einschränkung als eine Gefahr und erblicke eigentlich in der Idee, dass das Judentum sich realisieren sollte, ein Herabsteigen und einen Verzicht auf seine höchste Mission. Vielleicht ist es sein Zweck, durch Jahrhunderte zu zeigen, dass Gemeinschaft auch ohne Erde, nur durch Blut und Geist, nur durch das Wort und den Glauben bestehen kann, und dieser Einzigartigkeit sich zu begeben, heißt für mich ein hohes Amt freiwillig niederlegen“. Er fügt allerdings hinzu, dass er nicht „ohne Ehrfurcht sei“ für die, die sich dazu berufen fühlen. In der Tat finden sich mehrere Briefzeugnisse, die aufzeigen, wie Zweig jungen Juden, die sich an den berühmten Autor wandten, Mut macht, nach Palästina zu gehen. Es berührt die Höflichkeit und Ernsthaftigkeit, mit der der Erfolgsschriftsteller Jüngeren wie Älteren schreibt, wie er Kritik stets nur vorsichtig anbringt. Das Jüdische wird ihm wiederholt zum literarischen Thema, etwa in den Erzählungen „Untergang eines Herzens“ (1927), „Buchmendel“ (1929) und „Rahel rechtet mit Gott“ (1930).

Schmerzhafter Verlust der physischen und kulturellen Heimat

 

Es beschäftigt ihn das Judentum als Schicksal und Herausforderung, doch der „gefährliche Traum eines Judenstaates mit Kanonen, Flaggen, Orden“ ist nicht der seine. Die sich ständig verschlechternde Stellung der jüdischen Österreicher und Deutschen nahm er mit wacher Sorge zur Kenntnis und mühte sich jahrelang, eine verurteilende Erklärung weltweit bekannter Intellektueller auf den Weg zu bringen, zu der es letzten Endes nicht kam. Den Briefen entnimmt man, dass er kein Mann der Organisation, des parteiisch gefärbten Engagements war und hier eher glücklos agierte. Seit 1934 im Exil lebend, seit 1940 in Brasilien, fühlte Zweig, dass ihm allmählich die Luft zum Atmen ausging. Er war in einem freien Land, aber er war nicht in seiner Kultur.

„Wir sind lebendige Anomalien, in einer Sprache schreibend und denkend, die uns entzogen wird, in einem Land lebend und an dessen Schicksal gebunden, dem wir nicht ganz verbunden sind ... Ein Königreich für eine Illusion! Ich finde keine und beneide jeden, der jetzt seine Dichterei oder seinen Parteiglauben wichtig nimmt.“ Der Weltbürger ist am Ende seines Weges, es fehlt ihm die deutsche Kultur, von der er sich nie getrennt hat, die sich aber von ihm getrennt hat. „Jeden Tag soll ich raten, helfen und kann mir selbst nicht helfen.“ In der Nacht auf den 23. Februar 1942 nehmen er und seine Frau Gift, „durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft“.


Stefan Zweig: Briefe zum Judentum, hrsg. von Stefan Litt. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin, 2020, 295 Seiten, ISBN 978-3-633-54306-9, EUR 24,–

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