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Wolfgang Bosbach : „Es geht um Krieg oder Frieden“

Man kannte den Christdemokraten Wolfgang Bosbach (70) als Innenexperten, Juristen, standpunktfesten Politiker und bekennenden Katholiken. 2017 zog er sich nach 23 Jahren im Bundestag wegen einer schweren Krankheit aus der Politik zurück. Im Interview beweist er, dass er ein hellwacher Beobachter geblieben ist.  
Wolfgang Bosbach (CDU), Politiker und ehemaliger Abgeordneter (MdB) des Deutschen Bundestages.
Foto: Rolf Vennenbernd (dpa) | ARCHIV - 10.10.2018, Nordrhein-Westfalen, Bergisch Gladbach: Wolfgang Bosbach (CDU), Politiker und ehemaliger Abgeordneter (MdB) des Deutschen Bundestages.

Herr Bosbach, 2017 haben Sie sich nach 23 Jahren aus dem Bundestag zurückgezogen und befinden sich eigentlich im Ruhestand. Aber der ist gar nicht so ruhig, denn Sie sollen immer noch eine 60-Stundenwoche haben. Stimmt das?

Richtig! Ich habe kein öffentliches Amt mehr inne, bin kein Mandatsträger mehr. Aber ich bin nach wie vor in der ganzen Republik unterwegs. In der Regel arbeite ich vormittags ganz normal als Anwalt in der Kanzlei und nachmittags oder am frühen Abend geht es dann zu ganz verschiedenen Veranstaltungen zwischen Flensburg und Mittenwald.

Seit 2012 leiden Sie unheilbar an Prostatakrebs. Welche Rolle spielt denn da vielleicht auch der Glaube bei Ihnen persönlich?

Der Glaube heilt leider nicht, aber er hilft. Ich weiß ja nicht, wie lange ich schon an Krebs leide. Ich weiß nur, wann er entdeckt wurde   2010. Zunächst hatte ich ja die Hoffnung, dass sich der Krebs durch klassische Methoden wie Operation und Strahlentherapie besiegen ließe. Das hat sich dann allerdings nach zweieinhalb, drei Jahren als trügerische Hoffnung herausgestellt. Das war die eigentliche Zäsur, und da hilft der Glaube in der Tat. Unser christlicher Glaube ist ja eine frohe Botschaft des Herrn, keine traurige. Und ich glaube, man sieht manches im Leben etwas anders, wenn man so eine Diagnose bekommen hat. Nur ein Beispiel: Ich bin viel gelassener geworden und wundere mich immer wieder, wenn sich Menschen fürchterlich aufregen über irgendwelche Dinge, die schiefgelaufen sind. Ich habe ganz andere Probleme. Dann denke ich spontan: Wir können gerne sofort tauschen.

„Wieso hätte das ausgerechnet alles an dir vorbeigehen sollen?“

Nun gab es sicher auch Momente, wo Sie vielleicht auch persönlich mit Gott gehadert haben. Was hat Ihnen denn in diesen Momenten geholfen?

Das ist eine gute Frage, denn ich habe ja schon seit 1994 ein veritables Problem mit meinem Herzen. Seit knapp 20 Jahren trage ich Herzschrittmacher und Defibrillator. Ich habe lange Jahre gedacht: Jeder hat sein Päckchen zu tragen   das ist dann eben deins. Aber dann kam die Krebserkrankung noch dazu. Dann hadert man in der Tat mit dem lieben Gott. Dann hat mir jemand gesagt: Frag dich doch mal anders: "Wieso hätte das ausgerechnet alles an dir vorbeigehen sollen?" Aus einer etwas anderen Perspektive fasse ich das mal so zusammen: Ich habe in den 70 Jahren meines bisherigen Lebens sehr viel Glück gehabt, aber eben auch zwei Mal richtig Pech.

Wie bewerten Sie denn die aktuelle Situation Ihrer Partei? Wie macht sich die CDU in der Opposition?

Wir haben das Tal der Tränen endgültig durchschritten. Das sieht man auch an den demoskopischen Befunden. Wir haben als CDU die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, in meinem Heimatland, mit einem erfreulich guten Ergebnis abgeschlossen. Das hat der Partei neuen Schwung gegeben. Das war ja bei der Bundestagswahl leider umgekehrt. Es ist im Moment nicht einfach, als Opposition ein klares politisches Profil zu gewinnen. In vielen Fragen müssen wir der Regierung sogar helfen. Es handelt sich ja um epochale Krisen. Es geht um Krieg oder Frieden, die Sicherung des Wirtschaftsstandorts und den Erhalt des sozialen Friedens.

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Wie bewerten Sie denn die Haltung der Regierung in Bezug auf den Krieg in der Ukraine?

Es ist schon interessant zu beobachten, wie sich die Verhältnisse ändern, wenn man mit der Realität konfrontiert wird. Vor noch nicht mal einem Jahr haben die Grünen plakatiert: Keine Waffenlieferungen in Spannungsgebiete! Jetzt liefern sie Waffen in Kriegsgebiete. Wer hätte denn vor einem Jahr gedacht, dass ein grüner Wirtschaftsminister nach Katar fliegt, um für Deutschland fossile Brennstoffe zu organisieren? Ich kritisiere das gar nicht. Ich kritisiere nur, dass jetzt eine 180-Grad-Wende hingelegt wird ohne den Satz: Wir haben uns getäuscht, wir haben uns geirrt.

Es ist ja richtig, dass die Bundeswehr auch zu Zeiten der Verantwortung der Union unterfinanziert war. Richtig ist aber auch, dass jede Investition in die Bundeswehr mit dem Hinweis "Keine Militarisierung der Außenpolitik   keine neue Aufrüstung   kein neues Wettrüsten" kritisiert wurde. Und jetzt kommt das 100 Milliarden-Paket für die Bundeswehr. Halte ich auch für richtig. Aber der Kurswechsel, den Rotgrün da hingelegt hat, der ist schon atemberaubend. Für falsch halte ich, dass wir energiepolitisch aus fast allem gleichzeitig aussteigen wollen und dann auch noch erklären, wir müssten uns unabhängiger machen.

Wir steigen aus der Steinkohleverstromung, der Braunkohleverstromung und der friedlichen Nutzung der Kernenergie aus. Fracking wollen wir natürlich auch nicht, sind aber fröhlich dabei zu organisieren, dass im Ausland gefracktes Gas nach Deutschland importiert und hier genutzt werden kann. Und wir haben auch überhaupt keine Probleme damit, Atomstrom aus Frankreich zu importieren  Warum? Weil es ohne nicht geht. Anders formuliert: Wir können dankbar sein, dass andere Staaten unseren Weg nicht gehen.

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Stichwort Familienpolitik. Zur Förderung der Vielfalt will die Ampelkoalition die sogenannte Verantwortungsgemeinschaft einführen. Es wird von einer Zeitenwende im Familienrecht gesprochen. Wie viel Fortschritt steckt denn aus Ihrer Sicht in einem solchen Ansatz?

Wie definiert man Fortschritt? Wir kennen bis jetzt nur die Ankündigungen des Bundesjustizministers, aber noch nicht das Kleingedruckte. Man sollte nun wirklich nicht den Eindruck erwecken, als sei es nach geltendem Recht nicht möglich, dass Erwachsene füreinander Verantwortung übernehmen. Selbstverständlich ist das möglich. Deswegen frage ich mich immer, was sich durch die neue Rechtslage gegenüber der herkömmlichen Rechtslage in der Praxis tatsächlich ändern soll. Ist das ein Fortschritt, der den Namen verdient, oder ist das lediglich eine rechtliche Änderung, über die man auch streiten kann?

Es wird nicht mehr lange dauern, da ist jeder ‚rechts‘, der von nur zwei Geschlechtern ausgeht

Viel diskutiert wird auch rund um den Lebensschutz, Stichwort Abtreibung, Abschaffung des Werbeverbotes für Abtreibungen, also der Paragraf 219a, aber auch die rechtliche Neuregelung der Suizidbeihilfe. Wie weit darf denn individuelle Selbstbestimmung gehen und wo sind die Grenzen?

Fangen wir mal beim Paragraphen 219a StGB an. Mich hat schon die Begründung der Gesetzesänderung gewundert. Die Tötung ungeborenen Lebens ist kein medizinischer Eingriff wie andere Eingriffe aus Gründen einer Heilbehandlung auch. Die Begründung war atemberaubend: Man müsse sich doch informieren dürfen! Das ist nun auch nach altem Recht wirklich möglich gewesen. Ich bin mal gespannt, ob die Koalition eines Tages auch noch das Verbot der Tötung auf Verlangen in Frage stellen wird. Ich hoffe nicht. Ein selbstbestimmtes Sterben ist auch nach unserer heutigen Rechtslage möglich. Es ist schon interessant, dass wir uns auf der einen Seite nach Kräften Tag für Tag darum bemühen, Selbsttötungen zu verhindern.

Sehr oft müssen Polizei oder Feuerwehr ausrücken, wenn jemand damit droht, sich selber zu töten, aus welchen Gründen auch immer. Aber auf der anderen Seite soll die Selbsttötung erleichtert werden. Ich selber maße mir nicht an, ein Urteil über diejenigen zu fällen, die vom Leben loslassen wollen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es Menschen gibt, die sich in existenziellen Nöten befinden, die nur noch unter Schmerzen und Leiden leben können. Wo es nicht mehr um Verlängerung eines lebenswerten Lebens geht, sondern aus ihrer Sicht um die Verlängerung von Leiden. Da habe ich großes menschliches Verständnis! Aber gleichzeitig – siehe die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu dieser Thematik – hat der Staat auch die Pflicht, Leben zu schützen, zu erhalten, wo es in Gefahr ist.

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Die Bundesregierung will auch das Transsexuellengesetz abschaffen und durch das sogenannte Selbstbestimmungs-Gesetz ersetzen. Die ehemalige CDU-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder schrieb in einem Beitrag für die "Welt": Bei Fragen der Elternschaft oder des Geschlechtes glaubt die Bundesregierung offenbar, dass die menschliche Biologie inzwischen irrelevant sei“. 

Ja, ich habe den Artikel meiner ehemaligen Kollegen Kristina Schröder gelesen. Ich kann den Artikel nur unterschreiben. Es wird nicht mehr lange dauern, da ist jeder "rechts", der von nur zwei Geschlechtern ausgeht. 

Wie sehr brauchen denn die Gesellschaft und Politik wieder das "C"?

Ich hoffe, dass es nicht komplett verloren geht. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass nur diejenigen, die sich bei CDU oder CSU engagieren, Politik aus christlicher Überzeugung machen können. Das gibt es sicher auch in anderen Parteien. Aber: Das ist nicht nur eine politische, es ist auch eine gesellschaftliche Debatte. Das "C" sagt ja, dass der Mensch nicht Teil einer großen Masse ist, für die der Staat die Verantwortung trägt, sondern das Ebenbild Gottes, dass er eine eigene Würde hat. Und dass er nicht nur für sich selber verantwortlich ist, sondern auch für seine Nächsten, für die, die ihm nahestehen oder anvertraut sind. Unter diesem Blickwinkel Politik zu gestalten oder etwas mehr diesem Blickwinkel politische Beachtung zu schenken, das würde dem Land und der Gesellschaft guttun. 


Am 19. Oktober erscheint im Econ Verlag das neue Buch von Wolfgang Bosbach: "Wer glaubt uns noch?"
Die ausführliche Fassung des hier gekürzt wiedergegebenen Interviews ist morgen,
am Freitag, um 12.15 Uhr auf Radio Horeb zu hören.
Danach ist es abrufbar in der Radio Horeb-Mediathek unter
www.horeb.org/mediathek/podcasts/interviewdestages/

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

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