Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Apostolisches Schreiben von Papst Leo

Die Sorge für die Armen als Weg der Nachfolge Christi

Das erste Schreiben von Leo XIV. ist zugleich das letzte von Papst Franziskus. Auffallend ist der christologische Kern.
Papst Leo XIV.
Foto: Imago/Independent Photo Agency | Was Franziskus in der Regel nicht mehr gemacht hat: Papst Leo unterzeichnet mit der Mozzetta bekleidet am 4. Oktober im Beisein des Substituten, Erzbischof Edgar Peña Parra, das Schreiben „Dilexi te“.

Das erste Apostolische Schreiben von Papst Leo, das der Vatikan vor einer Woche nicht als Enzyklika, sondern als „Exhortation“ (Ermahnung) unter dem Titel „Dilexi te“ (Ich habe dich geliebt) veröffentlicht hat, ist auf keine große Resonanz gestoßen. Der eine Grund war ein äußerer Umstand: In der Nacht zuvor hatte der amerikanische Präsident Donald Trump die Einstellung der Kampfhandlungen im Gaza-Streifen und die Freilassung der israelischen Geiseln angekündigt. Die Medien hatten im Verlauf des Tages genügend zu tun, diese Wende in Nahost auszuleuchten und zu erklären – das Papstschreiben geriet in allen Nachrichten zur Randnotiz.

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Die beiden anderen Gründe für das eher schwache Echo waren hausgemacht: Schon Wochen zuvor hatte die Information die Runde gemacht, dass der am 4. Oktober, dem Festtag des heiligen Franz von Assisi, unterzeichnete Text weitgehend aus der Feder von Papst Franziskus stammt, es sich somit nicht um das erste originale Lehrschreiben des neuen Papstes handelt.

Lob von Bischöfen und caritativen Einrichtungen

Den anderen Grund lieferte das Heilige Jahr. Während die beiden Kurienkardinäle Mihael Czerny und Konrad Krajewski das neue Dokument im Pressesaal des Vatikans vorstellten, feierte draußen auf dem Petersplatz Papst Leo eine Messe mit Ordensmännern und vor allem Ordensfrauen aus aller Welt, das Jubiläum der geistlichen Berufe hatte begonnen, dicht gefolgt vom Jubiläum der marianischen Frömmigkeit am Samstag und Sonntag, mit Abordnungen von Marienheiligtümern und Bruderschaften aus etwa hundert Ländern, die das lieferten, was die Medien nun einmal brauchen: Gesichter, Stimmen und bunte Bilder – nicht zuletzt die von der Marien-Statue aus Fatima, die prominenter „Gast“ bei der Gebetsvigil für den Frieden am Samstagabend und der Messe am Sonntag war.

Bischöfe und caritative Einrichtungen in aller Welt haben das Schreiben „Dilexi te“ durchweg begrüßt und gelobt. Aber selbst Kritiker des Vorgängers von Papst Leo wie Roberto Mattei, italienischer Historiker und Fachmann für das Zweite Vatikanum, der als Gründer der konservativen „Lepanto Foundation“ auch publizistisch tätig ist, können mit „Dilexi te“ leben, obwohl es eher das letzte Schreiben von Franziskus als das erste von Papst Leo ist. „Das Thema Armut“, schreibt Mattei in seinem Kommentar, „ist zwar ,bergoglianisch’, doch der Ansatz ist nicht derselbe. Papst Franziskus schien auf ein aktives politisches und soziales Engagement zu drängen, während Leo XIV. zu moralischem und karitativem Engagement aufruft. Franziskus schrieb den Volks-Bewegungen als Architekten der sozialen Gerechtigkeit eine vorherrschende Rolle zu. Leo bezieht sich auf sie in allgemeiner und untergeordneter Weise, und zwischen den beiden Polen Gerechtigkeit und Nächstenliebe, um die sich die Debatte über die soziale Frage im letzten Jahrhundert gedreht hat, scheint er der Nächstenliebe eine vorrangige Rolle zuzuschreiben.“

Leise Kritik an der „Wirtschaft, die tötet“

Theologen im deutschsprachigen Raum heben bei aller Zustimmung zu dem Papst-Schreiben hervor, dass auch Leo XIV. wie sein Vorgänger von „der Wirtschaft, die tötet“ spricht, wobei die Segnungen einer sozial abgefederten Marktwirtschaft ausgeblendet würden. Der Kölner Sozialethiker Elmar Nass schreibt, er hätte sich „statt der pauschalen Markt-Schelte eine differenziertere Wahrnehmung der positiven Gerechtigkeitseffekte eines ethisch gerahmten Marktes sowie der Symbiosen aus Markt und Humanität etwa in Ordnungen wie der Sozialen Marktwirtschaft oder einer Marktidee der Befähigungsfreiheit (Amartya Sen) gewünscht. Der Markt steht nämlich nicht – wie suggeriert – grundsätzlich im Gegensatz zur Wahrung der Menschenwürde und Menschenrechte. Das hatte schon Johannes Paul II. in seiner Enzyklika ‚Centesimus Annus’ systematisch herausgearbeitet, dessen Erbe in der Exhortation aus meiner Sicht mehr Würdigung verdient hätte.“ Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück stellt eine ähnliche Frage: „Im Blick auf die wachsende Schere zwischen Arm und Reich greift Leo die unter Ökonomen als unterkomplex eingestufte Rede von der ,Diktatur einer Wirtschaft, die tötet‘ (Franziskus) auf. Warum stellt er nicht klar heraus, dass die Marktwirtschaft überhaupt erst die Bedingungen geschaffen hat, das globale Problem der Armut zu lösen, und votiert für eine soziale Marktwirtschaft, wie das Papst Johannes Paul II. in ,Centesimus annus‘ (1991) getan hat?“

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Dennoch fällt auf, dass „Dilexi te“ wesentlich christusorientierter ist, als es in der Verkündigung von Papst Franziskus oft klang. Das 50-seitige Dokument umfasst 121 Absätze und ist in fünf Kapitel sowie eine Einleitung gegliedert. Das umfangreiche dritte Kapitel, das zugleich das anschaulichste ist, stellt die zentrale Bedeutung der Liebe zu den Armen im Neuen Testament, bei Kirchenlehrern und Heiligen und vielen Ordensgründungen heraus. Ein Zitat mag genügen, das zeigt, wie sehr die Sorge für die Armen für Papst Leo eine unmittelbare Konsequenz der gelebten Nachfolge Jesu Christi ist.

Gott belohnt die Liebe zu den Armen

Es ist ein Zitat von Augustinus, dem Papst Leo besonders verbunden ist. Der heilige Bischof von Hippo habe in der Fürsorge für die Armen einen konkreten Beweis für die Aufrichtigkeit des Glaubens gesehen, heißt es in „Dilexi te“ und der Papst fährt fort: In seinem Kommentar zur Begegnung Jesu mit dem reichen jungen Mann habe Augustinus dem Herrn folgende Worte in den Mund gelegt, die deutlich machten, dass Gott das hundertfach zurückgeben werde, was die Geringsten empfangen hätten: „Die Erde habe ich empfangen, den Himmel werde ich geben; vergängliche Güter habe ich empfangen, ewige Güter werde ich zurückgeben; Brot habe ich empfangen, das Leben werde ich geben. […] Gastfreundschaft habe ich erhalten, ein Haus werde ich geben; ich bin besucht worden, als ich krank war, Gesundheit werde ich verleihen; ich bin im Gefängnis aufgesucht worden, Freiheit werde ich schenken. Das Brot, das ihr meinen Armen gegeben habt, ist verbraucht worden, doch das Brot, das ich geben werde, wird euch nicht nur erquicken, sondern es wird niemals zur Neige gehen.“

Der Allerhöchste, schreibt Papst Leo weiter, lasse sich in seiner Großzügigkeit gegenüber denen, die ihm in den Bedürftigsten dienen, nicht übertreffen: „Je größer die Liebe zu den Armen ist, desto größer ist der Lohn vonseiten Gottes.“ Diese „christozentrische und zutiefst kirchliche Sichtweise“, schreibt der Papst, führe zu der Überzeugung, „dass Gaben, die aus Liebe gegeben werden, nicht bloß die Not des Nächsten lindern, sondern auch das Herz des Gebenden läutern, wenn er bereit ist, sich zu ändern“. Es handele sich sozusagen „um den normalen Weg der Bekehrung für diejenigen, die Christus mit ungeteiltem Herzen nachfolgen wollen.“

„Christus mit ungeteiltem Herzen nachfolgen“

So will auch „Dilexit te“ weder eine sozialethische Analyse des weltweiten Phänomens der Armut sein, noch will der Papst Lösungen zur Regelung der Migrationsströme vorschlagen oder Ratschläge zum Umgang mit Flüchtlingen geben. Es geht vielmehr um die Perspektive, mit der die Kirche auf die Armen schaut, eben „aus dem Bewusstsein“ heraus, „Söhne und Töchter Gottes zu sein“, eines Gottes, „der uns den Wert des menschlichen Lebens gelehrt hat“, heißt es in „Dilexi te“. Wie schon für Franziskus ist auch für seinen Nachfolger der Blick entscheidend, mit dem jeder einzelne Gläubige auf die armen Menschen schaut.

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„Hier geht es nicht um Wohltätigkeit“, schreibt Papst Leo, „sondern um Offenbarung: Der Kontakt mit denen, die keine Macht und kein Ansehen haben, ist eine grundlegende Form der Begegnung mit dem Herrn der Geschichte.“ Und: „Im verwundeten Gesicht der Armen sehen wir das Leiden der Unschuldigen und damit das Leiden Christi selbst.“ Die Botschaft ist klar: Christen dürfen die Armen nicht nur den staatlichen Fürsorge-Institutionen oder den auf caritative Arbeit spezialisierten NGO’s überlassen. Vielmehr sei die Begegnung mit einem Armen für jeden Einzelnen eine Begegnung mit dem Mensch gewordenen Sohn Gottes.

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