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Jetzt schreibt Kristina Hänel auch noch

Kristina Hänel ist ein Phänomen. Sie sitzt in Talkshows, gibt Interviews, twittert, hält Vorträge, heimst Preise und Ehrungen ein. Jetzt hat sie ein Tagebuch veröffentlicht. Von Stefan Rehder
Kristina Hänel hat ein Buch veröffentlicht
Foto: stock adobe | In den Medien – den klassischen wie den „sozialen“ – ist die wegen Verstoßes gegen das Werbeverbot für Abtreibungen bereits in zwei Instanzen verurteilte Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel omnipräsent.

Kristina Hänel hilft gern. Besonders gerne hilft Hänel Frauen, die „Probleme“ haben. Das wäre eigentlich ein feiner Zug, wenn es sich bei den „Problemen“ nicht um Menschen handeln würde. Denn wo Menschen als „Problem“ betrachtet werden, lassen sich diese gar nicht „lösen“, sondern allenfalls „beseitigen“. Kristina Hänel ist also eine „Problembeseitigerin“. Eine, die gegen Honorar wehrlose und unschuldige Menschen im Mutterleib tötet und die deshalb von Papst Franziskus – ungeachtet des Medienzirkus, der um die Äußerung des Stellvertreters Christi auf Erden veranstaltet wird – zu Recht mit einer Auftragskillerin verglichen wird.

Was viele nicht hindert, Hänel trotzdem den roten Teppich auszurollen. In den Medien – den klassischen wie den „sozialen“ – ist die wegen Verstoßes gegen das Werbeverbot für Abtreibungen bereits in zwei Instanzen verurteilte Gießener Allgemeinärztin denn auch omnipräsent. Sie sitzt in Talkshows wie „Anne Will“, gibt Interviews im Deutschlandfunk, twittert selbst vom Besuch eines Triathlons, hält Vorträge und Lesungen und wird mit Preisen und Ehrungen überschüttet.

Eine ziemlich weinerliche „Ich-über-mich-Geschichte“

Am 9. Juli will nun die Stadt Marburg die „Problembeseitigerin“ im Rathaus mit dem „Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte“ auszeichnen. Wie Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) kürzlich in einer Mitteilung an die Presse schrieb, verteidige Hänel „das Recht von Frauen auf Selbstbestimmung über ihren Körper.“ „Mit ihrer Haltung und ihrem konsequenten Handeln hat sie das Thema zurück in die breite gesellschaftliche Diskussion gebracht und rechtliche und gesellschaftliche Fortschritte entscheidend mit vorangebracht“, so Spies. Die Laudatio auf die Preisträgerin soll übrigens die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) halten.

"Mit ihrer Haltung und ihrem konsequenten
Handeln hat sie das Thema zurück
in die breite gesellschaftliche Diskussion gebracht
Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD)

Seit fast zwei Jahren geht das nun schon so. Gut, könnte man sagen, soll sie doch. Denn solange Hänel in Talkshows sitzt, Vorträge hält, Interviews gibt, twittert und Preise entgegennimmt, kann sie keine vorgeburtliche Kindstötungen vornehmen. Insofern werden Lebensrechtler sicher auch begrüßen, dass Hänel kürzlich unter dem Titel „Das Politische ist persönlich“ das „Tagebuch einer ,Abtreibungsärztin’“ im Hamburger „Argument-Verlag“ veröffentlicht hat. Auch sonst ist die mit 238 Seiten recht üppig ausgefallene und über weite Strecken allerdings ziemlich weinerliche „Ich-über-mich-Geschichte“ nicht ohne Wert.

Voraussetzung ist allerdings, dass sich der Leser für das „Who is who“ der Abtreibungslobby interessiert und für deren Vernetzung mit der Politik. Ein Beispiel: „Die Pro Familia Mainz feiert Jubiläum. 50 Jahre. (...) Ich habe dort 20 Jahre gearbeitet, mich im Landesvorstand engagiert, ich war maßgeblich am Aufbau des Familienplanungszentrums Gießen beteiligt, damals bereits gegen große Widerstände. Aber nachdem ich mich 2001 mit fast dem gesamten medizinischen Team zusammen selbständig gemacht hatte, um Frauen eine bessere, adäquatere Versorgung bieten zu können, habe ich den Kontakt zum großen Teil verloren, wurde auch hier zur Außenseiterin. Ich traf nur gelegentlich einige Kolleginnen von früher auf den internationalen FIAPAC-Kongressen, was immer eine große Freude war.“ FIAPAC ist das Kürzel der englischen Bezeichnung für die „Internationale Vereinigung von Fachkräften zu Schwangerschaftsabbruch und Kontrazeption“.

Oder an anderer Stelle: „Auch mit Vertreter*innen der Parteien ist der Austausch intensiv und spannend, allen voran Cornelia Möhring von den Linken und Ulle Schauws von den Grünen. Es gibt immer wieder gemeinsame Veranstaltungen, wir halten Kontakt über Twitter, die Kooperation ist sachlich und konstruktiv. Wir arbeiten zusammen für ein gemeinsames Ziel: die Rechte der Frauen, die Freiheit der Sexualität.“

Interessant sind die Stellen, in denen Kristina Hänel offene Rechnungen begleicht

Immer wieder taucht auch der Name Kersten Artus auf. In Berlin ist Artus für die Pressearbeit der frauenpolitischen Sprecherin der Linken, Cornelia Möhring, zuständig. In Hamburg führt das ehemalige Mitglied der Hamburger Bürgerschaft als Vorsitzende den Landesverband von „pro familia“. Artus sei ihr, schreibt Hänel in der Danksagung am Schluss, „wie eine Schwester nach kürzester Zeit zur wichtigen Gesprächspartnerin, Ratgeberin, Korrektorin geworden“. Auch ihrem „Freund Christian Fiala“, Österreichs bekanntestem „Problembeseitiger“ und lange Zeit Präsident von FIAPAC, dankt die Abtreibungsärztin, die keine sein will, dort.

Interessant – und nicht ohne Unterhaltungswert – sind auch die Stellen, in denen Hänel offene Rechnungen begleicht. So etwa mit der renommierten emeritierten Kieler Strafrechtsprofessorin Monika Frommel, die sie bei ihrem ersten Prozess vor dem Amtsgericht Gießen vertrat und die gleich an mehreren Stellen des Buches abgewatscht wird. Unter der Überschrift „Mo., 27.11.17 Trennung“ notiert Hänel: „Wessen Show war eigentlich der Prozess? Hauptsächlich Frommels. Sie hat sich ihre Bühne genommen und eine geistreiche Vorlesung gehalten. Die anderen waren Statisten, ich war Requisite. Ich durfte zwei Sätze sagen. Dass ich aus Kassel komme. (...) Und dass ich keinen Doktortitel habe. Das wussten die bei Gericht noch nicht. Jetzt wissen es alle. Als Einzige in der Familie habe ich keinen Doktortitel, wo ich doch Studienstiftlerin war. Man kann also was bewegen ohne Doktor- oder Professorentitel, sieh an. (...) Ich will eine Verteidigerin, keine Wissenschaftlerin, keine, die mir, Kristina Hänel, den Mund verbietet.“

Die Welt der Abtreibungslobby ist klein und überschaubar

Vor dem Landgericht Gießen wird die tief Gekränkte später von Karlheinz Merkel vertreten. Karlheinz Merkel ist übrigens der Bruder des emeritierten Hamburger Strafrechtsprofessors Reinhard Merkel, Mitglied im Deutschen Ethikrat, der auch als Sachverständiger bei der Expertenanhörung des Rechtsausschusses des Bundestags zum § 219a Strafgesetzbuch geladen war. Die Welt der Abtreibungslobby ist eben klein und überschaubar.

Hänels nur mühsam bemäntelter Zorn trifft auch die Wochenzeitung „Die Zeit“. Zu deren Umgang mit ihr notiert sie: „Ich treffe auch eine Redakteurin der ZEIT. Sie begleitet mich, geht mit mir reiten, danach auf eine Abendveranstaltung von Terre des Femmes. Geplant ist eine Gegenüberstellung des ,Abtreibungsgegners’ Cullen auf der einen Seite und ein Porträt über mich auf der anderen Seite. Ich freue mich, dass die ZEIT, die sich bisher zurückgehalten hat, berichten will. Wegen des SZ- und des Chrismon-Artikels soll das ZEIT-Porträt nicht vor Anfang August erscheinen. Ich wundere mich, dass sie keine Fotografin schicken. Das ganzseitige Porträt über Paul Cullen wird gedruckt, das Porträt über mich nicht. Ich frage mich, ob es daran liegt, dass der Chefredakteur katholisch ist.“ (...) Mit der Redakteurin kann ich die Sache nicht klären, sie arbeitet nicht mehr bei der ZEIT. Ich habe inzwischen aufgehört, mich über derartige Ambivalenzen und einseitigen Darstellungen zu wundern. ZEIT online hat schon mehrfach berichtet. Die Mehrheit der Presse reagiert anders als die ZEIT. Sie ignoriert das Thema und meine Person nicht. Das sollte reichen, um die Realität abzubilden.“

An Selbstentblößungen herrscht kein Mangel

Am 12. Januar 2018 notiert die mitteilungsbedürftige Ärztin, die sich merkwürdigerweise an andere Stelle dafür feiert, dass sie sich zu einer „öffentlichen Person“ habe machen lassen, unter den Überschrift „Unser Alltag“: „So viele Jahre habe ich mir gewünscht, dass mir jemand zuhört. (...) Jetzt wollen mir alle Fragen stellen. Alle wollen hören, was ich zu sagen habe. Erstaunlich ist das. Aber ich finde es richtig. Endlich! Endlich hören sie mir zu.“

In dem an Selbstentblößungen reichen Buch schildert Hänel im selben Kapitel und nur eine Buchseite weiter auch eine Abtreibung in ihrer Praxis: „Heute kommt eine Frau mit einem deutlich jüngeren Freund. Ich hätte auch denken können, es wäre der Sohn. Ist aber ihr Freund und sie findet, es passt ganz gut. Sie ist alleinerziehend, hat schon zwei Kinder und mehr geht nicht in ihrer Situation. Wir unterhalten uns über die Kindergartenregelung, die es nicht zulässt, dass ihr kleines Kind von der inzwischen 14 Jahre alten Schwester abgeholt wird. (...) Als der Abbruch fertig ist, zieht meine sanfte, vorsichtige, gewissenhafte Krankenschwester der Frau wie immer bei uns die Unterhose an. Die bedankt sich und fragt, ob sie das jeden Tag buchen kann. Nein, sagen wir, aber sie könne das vielleicht ihrem Partner beibringen. Dann kommt der übliche Scherz, dass Männer ja immer nur aus- und nicht anziehen können. Dann sagt sie, das Hauptproblem bei ihm sei, das er nicht mal den BH aufkriegt. Mmh, schade eigentlich, sie könne ihm ja zum Üben einen zu Weihnachten schenken, schlägt meine Krankenschwester vor. Ja, manchmal sind auch bei uns Gespräche über Banalitäten möglich – auch nötig.“ Was wohl Hannah Arendt davon gehalten hätte?

Kristina Hänel: Das Politische ist persönlich. Tagebuch einer „Abtreibungsärztin“. Argument Verlag, Hamburg 2019, 238 Seiten, EUR 15,00

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