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Unruhe als Unterscheidungskriterium

Anmerkungen zum synodalen Handlungstext „Versprechen der Ehelosigkeit im Dienst des Priesters“.
In einer Zeit der Neuorientierung ließ Ignatius in und mit seinen "Geistlichen Übungen" erkennen
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | In einer Zeit der Neuorientierung ließ Ignatius in und mit seinen "Geistlichen Übungen" erkennen, wie der Christ aus der Tiefe des Glaubens sein Leben neu zu gestalten vermag, und zwar in allen Bereichen seines ...

Der Handlungstext argumentiert mit der „Unterscheidung der Geister“. Er konstatiert eine „Unruhe“ im Volk Gottes. Man wertet sie als Zeichen, dass Gott wohl darauf hinweisen will, dass eine Lockerung der Zölibatsverpflichtung an der Zeit ist. In der ignatianischen Unterscheidung ist die „Unruhe“ bei denen, die Christus von ganzem Herzen nachfolgen wollen, ein mögliches Zeichen dafür, dass ein Gedanke (hier: die Zölibatspflicht) eher nicht von Gott kommt.

Bei denen, die sich nicht um Gott kümmern, ist die Unruhe dagegen ein Anzeichen, dass Gott sie aus ihrem gottvergessenem Leben aufwecken will. Wenn man dieses dem Exerzitienkontext entnommene Unterscheidungskriterium auf die gegenwärtige kirchliche Situation anwenden will, sollte man diese Doppelseitigkeit der „Unruhe“ bedenken, um nicht vorschnelle Schlüsse zu ziehen.

Bewusste Entscheidung für Christus

In den geistlichen Übungen des heiligen Ignatius durchläuft der Exerzitant zunächst eine Phase der Umkehr und bewussten Lebensentscheidung für Christus, bevor er in die „zweite Woche“ der Exerzitien eintritt, in der es um die geistliche Unterscheidung geht. Denn erst nach einer Phase der Bekehrung und bewussten Entscheidung für Christus ist der Mensch in der rechten inneren Haltung, um den besten Weg zu sehen in den wichtigen Entscheidungsfragen seines Lebens. Wenn wir auf das Volk Gottes in Deutschland in den letzten Jahrzehnten schauen, dann ist eine diesem Exerzitienweg ähnliche Dynamik der Glaubensvertiefung schwer zu erkennen. Im Gegenteil, nicht nur eine „Kirchenkrise“, sondern tiefer noch eine „Gotteskrise“ oder auch eine „Verdunstung des Glaubens“ wurden vielfach und nicht ohne Grund diagnostiziert. Die Luft in unserer Gesellschaft wird immer säkularer, und diese Luft weht auch immer kräftiger in unsere Kirche hinein.

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Dass in einem solchen Klima beim Thema Zölibat nicht nur „Unruhe“, sondern oft blankes Unverständnis, ja aggressive Anfeindung aufkommt, verwundert kaum. Es wäre also sehr genau darauf zu achten, wo die „Unruhe“ mit der Zölibatsverpflichtung herkommt: eher aus den Kreisen der Christen, die sich bewusst zur Christusnachfolge entschieden haben, oder eher von Seiten der säkularen Meinung und der Christen mit loser Glaubens- und Kirchenbindung. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass auch entschiedene Christen eine Unruhe in Sachen Pflichtzölibat verspüren können.

Die lautesten Forderungen nach einer Abschaffung der Zölibatspflicht kommen jedoch von außen – und wenn von innen, dann meist aus einem vom säkularen Geist bedingten Unverständnis, dass eine solche Lebensform Sinn haben kann. Der Autor dieser Zeilen hat aus solchem Unverständnis heraus in den 90er Jahren als Diözesanvorsitzender eines Mitgliedsverbands im BDKJ eine Petition an den Papst unterschrieben, er möge doch den Pflichtzölibat abschaffen. Gott hat insofern Humor bewiesen, als er ihn kurz darauf von der Sinnhaftigkeit der ehelosen Lebensform überzeugt und zum Priestertum berufen hat.

Das grundsätzliche „Ja“ ist abhanden gekommen

Das grundsätzliche „Ja“ zum Sinn und Wert des Zölibats, das sich im synodalen Handlungstext findet, ist nicht nur unserer Gesellschaft, sondern großen Teilen unserer Kirche und auch vielen hauptamtlichen Mitarbeitern abhanden gekommen. Wenn aber hier der Grund der derzeitigen „Unruhe“ zu finden ist, dann wäre das in einer Logik der Unterscheidung der Geister gerade kein Grund, die Zölibatspflicht zu ändern, sondern ganz im Gegenteil, gerade jetzt daran festzuhalten.

Bei mir und bei vielen anderen Christen in meiner Umgebung nehme ich jedenfalls eine andersgeartete innere „Unruhe“ wahr angesichts der klar erkennbaren Intention des Synodalen Wegs, mit sorgsam gewählten geistlichen und theologischen Argumenten die Kirche genau in die Richtung verändern zu wollen, die uns die säkulare Welt gerade vorschlägt.

Andreas Schmidt
Foto: Matthias Firmke | Andreas Schmidt ist Spiritual am Priesterseminar St. Johannes der Täufer in München.

Auch sonst wirkt die Argumentation dieses Handlungstexts unausgegoren und nicht bis ans Ende durchdacht. Was meint die Frage, ob für das priesterliche Lebenszeugnis „andere Evangelische Räte nicht ebenso gewählt werden könnten wie die Ehelosigkeit“? Die Evangelischen Räte als eine Lebensform der engeren Nachfolge Jesu wurden in der geistlichen Tradition nie als „Auswahlangebot“ verstanden, sondern stets als Ganzes.
Und so sind auch für den Diözesanpriester nicht nur Ehelosigkeit, sondern ebenso Gehorsam und Armut vorgesehen. Die Armut „im Sinne einer Lebensbescheidenheit und Einfachheit“ gehört, so das II. Vatikanische Konzil, wesentlich zur priesterlichen Lebensform (vgl. PO 17).

Sie ist sogar kirchenrechtlich vorgeschrieben (vgl. CIC can. 282). Dass dies nicht immer vorbildlich gelebt wird, steht auf einem anderen Blatt und zeigt, wo die Reform des Priestertums heute wirklich ansetzen müsste: nicht in einer Änderung der Zugangsbedingungen, sondern einer geistlichen Reform.

„Der Zölibat ist nicht nur Lippen-, sondern Lebensbekenntnis“

Was soll der Hinweis darauf, dass eine „gelebte sakramentale Ehe zu einem komplementären Zeugnis werden kann“? In der Tat ist die Ehe ein zur ehelosen Lebensform komplementäres Zeugnis. Die Frage ist, welches Zeugnis für die spezifisch priesterliche Lebensform angemessener ist. Die Ehelosigkeit ist nicht nur die direkte Nachahmung der Lebensform Jesu. Schon von daher liegt nahe, dass derjenige, der Jesus sakramental darstellt, ihm auch in dieser Lebensform nachfolgt. Die Ehelosigkeit ist auch die Lebensform, die weit mehr als die Ehe unsere säkulare Welt herausfordert, ja provoziert. Auch nichtgläubige Menschen wählen die Ehe als Lebensform, nicht aber den Zölibat. Dieser weist in sich selbst noch einmal sichtbarer über diese Welt hinaus auf die Gottesbeziehung als letzte Sinnerfüllung allen menschlichen Lebens.

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Auf Gott aber hinzuweisen und zur Beziehung mit ihm hinzuführen ist die Wesensmitte der priesterlichen Berufung. Insofern ist der Zölibat nicht nur ein Lippen-, sondern Lebensbekenntnis, das die priesterliche Verkündigung unterstreicht und ihr Zeugniskraft verleiht. Die Forderung nach Abschaffung der Zölibatspflicht wird schließlich mit der Missbrauchskrise begründet: „Gleichzeitig hat uns die Missbrauchskrise gelehrt, dass der verpflichtende Zölibat dazu führen kann, überproportional viele Männer anzuziehen, die sich ihrer Sexualität … unsicher sind und die Auseinandersetzung damit vermeiden wollen. … Daraus zieht die MHG-Studie den Schluss, dass die Verpflichtung zum Zölibat … sexuellen Missbrauch begünstigen kann.“

Eine solche Argumentation ist nicht nur unlogisch, sondern unlauter und unwissenschaftlich. Denn es ist logisch nicht einzusehen, warum regressiv-unreife Menschen nicht genauso in ein nicht-verpflichtendes zölibatäres Leben drängen sollten. Vielleicht wäre die Gefahr dazu sogar noch größer, wenn sie darin eine „heilige Aura“ suchen, und solches „freiwillig“ zölibatäre Leben dann als noch „besonderer“ erscheint. Wissenschaftlich muss man sagen, dass es (worauf das Münsteraner Missbrauchsgutachten hinwies) keine Studien in Vergleichsgruppen gibt. Insofern ist die Behauptung eines Zusammenhangs von Pflichtzölibat und höherer Missbrauchsgefahr reine Spekulation, zu der sich keine andere Missbrauchsstudie verstiegen hat.

Eine letzte Anmerkungen zum Argument, dass die abnehmende Zahl der Priester den Menschen, die sich nach dem Empfang der Sakramente sehnen, nicht mehr gerecht werden können. Sehen die Autoren dieses Handlungstextes nicht, dass nicht nur die Zahl der Priester rapide abnimmt, sondern ebenso die Zahl derer, die um die Sakramente bitten? Dass das Problem nicht die Schlangen vor den Beichtstühlen sind, sondern die mangelnde Wertschätzung der Sakramente, die daran erkennbar ist, dass die Eucharistie nicht einmal so viel wert ist, dass man bereit wäre, dafür ins nächste Dorf zu fahren? So geht dieser Handlungstext an den eigentlichen und tieferliegenden Ursachen der Krise vorbei. Wo aber die Diagnose daneben liegt, wird auch das gewählte Heilmittel nicht hilfreich sein.

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