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Patzelt: „Langfristig muss die CDU auf die AfD zugehen“

Nach den Ost-Landtagswahlen wird die Koalitionsbildung kompliziert. Ein Gespräch über Minderheitsregierungen und bröckelnde Brandmauern mit dem Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt.
Mario Voigt, Björn Höcke
Foto: SaschaxFromm (www.imago-images.de) | Sollte die CDU (links der thüringische Spitzenkandidat Mario Voigt) auf die AfD zugehen (rechts außen deren thüringischer Landesvorsitzende Björn Höcke) zugehen?

Professor Patzelt, nach den Landtagswahlen kann in Thüringen gegen AfD und BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) keine Mehrheitsregierung mehr gebildet werden; in Sachsen nur unter Zuhilfenahme der Linken. Welches Signal geht von diesen Wahlen für das Parteiensystem der Bundesrepublik aus?

Die Signalwirkung besteht darin, dass manche Leute in Deutschland begreifen könnten, dass die sogenannten Brandmauern gegen die AfD in Wirklichkeit Gefängnismauern für die CDU sind – und zwar in dem Sinn, dass die CDU gezwungen wird, grundsätzlich Bündnisse mit der SPD oder den Grünen oder dem BSW zu schließen, dass die CDU also davon abgehalten wird, die in der Bevölkerung vorhandene rechte Mehrheit in eine Mitte-Rechts-Regierung in den Parlamenten umzusetzen. Das ist das, was in Thüringen offensichtlich wird. Die CDU wird hier mit dem BSW koalieren müssen und so tun müssen, als sei das eine Partei, die mit der Linken im Grunde nichts zu tun hätte. Das wird die Glaubwürdigkeit der CDU für jenen Teil der Wählerschaft, der CDU-Positionen unterstützt, aber keine grüne, linke oder sozialdemokratische Politik wünscht, nicht gerade verbessern. Infolgedessen geht von den Koalitionsverhandlungen in Thüringen und Sachsen eine wichtige Signalwirkung für den kommenden Bundestagswahlkampf einher: Da wird die CDU ebenfalls erklären müssen, mit wem sie denn koalieren möchte. Und wenn da die Botschaft ist, dass es mit der AfD gar nicht geht, wird jeder Wähler sich ausrechnen können, dass es anschließend auf eine Koalition mit SPD, Grünen und BSW hinausläuft.

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Erwarten Sie dann, dass die Brandmauer nun tatsächlich bröckelt – etwa in Form der Tolerierung einer CDU-Minderheitsregierung durch die AfD?

Niemand kann die Thüringer AfD daran hindern, im zweiten Wahlgang Mario Vogt zum Ministerpräsidenten zu wählen, so wie sie 2020 Thomas Kemmerich (FDP) gewählt hat. Damit kann die AfD dann sagen: Schaut her, wir sind unserer Verantwortung gerecht geworden und haben einen CDU-Ministerpräsidenten gewählt, ist das wirklich ein Kennzeichen einer Nazi-Partei? Und Sahra Wagenknecht wird nicht müde, in Interviews immer wieder zu erklären, dass es sich weder mit der politischen Vernunft, noch mit dem Prinzipien pluralistischer Vernunft vereinbaren lässt, einen jeden Antrag der AfD nur deswegen abzulehnen, weil er von der AfD kommt – oder eine jede Kandidatur zurückzuziehen, wenn das Risiko besteht, dass die AfD mitwählt. Infolgedessen werden die Brandmauern der CDU ohnehin immer dünner, bis sie eines Tages einstürzen werden.

In Thüringen reicht auch eine Koalition mit dem BSW nicht, zusätzlich müsste die CDU die Linke einbinden. Ist eine Koalition mit der Linken für die CDU noch unangenehmer als mit dem BSW?

Das macht erst recht deutlich, dass die sogenannten Brandmauern eher Gefängnismauern sind. Allerdings gibt es in Thüringen ja das Vorbild der Ramelow’schen Minderheitsregierung. Was spräche dagegen, nachdem die CDU nun jahrelang eine linke Minderheitsregierung toleriert hat, dass die Linke nun eine CDU-geführte Minderheitsregierung toleriert? Bodo Ramelow hat ja ohnehin wiederholt angekündigt, dass er Mario Voigt behilflich sein wird, wenn dieser das Ministerpräsidentenamt anstrebt. Und wenn es dazu notwendig ist, die Linke zu einer derartigen Tolerierung zu verpflichten, dann wird er es wohl so unternehmen.

„Das historische Beispiel dazu ist ja Willy Brandt. Der hat den Grünen, die sich damals als Anti-Parteien-Partei verstanden, an einem berühmt gewordenen Wahlabend eröffnet, sie könnten eines Tages mit der SPD regieren, wenn sie sich denn vernünftig aufstellen würden.“ 

Wäre das das Modell, das Sie der CDU ans Herz legen würden?

Das ist das, was die CDU jetzt realistischerweise machen kann. Auf Dauer ist es natürlich fatal. Langfristig müsste die CDU auf die vernünftigen Leute in der AfD zugehen. Man müsste der AfD ein konditioniertes Kooperationsangebot machen, und ihr vor Augen führen, dass ihr auch noch so schöne Wahlsiege überhaupt nichts nutzen. Selbst wenn sie zehn Prozent vor der CDU liegt, kann sie keine politische Macht ausüben, jedenfalls nicht gegen die CDU. Aber damit sie für die CDU koalitionswürdig wird, müsste sie sich als eine normale Partei aufstellen. Und das heißt, auf bestimmte Parolen, Positionen und Personen zu verzichten. Den Schritt in Richtung AfD müsste die CDU nach gelungener Regierungsbildung im Lauf der kommenden Monate gehen, sodass in der AfD endlich wieder eine interne Richtungsdiskussion entbrennt, an deren Ende sich vielleicht ausnahmsweise einmal nicht die Rechtsradikalen, sondern die halbwegs Vernünftigen in der AfD durchsetzen können.

Die Aussicht auf Minderheitsregierungen schmeckt der CDU ja gar nicht, auch Michael Kretschmer hat diese wiederholt abgelehnt. Warum eigentlich?

Das sind ideologische Vorbehalte, die man etwa in skandinavischen Ländern nicht teilt. Freilich hat das auch etwas mit Bequemlichkeit zu tun. Natürlich ist es leichter, einer Regierung vorzustehen, die eine Mehrheit im Parlament hat, als sich bei jedem Gesetzesvorhaben erstmal in Absprachen und Verhandlungen mit jenen Parteien zu begeben, deren Stimmen man bräuchte. Das Regieren ist bequemer mit Mehrheitsregierungen, aber wenn die Bevölkerung eben keine Mehrheitsregierungen zusammenwählt, oder diejenigen, die die Regierung zu bilden haben, Gefängnismauern um sich errichten lassen, dann ist eine Minderheitsregierung nicht irrational.

Die Analyse innerhalb der AfD lautet in etwa: Wenn die CDU die Brandmauer nochmal fünf Jahre aufrecht erhält und mit linken Parteien koaliert, dann ist bei der nächsten Landtagswahl die absolute Mehrheit für die AfD in Reichweite. Würden Sie diese Sicht teilen?

Dass die AfD zur absoluten Mehrheit kommt, bezweifle ich sehr. Sie scheint über 33, 34 Prozent selbst unter für sie günstigsten Bedingungen nicht hinauskommen zu können. Die Hoffnung bei der AfD ist es, irgendwann so stark zu sein, dass die anderen einknicken müssen, aber das halte ich für eine vergebliche Hoffnung, solange die AfD sich – wenigstens verbal – so radikal aufführt, wie das viele ihrer Protagonisten derzeit tun. Klüger wäre es seitens der CDU, sich im Vorfeld der Bundestagswahl schon andere Machtoptionen aufzutun, als mit linken Parteien zu regieren. Und das bedeutet, sie müsste die von mir schon angedeutete Offensive in Richtung der AfD unternehmen, um die AfD dazu zu veranlassen, sich zu einer vernünftigen und koalitionsfähigen Partei zu wandeln. Das historische Beispiel dazu ist ja Willy Brandt. Der hat den Grünen, die sich damals als Anti-Parteien-Partei verstanden, an einem berühmt gewordenen Wahlabend eröffnet, sie könnten eines Tages mit der SPD regieren, wenn sie sich denn vernünftig aufstellen würden, und tatsächlich hat genau das die Grünen dann zu einer staatstragenden Partei gemacht.

Die Idee, dass die etablierten Parteien stattdessen die AfD immer noch schlicht dadurch marginalisieren könnten, dass sie die relevanten Probleme – Stichwort Migration – lösen, halten sie nicht für realistisch?

Das hätte vor fünf bis zehn Jahren sehr gut funktioniert, aber jetzt ist es so, dass jeder Wähler nachgerade sehen muss, dass die etablierten Parteien die AfD-Vorschläge genau in dem Moment kopieren, in dem ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Jahrelang haben sich Sozialdemokraten und Grüne und Linke gar nicht genug über vernünftige CDU-Vorschläge erregen können, weil diese damit die AfD kopiere. Wenn jetzt plötzlich sämtliche Parteien die AfD in der Migrationspolitik kopieren, was wählen dann die Wähler? Das Original. Mir scheint die Zeit vorbei zu sein, in der man durch das Lösen jener Probleme, die die AfD groß gemacht haben, diese wieder schrumpfen kann. Mittlerweile hat die AfD eine loyale Anhängerschaft gewonnen, die um keinen Preis wieder zur CDU oder zur SPD oder wohin auch immer zurückkehren will.

Werner J. Patzelt gilt als einer der profiliertesten deutschen Politikwissenschaftler. Von 1991 bis 2019 war er Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden. Derzeit ist er Forschungsdirektor des Mathias Corvinus Collegiums in Brüssel.

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