„Geschichte passiert nicht einfach. Geschichte wird geschrieben“, sagt Friedrich Merz in seiner Grundsatzrede. Sie ist von den Parteitagsregisseuren dramatisch geschickt an den Schluss gesetzt worden. Am Ende kommt schließlich immer das Feuerwerk. Geknallt hat es schon in der vergangenen Woche, als der CDU-Chef im Bundestag einen neuen Kurs für seine Partei einleitete. Aber es war nicht viel Lärm um nichts, so kann Merz jetzt Bilanz ziehen. Schon als er am Mittag die Delegierten begrüßte, bekam er dreiminütige Standing Ovations. Und dann bei seiner Grundsatzrede am Nachmittag standen die Delegierten immer wieder auf und spendeten ihrem Kandidaten stehend Applaus. Die Harmonie zwischen der schwarzen Basis und Merz bildete also so etwas wie den Rahmen des Kurz-Parteitages.
Dessen eigentlicher Zweck war zwar die Bestätigung des sogenannten Sofortprogramms, das die CDU, der Name ist tatsächlich Programm, eben sofort nach einer Regierungsübernahme umsetzen will. Auch dieser Pflicht folgten die Delegierten und stimmten einmütig zu. Aber es ging es noch um mehr und das hängt eben mit der Geschichte zusammen, die Merz für seine Partei erzählen will. Die erwähnte Passage hatte er zwar als Reverenz vor den Altvorderen der Union, Adenauer, Erhard, Kohl (der Name Merkel fiel nicht mehr), platziert, aber tatsächlich formulierte Merz hier auch seinen Selbstanspruch. Den Kern dieser Erzählung hatte zuvor schon Markus Söder auf den Punkt gebracht: die „neue Union“. Und die ist im wesentlichen die alte, heißt die vor-merkelsche. Allerdings natürlich nicht als nostalgisches Projekt, sondern auf die aktuellen Probleme bezogen.
2015, der große Fehler
In gewisser Weise nehmen Merz und Söder hier eine Aufgabenteilung vor. Söder zieht die Bruchline, klar und deutlich, aber doch gleichzeitig so eingekleidet in humoristische Bemerkungen, dass es gar nicht so richtig auffällt. Merz tritt staatstragender auf. Die Fehler in der Merkelschen Flüchtlingspolitik werden dabei ohne jede Verschleierung benannt, 2015 – das sei ein große Fehler gewesen, erklärte Söder. Nicht die humanitäre Hilfe, Humanität sei immer wichtig, so der CSU-Chef. Aber dass die Kontrolle verloren worden sei, das sei fatal gewesen. Aber jetzt sei eben alles anders, auch im Verhältnis zwischen CDU und CSU in diesen Fragen. Der bayerische Ministerpräsident wetterte gegen die moralistische Pädagogisierung, von Ernährungsvorschriften bis hin zum Gendern. Gegen das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz fand er klare Worte. Dass 14-Jährige Jahr um Jahr einen Geschlechtswechsel vollziehen können sollten, sei pure Ideologie. „Haben wir in Deutschland keine anderen Probleme“, fragte er rhetorisch. Das alles wurde immer wieder von starkem Beifall unterbrochen.
Wenn Merz für die Geschichte der „neuen Union“ die Autorschaft beansprucht, dann ist es Söder, der hier die Tonlage festlegt. Es kommt nicht nur auf das Was an, sondern eben auch auf das Wie. So wie es viele Wähler gibt, die eine andere Migrationspolitik wollen, aber eben nicht AfD wählen, so gilt dieses Phänomen natürlich auch für die Gesellschaftspolitik. Alle diese Wähler konnten bisher das Gefühl haben, dass sie in eine Repräsentationslücke fallen. Diese Leerstellen wollen Söder und Merz mit ihrer „neuen Union“ ganz offensichtlich füllen. Interessant ist hier: Zumindest wenn man die Beifallstürme dieses Tages als authentisch deuten kann, dann müssen auch Großteile der schwarzen Mitgliederbasis diese Lücke bei sich selbst gespürt haben und müssen zumindest in Teilen in einer Art „inneren Emigration“ in den vergangenen Jahren in ihrer Partei gelebt haben. Ob das wirklich so ist, es werden wohl erst Historiker endgültig klären können. Aktuell scheinen jedenfalls wenige führende CDU-Mitglieder das Bedürfnis zu haben, einen anderen Eindruck zu vermitteln.
Zu der Theorie von der Repräsentationslücke gehört allerdings auch die Abgrenzung zur AfD. Auch wenn die nicht mehr „Brandmauer“ genannt wird, sie ist jedenfalls da. Sowohl Merz als auch Söder bekommen viel Applaus, als sie die Unvereinbarkeit der AfD mit den Grundwerten der Union herausstellen und jede Zusammenarbeit ablehnen. Bei Merz gibt es sogar spontane stehende Ovationen. Die AfD wird hier nicht nur als anti-westliche und putinistische Partei abgelehnt, diese Union fremdelt auch stark habituell mit den Blauen. So sehr Markus Söder etwa in den Kulturkampf-Themen Position bezieht, er macht es eben pointiert und pointenreich zugleich, nicht in dem schnarrend-arroganten Tonfall einer Alice Weidel.
Und dann ist da noch die Form: Wenn man auf Donald Trump schaue, dann sei da „viel Bizarres“, aber eben auch Beeindruckendes, formulierte Markus Söder. Damit wollte der CSU-Chef eigentlich auf die Initiativen des US-Präsidenten zur technischen Innovation anspielen. Dem Parteitag merkte man aber auch an seiner Inszenierung an, dass CDU-Leute bei der letzten Convention der Republikaner zu Gast waren. Auf der Bühne stand eine Band, die in den Pausen aufspielte, wie einst Helmut Zerlett bei der Harald-Schmidt-Show. Es gab viele Talk-Runden. Allerdings wirkte alles noch etwas hüftsteif, etwa wenn Philipp Amthor als der neue Social Media-Star der Christdemokraten verkauft werden sollte. Hier wirkt bei der „neuen Union“ also vieles ziemlich alt. Man kann es so sagen: Wenn der Trumpsche Parteitag ein ACDC-Konzert war, dann war das hier eher Florian Silbereisen.
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