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Zum Tod von Günter Figal: Zwischen Phänomenologie, Hermeneutik und Heidegger

Der Philosoph und frühere Vorsitzende der Martin-Heidegger-Gesellschaft ist im Alter von 74 Jahren gestorben.
Günter Figal
Foto: Antonia Egel | Der Philosoph Günter Figal ist am vergangenen Mittwoch im Alter von 74 Jahren in Ulm gestorben.

Das Denken lediglich zu denken beziehungsweise Philosophie ausschließlich als abstrakte Reflexionswissenschaft zu betrachten, ist in der deutschen Philosophiegeschichte nicht selten anzutreffen. Anders jedoch bei Günter Figal – denn der am vergangenen Mittwoch im Alter von 74 Jahren verstorbene Denker fühlte sich im Gegensatz zu vielen seiner Fachkollegen eher dem Prinzip Edmund Husserls beziehungsweise demjenigen der Phänomenologie, „zurück zu den Sachen“ zu gehen, verpflichtet.

Akademische Lehrer: Gadamer, Henrich und Tugendhat

Figal, 1949 in Velbert-Langenberg geboren, studierte in Heidelberg Philosophie und Germanistik, wo Hans-Georg Gadamer, Dieter Henrich, Michael Theunissen und Ernst Tugendhat zu seinen akademischen Lehrern gehörten. 

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1976 promovierte er mit einer Arbeit über das Naturschöne in Adornos Ästhetik, 1987 wiederum habilitierte Figal sich mit einer Arbeit über das Freiheitsverständnis Heideggers in „Sein und Zeit“. 1989 erhielt er einen Ruf an die Universität Tübingen, 2002 erfolgte der Ruf auf den Lehrstuhl, den vor ihm Edmund Husserl und Martin Heidegger innehatten.

Von Sokrates bis Heidegger

Die Bandbreite der Denker, denen sich Figal im Laufe seines akademische Lebens widmete, war immens: Denn egal, ob antike Denker wie Sokrates und Platon oder moderne Vordenker wie Kant, Hegel, Kierkegaard, Nietzsche, Valéry, Adorno oder Heidegger – in zahlreichen Büchern und Essays gelang es Günter Figal, einigen der großen Meisterdenkern der Philosophiegeschichte neue Aspekte abzugewinnen sowie deren Denken für eigene philosophische Untersuchungen fruchtbar zu machen.

Wie zum Beispiel für  größere Untersuchungen wie „Gegenständlichkeit“ (2006) und „Erscheinungsdinge“ (2010): In ersterem Buch legt Figal – hierin Heidegger und Gadamer folgend - die Schwierigkeiten der Formulierung einer phänomenologisch-hermeneutischen Philosophie unter modernen Vorzeichen dar, um schließlich die Welt selbst als „hermeneutischen Raum“ zu betrachten, welcher den Dimensionen „Freiheit“, „Sprache“ und „Zeit“ unterworfen ist. Ziel einer zeitgemäß-angemessenen Hermeneutik müsse es sein, die in diesem Raum befindlichen Gegenstände unmittelbar zu verstehen und sich all dem, welches einem adäquaten Verständnis entgegensteht, zu widersetzen. In „Erscheinungsdinge“ schließlich formulierte Figal im Anschluss an Immanuel Kant und Paul Valéry eine phänomenologische Ästhetik, anhand welcher er sowohl Kunstgegenständen als auch Erzeugnisse aus Musik, Architektur und Malerei zu Phänomenen an sich beziehungsweise Erscheinungsdingen erklärt.

2015: Abkehr von Heidegger

Von 2003 bis 2015 war Figal zudem Vorsitzender der Martin-Heidegger-Gesellschaft und seit 2009 unter anderem Herausgeber der Reihe Heidegger Forum im Verlag Vittorio Klostermann. 2015 jedoch trat Figal als Vorsitzender der Martin-Heidegger-Gesellschaft zurück, da er aufgrund des rasenden Antisemitismus Heideggers, welcher im Rahmen der Heidegger-Gesamtausgabe veröffentlichten „Schwarzen Hefte“ publik wurde, sich außer Stande sah, die Gesellschaft und die Person weiterhin zu repräsentieren.

Günter Figal ist am vergangenen Mittwoch im Alter von 74 Jahren in Ulm gestorben.

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