Seit fast 100 Tagen ist die neue EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus im Amt. Nach ihrem Sieg in einer Stichwahl über die Hamburger Regionalbischöfin Kirsten Fehrs am 10. November 2021 setzte sie weiter auf die gesellschaftspolitischen Themen ihres glücklosen Vorgängers Heinrich Bedford-Strohm: Auf den Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, für Feminismus sowie für die Aufnahme illegaler Flüchtlinge. Mit der Wahl von Kurschus sind somit alle drei Leitungsämter der Evangelischen Kirche in Deutschland (Rat, Synode, Kirchenamt) ausschließlich mit Frauen besetzt, womit der Feminismus in der EKD gesiegt zu haben scheint.
Impfpflicht
Kurz vor Weihnachten versuchte Kurschus mit Interviews in der „Welt“ und im „Deutschlandfunk“ in die publizistische Offensive zu gehen. Mit der Forderung einer „Impfpflicht aus Nächstenliebe“ gelangte sie in die medialen Schlagzeilen, die sie wegen des Schutzes der „Schwächsten in der Gesellschaft“ anmahnte. Ärger und Empörung löste sie dabei mit ihrer Weigerung aus, mit weiterhin entschiedenen Impfgegnern in einen Dialog zu treten. Sie unterstellte ihnen, sie würden mit ihrer Haltung „Gott versuchen“.
Das war harter Tobak für viele evangelikale und gläubige Christen, die sich mit guten ethischen Glaubensgründen eine Impfung mit den jetzigen Impfstoffen nicht vorstellen können. Sie sorgten sich in der Folge um die im Protestantismus propagierte „Freiheit eines Christenmenschen“, so Martin Luthers programmatische Schrift aus dem Jahr 1520.
Irrlichter
Am Heiligen Abend 2021 verkündete die neue Ratsvorsitzende eine eher irrlichternde Botschaft, die theologisch als Irrlehre und traurige Verwässerung des Evangeliums von der Menschwerdung Christi eingeordnet werden muss:
„Gott wird Mensch, dir Mensch zu Gute. Dieses Geheimnis feiern wir zu Weihnachten, der alles ins Leben rief, kommt als verletzliches Kind mitten hinein in die erschöpfte, verletzte Welt. Das göttliche Kind bleibt verletzlich, auch als Erwachsener. Hält die eigene Verletzlichkeit aus bis zum Tod und daraus wurde neues Leben.“
Kann Gott immer wieder neu Mensch werden, wie Kurschus indirekt im Präsens des Verbs „wird“ behauptet? Aus guten Gründen heißt es zum Beispiel in dem berühmten Wort des Kirchenvaters Athanasius: „Christus wurde Mensch, damit wir vergöttlicht werden!“ Die Einmaligkeit der Menschwerdung des Sohnes Gottes ist hier wahrheitsgemäß festgehalten.
Statt „Gott“ nennt Athanasius richtigerweise gleich zu Beginn „Christus“, der als Sohn Gottes und Messias Mensch wurde, was einen großen Unterschied ausmacht. In der Folge ihrer „Predigt“ schwurbelt Kurschus weiter von einem ominösen „göttlichen Kind“, das durch seine Verletzlichkeit den Menschen zu einer „Gabe“ werden solle. Gleich vier Mal dichtete sie dem ungenannten Jesus Christus, diese linksliberale Formel einer angeblichen „Verletzlichkeit“ Gottes an.
Preiswürdig
Beobachter fragten sich angesichts solcher theologischen Fehlpässe, warum Kurschus noch im November 2021 der „Ökumenische Predigtpreis“ verliehen wurde? Ausgezeichnet hatte man sie für zwei Predigten aus dem Jahr 2015, wo sie „betroffen“ über den Absturz des „Germanwings“ Flugzeuges gesprochen und mit eher magerer theologischer Begründung für die Aufnahme von legalen und illegalen Flüchtlingen in Deutschland plädiert hatte. Die Frage stand im Raum, warum Kurschus in ihren Predigten nicht allgemeinen theologischen Leitlinien zu folgen vermochte? So etwa auch in der zitierten Weihnachtspredigt, wo die Erwähnung der Jungfrauengeburt Jesu ebenso fehlte wie dessen Empfängnis durch den Heiligen Geist.
Die Frage stellte sich insbesondere, weil die Kirchenfunktionärin eine durchaus respektable theologische Ausbildung am Beginn ihres Weges an die Spitze der EKD-Kirchen absolviert hatte. Nach ihrem evangelischen Theologiestudium, einem Wirken als Pfarrerin im Kirchenkreis Siegen (ab 1993), war sie auf der kirchlichen Karriereleiter über das Superintendantenamt schnell zum „Präses“ der evangelischen Landeskirche Westfalen aufgestiegen, bis sie nun auch den EKD-Rat präsidieren darf.
Unscharfe Positionen
Ob sie in dieser neuen Aufgabe ihrer bisher einzigen Vorgängerin, der als „Königin des Mainstreams“ titulierten Margot Käßmann, wirklich nachfolgen kann, bleibt jedoch zweifelhaft. Anders als der publizistisch begabten Käßmann, die nach nur zwei Jahren in diesem Amt nach einer Alkoholfahrt zurücktreten musste, zeigt sich Kur-schus bislang wenig talentiert, im kirchlichen und medialen „Haifischbecken“ zu überleben oder sich zu präsentieren. Anders als Wolfgang Huber, ihr Vorgänger im EKD-Ratsvorsitz von 2003 bis 2009, scheint sie auch bislang keinerlei Neigung zu verspüren, Reformvorschläge für die im Niedergang befindlichen EKD-Landeskirchen, die aus der Reformation hervorgegangen sind, vorzustellen.
Während Landesbischof Huber im Jahr 2006 das hundertseitige Reformpapier „Kirche der Freiheit“ präsentierte, hat die neue EKD-Chefin bislang keine Reformbemühungen dieser Art verlauten lassen, um den weiterhin rasanten Mitgliederverlust der EKD-Kirchen zu stoppen oder umzukehren. Die evangelischen Landeskirchen verloren seit 1950 mehr als die Hälfte ihre damals noch 42 Millionen Mitglieder.
Einvernehmen
Man braucht kein Prophet zu sein, um vorherzusagen, dass die neue EKD-Chefin in der sozialen, ökologischen und feministischen „Ökumene“, wo „synodale Prozesse“ eine Rolle spielen sollen, mit katholischen Bischöfen wie Georg Bätzing, dem Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenzen, ein gutes Einvernehmen herstellen wird. Bei evangelikalen, charismatisch oder pietistisch geprägten Christen hingegen, die auf einen missionarischen Aufbruch in den EKD-Landeskirchen hofften, wird die Enttäuschung über die neue Ratsvorsitzende groß sein. Eine weitere Abwanderung gläubiger, evangelischer Christen in die Freikirchen oder in die katholische Kirche wird daher die natürliche Folge des weiterhin politisierenden und theologisch schwachen EKD-Ratsvorsitzenden sein.
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