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Der doppelte Papst

Vor zehn Jahren gewählt und heute ein Liebling der Medien. Doch das Wendejahr 2018 brachte noch einen ganz andern Franziskus zum Vorschein.
Coronavirus - Papst Franziskus
Foto: Evandro Inetti (ZUMA Wire) | Papst Franziskus weiß sich in den Medien zu präsentieren. Hier vor der Kirche Santo Spirito in der Nähe des Vatikan.

Franziskus ist nicht der verlängerte Arm des alten, christlichen Europas, der eine zweitausend Jahre alten Tradition verkörpert, wenn er die weite Welt bereist. Franziskus ist der erste Papst der Geschichte, der als der verlängerte Arm der armen Südhälfte des Globus in Rom aufschlug und dort am 14. März 2013 als Papst der katholischen Weltkirche aufwachte. Am Nachmittag zuvor hatten ihn die 115 Wahlmänner zum 266. Nachfolger Petri gewählt. 

Franziskus zog eine klare Grenze zwischen sich und der Kurie

Was macht ein frisch gewählter Papst, wenn er in "feindlicher" Umgebung erwacht? Was hatte Benedikt XVI.  gemacht, als er 2005 in die Hochburg der kurialen Partei umzog, in den Apostolischen Palast mit dem Staatssekretariat, das nicht immer der in Fragen des Glaubens und der Moral konsequenten Linie der Glaubenskongregation gefolgt war, sondern unter Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano einen - siehe Schwangerschaftskonfliktberatung in Deutschland oder die "causa Marcial Maciel" - bisweilen recht weiten Ärmel hatte? Er ernannte, als die Zeit gekommen war, einen Mann zum Staatssekretär, dem er absolut vertrauen konnte: Kardinal Tarcisio Bertone, der ihm von 1995 bis 2002 den Betrieb des Glaubensdikasteriums organisiert hatte. 

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Und Franziskus? Was machte Bergoglio als neuer Papst, als er sich ins Zentrum des von ihm gar nicht geliebten Vatikans versetzt sah? Er war wesentlich radikaler als Ratzinger: Er zog erst gar nicht in den Apostolischen Palast ein. Ein - immerhin besser ausgestattetes - Appartement im vatikanischen Gästehaus Santa Marta zur päpstlichen Residenz zu machen, war die erste einschneidende Entscheidung von Franziskus, mit der er deutlich machen wollte, nicht alles, aber vieles anders machen zu wollen als seine Vorgänger. Er habe sich bei der Besichtigung der Papstwohnung nicht wohl gefühlt, erklärte er später, gab sogar psychologische Gründe an. Er brauche Menschen um sich herum. Daran hätte es ihm auch nicht in der "terza loggia" des Apostolischen Palasts mangeln müssen. Aber der Schritt war wohl kalkuliert: Franziskus zog eine klare Grenze zwischen sich und der Kurie.

Der "Papst der Armen" - eine Erfolgsgeschichte

Schon am Abend des Wahltags hatte sich Jorge Mario Bergoglio der Masse auf dem Petersplatz ohne Mozetta und Stola als einfacher Bischof von Rom vorgestellt. Den ersten Ritus der Fußwaschung vollzog er in der Jugendstrafanstalt "Casal del Marmo", unter anderem mit Frauen und Muslimen. Wer darauf gewartet hatte, dass Franziskus mit einem Kreuzstab aus Holz erscheinen würde, musste nur bis zu seinem Besuch auf der Flüchtlings-Insel Lampedusa warten.

In Santa Marta machte Franziskus seine eigene "Kurie" auf, empfing Bekannte und Journalisten, ohne dass das Staatssekretariat oder das Medienamt davon etwas wussten. Und das geschickte Spiel mit Presse und Fernsehen funktionierte prächtig. Wenn Franziskus im Kleinwagen losfuhr, um eine Brille abzuholen und zu bezahlen, hatte er zumindest einige Foto-Reporter dorthin bestellt. Allmählich entstand ein mediales Bild des "Papstes der Armen", wie man es bis heute kennt (siehe Seite 19) und das zu einer wahren Erfolgsgeschichte werden sollte. 

Unkonventionellster Nachfolger Petri seit Menschengedenken

Auch im Pontifikat von Franziskus kam es zu Pannen, ja Skandalen. Nie zuvor war es geschehen, dass etwa ein mächtiger Kardinal wie Angelo Becciu, der als Substitut das volle Vertrauen des Papstes genoss, von Franziskus entmachtet und den Richtern des Vatikangerichts vorgeführt wurde. Aber es kann geschehen, was will: Als Papst der einfachen Leute, als Anwalt der Armen, Prophet der Barmherzigkeit und unkonventionellster Nachfolger Petri seit Menschengedenken, der seiner Kirche den Klerikalismus austreiben will, hat sich Franziskus ein mediales Erscheinungsbild geschaffen, das wetterbeständig ist.

Dass große Teile der römischen Kurie Papst Franziskus ganz anders sehen, wurde nicht erst deutlich, als vor einem Jahr jene anonyme Denkschrift im Vatikan kursierte, die die Unterschrift "Demos" (Volk) trug und als deren wahrer Autor sich kurz nach dessen Tod Kardinal George Pell entpuppte. Nach der "Katastrophe" des gegenwärtigen Pontifikats des Amtsinhabers mahnte der australische Kurienkardinal drei "Wiederherstellungen" ein, die ein Nachfolger Bergoglios zu gewährleisten habe: Die Wiederherstellung der Normalität im Vatikan, der Klarheit in Lehre und Moral sowie die Wiederherstellung des Rechts und der Sicherheit, dass das erste Kriterium für die Bestellung neuer Bischöfe die Akzeptanz der apostolischen Tradition sei.

Kennzeichen des Pontifikats von Franziskus

Kurienmitarbeiter kommentar- und fristlos nach Hause zu schicken, in Fragen der Doktrin gewisse Unschärfen zuzulassen und bei Bischofsernennungen eher auf den "Geruch der Herde" als auf das Odium der Rechtgläubigkeit zu setzen, war von Anfang an ein Kennzeichen des Pontifikats von Franziskus. Die Doppelsynode von 2014/2015 setzte ganze Heerscharen von konservativen Katholiken in Angst und Schrecken. Doch ganz unbekümmert zerschlug Papa Bergoglio die alte Struktur des noch von Johannes Paul II. installierten Familieninstituts in Rom und ignorierte die legendären "dubia" der vier Kardinäle.

Aber irgendwann begann Franziskus, bei seiner Art des einsamen Regierens die Härte eines Monarchen zu zeigen, der hinter jeder Säule einen feindlich gesinnten Höfling vermutet. Franziskus leitet die Kirche nicht mit Enzykliken. Nach "Lumen fidei", die er schon weitgehend fertig vorfand, folgten nur noch "Laudato si " von 2015 und "Fratelli tutti" im Jahr 2020, die sich an die ganze Welt und alle Religionen richteten. Nach innen regiert der Papst mit Dekreten, die er als "Motu proprio", aus eigenem Antrieb formuliert.

Der Wendepunkt des Pontifikats

Diese Dekrete haben sich etwa in Finanzfragen oder der Verwaltung der Güter teilweise selbst korrigiert. Andere zeugen, wie die gegen die Anhänger der "alten" Messe, von einer gewissen Obsession. Benedikt XVI. sah im alt hergebrachten Ritus eine gewachsene Tradition. Franziskus vermutet dahinter eine Chiffre, hinter der sich seine Feinde sammeln. Dieser andere, auch in seinen Gesten bisweilen barsch und grimmig agierende Autokrat kam zu einem präzisen Zeitpunkt zum Vorschein: Es war das Jahr 2018, der Wendepunkt seines Pontifikats. 

Das Jahr begann mit der verheerenden Reise nach Chile, als Franziskus - von wem auch immer völlig falsch beraten - das durch die Pädophiliefälle und den Missbrauchstäter Fernando Karadima erschütterte Land zusätzlich schockierte, indem er an dem von ihm zum Bischof ernannten Karadima-Schüler Barros Madrid festhielt und protestierenden Missbrauchsopfern - in liturgischen Gewändern - laut zurief, sie sollten doch Beweise vorlegen.

Eine Person - zwei Päpste

Im August desselben Jahres erschien dann die Anklageschrift des ehemaligen Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Vigano, der Franziskus vorwarf, von Benedikt XVI. verhängte Sanktionen gegen den Missbrauchstäter Theodore McCarrick missachtet zu haben. Als dann 2019 die Razzia im Staatssekretariat wegen der Londoner Immobilie kam und im Vatikan bekannt wurde, dass die Steckbriefe mit dem Konterfei der deswegen suspendierten Kurienmitarbeiter mit Wissen des Papstes an den Eingängen des kleinen Kirchenstaats angebracht worden waren, war es mit der familiären Atmosphäre am "Hofe" des Papstes endgültig vorbei.

Seither gibt es zwei Päpste: Den Franziskus der Medien, der für sich durchaus beanspruchen könnte, in der Öffentlichkeit (außerhalb Lateinamerikas) der beliebteste Papst der Neuzeit zu sein. Und jenen Franziskus in Santa Marta, den die Kurie - von ein paar eingeschworenen Vertrauten abgesehen  - als Regent der einsamen Entscheidungen wahrnimmt, vor dem man sich in Acht nehmen muss. 

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