Man muss schon bis zum Friedensappell von Johannes XXIII. an Kennedy und Chruschtschow vom 24. Oktober 1962 zurückgehen – den Radio Vatikan dann einen Tag später auch öffentlich machte –, um einen Vergleich ziehen zu können. Am vergangenen Sonntag hat Papst Franziskus die Betrachtung zum Sonntagsevangelium vor dem Gebet des „Angelus“ ausfallen lassen und eindrücklich vor der Gefahr eines Weltkriegs gewarnt.
1962 stand die Welt wegen der Kuba-Krise vor einem Atom-Krieg. Johannes XXIII. flehte die Regierenden in dramatischen Worten an, Verhandlungen aufzunehmen. Franziskus wandte sich aber jetzt, zum ersten Mal nach etwa achtzig Friedensappellen zum Ukraine-Krieg, ausdrücklich und direkt an den Aggressor: „Mein Appell richtet sich in erster Linie an den Präsidenten der Russischen Föderation, den ich bitte, diese Spirale der Gewalt und des Todes auch um seines Volkes willen zu beenden.“ Das ist neu. Das hat Franziskus in der Deutlichkeit noch nicht vor der Weltöffentlichkeit gesagt.
Kein Diktatfrieden, sondern ernsthafte Verhandlungen
Der Papst wandte sich auch an den ukrainischen Präsidenten, formulierte aber klar, dass sich jetzt nicht wie 1962 zwei gleichgroße Mächte gegenüberstehen: „Andererseits appelliere ich angesichts des unermesslichen Leids des ukrainischen Volkes infolge der erlittenen Aggression ebenso zuversichtlich an den Präsidenten der Ukraine, für ernsthafte Friedensvorschläge offen zu sein.“ Franziskus verlangte also nicht, einen Ditkatfrieden zu akzeptieren, wie ihn Außenministerin Annalena Baerbock formuliert: Wir rauben euer Land, unterwerfen eure Bürgerinnen und Bürger, und ihr dürft das dann unterschreiben. „Das ist das Gegenteil von Frieden. Das ist Terror und Unfreiheit“, sagte Baerbock, wie es wohl auch der Papst so sieht. Die Stoßrichtung von Franziskus zielt ganz in Richtung Kreml.
Die Welt wird atomar bedroht
Das aber auch, weil nicht in Washington oder Brüssel, sondern in Moskau der Schlüssel für die kommenden Entwicklungen liegt. „Es ist bedauerlich, dass die Welt die Geografie der Ukraine durch Namen wie Bucha, Irpin, Mariupol, Izium, Saporischschja und anderer Städte kennenlernt, die zu Orten unbeschreiblichen Leids und unbeschreiblicher Angst geworden sind“, sagte Franziskus am Sonntag. „Und was ist mit der Tatsache, dass die Menschheit erneut mit einer atomaren Bedrohung konfrontiert ist? Das ist absurd.“ 1962 ging die Gefahr eines Atomkriegs von zwei Supermächten aus, die aber auf ihre Weise noch rational zu handeln vermochten. Die „Prawda“ druckte damals den Appell von Johannes XXIII. ab. Putin dagegen scheint die NATO und die Vereinigten Staaten mit allen Mittel in einen heißen Konflikt hineinziehen zu wollen.
Das Risiko der nuklearen Eskalation
Während man in Deutschland kurzsichtig auf Gaspreise und Energiesparen stiert, ist die Gefahr eine ganz andere: Franziskus sprach am Sonntag von der nächsten Stufe der Eskalation, die Putin eingeleitet hat: „Ich bedauere zutiefst die ernste Situation, die in den letzten Tagen entstanden ist, mit weiteren Aktionen, die den Grundsätzen des Völkerrechts widersprechen“, meinte der Papst und sprach auch die Folge der völkerrechtswidrigen Annexion ukrainischen Staatsgebiets an: „Sie erhöht das Risiko einer nuklearen Eskalation bis hin zur Befürchtung unkontrollierbarer und katastrophaler Folgen weltweit.“ 1962 haben die Christen für den Erhalt des Friedens gebetet. Tun sie es 2022 auch?
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