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Es gibt keine Reform ohne innere Erneuerung

Kritische Rückfragen an die deutsche Versammlungsveranstaltung zur Reform der Kirche in Frankfurt unter Leitung der DBK und des Zentralkomitees.
Wege reinigen
Foto: Evandro Inetti (ZUMA Wire) | Kirchliche Reform: Die Wege zu Gott wieder reinigen.

Einem Zaungast, der nur per Livestream die Verhandlungen auf dem Synodalen Weg verfolgt hat, gebührt es, die nötige Vorsicht im Urteilen und Beurteilen walten zu lassen, aber Nachfragen dürften wohl erlaubt sein. Anfang Februar wurde in zweiter Lesung ein erster Teil der Vorlage „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ verabschiedet. In der „Hinführung“ heißt es dort: „Auch wenn die Krise der Kirche in einem größeren Kontext gesellschaftlicher und kultureller Veränderungsprozesse zu beschreiben ist, lässt sie sich nicht auf diese Faktoren begrenzen. Zum einen bestehen innere Spannungen zwischen der Lehre und der Praxis der Kirche.

Zum anderen existiert eine Kluft zwischen dem Anspruch des Evangeliums und der Art und Weise, wie Macht faktisch in der Kirche konzipiert und ausgeübt wird. Diese Kluft muss unter dem Anspruch des Evangeliums geschlossen werden. Die Standards einer pluralen, offenen Gesellschaft in einem demokratischen Rechtsstaat stellen dazu keinen Gegensatz dar, sondern geben einer glaubwürdigen Verkündigung des Evangeliums Raum.“

„Doch Kirche will mehr!
Sie sucht das Letzte und einzig Tragbare im menschlichen Leben“

1. Stimmt der Ausgangspunkt?

Die Textvorlagen weisen darauf hin, dass die Aufarbeitung des Missbrauchs eine Erneuerung der Kirche erforderlich macht. Eine Reform der Kirche hat aber grundsätzlicher anzusetzen als die im Text geforderte Suche nach einer „Gewaltenteilung“. Schon die Erfahrungen der nachkonziliaren Zeit zeigen, dass ein Konzil – und ebenso ein Synodaler Weg – allein noch nicht das Allheilmittel ist, es bedarf immer auch einer „Reform der Reform“: geistlich, liturgisch, theologisch, katechetisch und pastoral.

Der Glaubensverlust spricht derzeit eine zu deutliche Sprache, und mit ihm hat ebenso der Synodale Weg zu rechnen, sollte der Struktur-Reform keine innere Erneuerung entsprechen; erst sie wird eine „Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ glaubwürdig sein lassen.
Dazu ein konkretes Beispiel: Die Erfahrung einer „Kirche der Sünder“ und des „sündhaften Amtsträgers“ lässt sich mit den „Standards einer pluralen, offenen Gesellschaft in einem demokratischen Rechtsstaat“ kaum beantworten.

Schon die Apostel Petrus und Paulus bezeugen mit ihrem Leben, von welch großer Bedeutung für die Kirche der Umgang mit der Erfahrung der eigenen Sündhaftigkeit ist. Eine Erfahrung, die wohl kaum einem Glaubenden erspart bleibt. Doch bieten sich derzeit kaum Hilfen an, wie mit einer solchen Erfahrung umzugehen ist. Ein Desiderat also, das auch in einer „demokratischen“ Kirche, wie sie die Frankfurter Versammlung einfordert, nach einer Antwort suchen lässt.

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2. Kritische Rückfrage des Synodalen Weges an sich selbst

Der „Orientierungstext“ und ebenso die „Hinführung“ zu unserer Textvorlage beginnen mit den Schlagworten der „Umkehr“ und der „Erneuerung“ als den „theologischen Grundlagen des Synodalen Weges“. Wie auch andere Begriffe und Formulierungen in den Synodalen Papieren unklar bleiben, sogar einfach falsch sind (zum Beispiel „Synodaler Weg“, „sexualisierte Gewalt“), bleibt auch hier die Frage: Was und wen meint „Umkehr“? Doch wohl als erstes die Umkehr und Buße der Synodalen selbst (Joh 8,7). Ob sich ein derart geistlicher (Umkehr-) Prozess schon auf Arbeitssitzungen von wenigen Stunden auf einem Messegelände durch mehrheitliche Abstimmung durchführen lässt?

Hierzu heißt es im „Orientierungstext“ (als Handlungsanweisung?): „Im Dialog wird der Anspruch auf Wahrheit mit Argumenten vertreten, nicht mit Berufung auf formale Autorität.“ „Argumente“ aber sind keine Letztbegründungen für einen Umkehrprozess. Zwar ist von einem „Dialog in der Haltung des Glaubens“ die Rede, aber darin besteht nicht die einzige Weise der Umkehr. Ob auf den Sitzungen des Synodalen Weges wirklich neue Weisen des gemeinsamen Betens und Betrachtens aus der inneren Bereitschaft zur Umkehr gefunden wurden? Ein „allgemeines Schuldbekenntnis“ von wenigen Minuten dürfte bei einer derart grundlegenden Krisen- und erst recht Schulderfahrung kaum genügen.

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3. „Prüft die Geister, ob sie aus Gott sind!“

Was bei der Lektüre auffällt, ist, dass die Frankfurter Versammlung kaum ihre eigenen Positionen in Frage stellt, was gemäß einer „Unterscheidung der Geister“ geschehen müsste (dieses Anliegen artikuliert die Versammlung öfters, hat es aber bisher kaum beantwortet). Stattdessen ist man sich ziemlich sicher, dass man bei der Beurteilung der Situation und der kirchlichen Lage richtig liegt (heißt es doch: „Wir haben verstanden!“). Alles aber, was Kirche tun, planen und anstreben beziehungsweise im Namen Christi erreichen will, wird immer mehr sein müssen, als was die Not des Augenblicks einfordert, „hat es doch der Kirche um das Letzte zu gehen“ (H. Geißler).

Dom H. Camara hob zu Recht hervor, es dürfe nicht so über Gott und Kirche gesprochen werden, dass man „eine Mütze auf den Smoking“ setzt ... Die in der Textvorlage vielzitierten „Zeichen der Zeit“ sind wohl kaum der entscheidende Wertemaßstab, unter dem menschliches und gläubiges Leben gelingt. Stattdessen sieht sich die Kirche (zeitlich wie örtlich) in eine „allumfassende“, eben „katholische“ Verantwortung genommen.
Es ist gut abzuwägen, wie weit die Kirche in Deutschland nach vorne preschen kann, ohne andere auszuschließen oder gar den Anschluss an die Weltkirche zu verlieren. Sind hinreichend Erfahrungen aus Kirchen anderer Länder (z.B. USA) bedacht, wie diese mit den Erfahrungen des Missbrauchs (etwa ganz anders?) umzugehen trachten, um zu einem geistlichen Prozess anzuleiten? Ob die Argumentationen des Synodalen Weges auch weltweit akzeptiert werden, wäre abzuwarten.

Es ist ein bewährtes geistliches Prinzip, welches in Ordensregeln ihren klassischen Ausdruck fand, dass Neuerungen so zu formulieren und durchzuführen sind, dass auch der Jüngste und Schwächste mithalten kann (ob diese in den Diskussionen überhaupt gehört wurden?).
Ansonsten könnte es der Fall sein, dass es in der Kirche Deutschlands zu Hürden oder gar Spaltungen kommt, die es nicht mehr möglich sein lassen, gemeinsam Eucharistie zu feiern; dies wäre ein Schaden, der eine katholische Kirche ins Mark trifft.

4. Genügt nicht eine „Reformation“?

Eine geistliche Grundregel besteht darin, dass eine Erneuerung der Kirche immer aus einer längeren (!) Gebetserfahrung erwächst; bei ihr aber sind nämlich Täuschungen und Irrwege nicht ausgeschlossen, wie die Lebenswege vieler Heiliger bezeugen. Es bedarf der Selbstkritik, um nicht voreiligen Selbstsicherheiten anheimzufallen. Ob die Versammlung des Synodalen Weges solche geistlichen Forderungen hinreichend berücksichtigt? Ein wichtiges Unterscheidungskriterium lautet, dass jede Erneuerung in der Kirche ebenso der Einheit in der Kirche zu dienen hat, statt zu spalten und Gräben aufzuwerfen.
Die Einheit der Kirche ist das höchste Gut, um das Jesus am Ende seines Lebens intensiv gebetet hat; sie war sein größtes Anliegen (Joh 17). Jede Erneuerung wird dazu führen müssen, dass die Kirche „katholischer“ wird, um so ihrem Auftrag und Charisma treu bleiben zu können.

5. Fehlformen einer „dialogbereiten“ Kirche

Die Brandmarkung von Macht und deren Missbrauch ist derzeit ein drängendes Thema, das in angemessener Form beantwortet werden muss. Fürwahr, die Kirche hat menschliche, ja sündhafte Seiten, wie wir es in den Berichten vom Missbrauch durch Amtsträger unmittelbar vor Augen geführt bekommen; und auch künftig wird es eine „sündige Kirche“ geben. Doch Kirche will mehr! Sie sucht das Letzte und einzig Tragbare im menschlichen Leben. Die Dramatik dieser Suche wird im Versuchungsbericht (Mt 4) wie auch in der Begebenheit des Ölgartens (Mk 14) in aller Deutlichkeit angezeigt, handelt es sich doch um einen Kampf mit den „Mächten und Gewalten“ (Eph 6,12).

Jesus setzt hier sogar grundsätzlicher an: „Viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es! Und sie werden viele irreführen“ (Mk 13,6). Es werden sich Propheten und selbst ernannte Heilandsgestalten zu Wort melden und alle möglichen Inhalte verkünden – vielleicht sogar „im Namen Gottes“, um andere in ihre Gefolgschaft zu bringen; „wehe“ aber denen, welche sich weigern: sie werden verfolgt und gehasst werden. Ob es auf einem „Synodalen Weg“ ein Zeichen geistlicher Hör- und Lernbereitschaft ist, gleich zu Beginn einer Wortmeldung die „rote Karte“ zu ziehen, weil man gewisse Wortmeldungen schon vorweg nicht hören will? Können Wortmeldungen von einer Minute überhaupt „dialogbereit“ nach Gottes Willen fragen?

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6. Der Ungeist „stillschweigender Übereinkunft“

Paulus weiß darum, dass dem Kommen Christi am Ende der Zeiten die Apostasie vieler vorausgeht (2 Thess 2,3). Diese scheint die Schar der Glaubenden nicht von außen zu bedrängen, sondern unmittelbar aus der Kirche selber hervorzugehen. Erscheinungen und Trends, auch stillschweigende „Abmachungen“ und Konsensbildungen können sich einschleichen oder „wie von selbst“ ergeben. Ist die Versammlung des Synodalen Weges wirklich so repräsentativ zusammengesetzt, dass sich in ihr auch gegenläufige Gruppen und Strömungen der Kirche in Deutschland deutlich vertreten sehen? Eine Sitzung von Gleichgepolten vermag wohl kaum zukunftsträchtig zu arbeiten.

7. Reform aus dem Geist Jesu

Die Debatten der Frankfurter Versammlung erinnern an das Zweite Vatikanum mit seiner Diskussion über eine „Kirche der Armen“ beziehungsweise eine „arme Kirche“. Nach der ersten Sessio verkauften Bischöfe, was sie als Prunk mit der Ausübung ihres Amtes verband, und ein junger deutscher Bischof trennte sich als erster von seinem goldenen Ring. Aber man fand den Text nicht und konnte sich nicht darüber einigen, wie in die Konstitution über die Kirche auch ein Kapitel über die Armut der Kirche einzufügen sei.

Darauf sagte Mercier, der Bischof der ärmsten Diözese der Welt, Folgendes: „Der Heilige Geist, der uns bei unseren bisherigen Beratungen nicht im Stich ließ, erteilt uns eine wichtige Lektion: Eine Wahrheit, die man nicht gelebt hat, kann man nicht genügend klar erkennen, um sie vollmächtig und verbindlich auszusagen. Die Kirche hat jahrhundertelang die Armut nicht gelebt, darum finden wir jetzt den Text nicht, der sie enthielte. Was ist zu tun? Wir Bischöfe werden von diesem Konzil ab die Armut in der Nachfolge Jesu erst einmal leben müssen. Dann werden wir auf dem nächsten Konzil das entsprechende Kapitel in die Konstitution über die Kirche nachtragen können.“ Ob ein deutscher Bischof auf der Synode sich nicht ähnlich hätte äußern können?

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