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Kontroverse Debatte

Bundestag debattiert Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 – drei verschiedene Lösungen zeichnen sich ab.
Bundestag debattiert über Impfpflicht
Foto: Kay Nietfeld (dpa) | Karl Lauterbach, SPD-Bundestagsabgeordneter und Bundesminister für Gesundheit, spricht vor Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsvizepräsidentin, bei der Orientierungsdebatte zu einer SARS-CoV-2-Impfpflicht im Bundestag.

Mit zehnminütiger Verspätung eröffnete Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am Mittwoch um 15 Uhr 15 die von vielen mit Spannung erwartete Orientierungsdebatte zu einer „SARS-CoV-2-Impfpflicht“. Angesichts hoher Infektionszahlen befinde sich das Land in einer kritischen Phase. Viele Menschen seien „erschöpft“ und „wir alle wünschen uns eine möglichst schnelle Rückkehr zu einem normalen Alltag“. Eine Impfpflicht werfe jedoch „fachlich schwierige und rechtlich wie ethisch kontroverse Fragen auf“, die zu „komplexen Abwägungen“ zwängen.

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Die zwischen den Fraktionen vereinbarte Debatte, solle daher dem Austausch von Argumenten, Bedenken und Einwänden und dem Sortieren von Optionen dienen, „ergebnisoffen und über Fraktionsgrenzen hinweg“. An die Abgeordneten appellierte Bas, zu bedenken, „dass die Menschen in dieser angespannten Zeit von uns vor allem Orientierung erwarten“. Daher wünsche sie sich eine „faire, respektvolle und konstruktive Debatte“.

Keine Kurzinterventionen und Zwischenfragen zugelassen

Offenbar um dies zu erleichtern, hatten sich die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen zuvor darauf verständigt, dass es in der Debatte keine Kurzinterventionen und Zwischenfragen geben solle. In der anschließenden, mehr als dreieinhalb Stunden dauernden Debatte ergriffen insgesamt 44 Abgeordneten das Wort. Die Mehrzahl der Redner hatte sich bereits für eines der drei sich abzeichnenden Regelungsmodelle entschieden und nutzten die eigene Redezeit, um diese zu bewerben. 

So plädierte die SPD-Politikerin Dagmar Schmidt für die gesetzliche Einführungen einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren. Ausgenommen werden sollten Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Laut Schmidt zählten „die Impfstoffe, die wie haben, zu den besten überhaupt“. „Nach dem Stand der Wissenschaft“ böten „drei Impfungen einen guten Schutz gegen schwere Verläufe und Tod, auch bei Varianten.“ Die SPD-Politikerin schloss ihren Beitrag mit den Worten: „Wir haben einen Weg aus der Pandemie, der heißt impfen“

Kubicki sieht auch Minderheitsschutz betroffen

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki hingegen sprach sich gegen eine Impfpflicht aus. Es gebe „gute Gründe für eine Impfung, die für eine Impfpflicht überzeugen mich nicht.“ Der FPD-Politiker, der zu den Initiatoren eines Gesetzentwurfes zählt, der die Werbung für die Impfung verstärken will, die Etablierung einer Impfpflicht aber ausschließt, erklärte, er selbst habe sich impfen und boostern lassen. Gleichwohl gebe es bedenkenswerte psychologische und religiöse Gründe, eine Impfung für sich persönlich auch abzulehnen. „Wir machen es uns viel zu einfach, wenn wir erklären, hauptsächlich Corona-Leugner und Rechtsradikale entschieden sich gegen die Impfung. Das ist mitnichten so.“

Kubicki, der auch stellvertretender Parteivorsitzende der Liberalen ist, erklärte, bei der Debatte gehe es auch um den Minderheitenschutz, der durch eine Impfpflicht berührt würde. „Ich möchte jedenfalls nicht, dass die Mehrheit für die Minderheit festlegt, was man als vernünftig anzusehen hat, und was man nach Mehrheitsmeinung tun muss, um solidarisch zu sein.“

Impfpflicht ab 50 Jahre, verpflichtende Beratung ab 18

Weitere Abgeordnete um die den FDP-Politiker Andrew Ullmann und die Grünen-Politikerin Paula Piechotta warben für ein Konzept, das eine verpflichtendes Beratungsgespräch für alle Bürger ab 18 Jahre mit einer Impfpflicht für Menschen ab 50 Jahre kombiniert.

Einige wenige Abgeordnete, darunter Bundesjustizminister Marco Buschmann, zeigten sich noch unentschlossen: „Ich traue mir da heute keine abschließende Meinung zu“, sagte der FDP-Politiker. Die „mildere Alternative einer altersbezogenen, einer gestuften Impfpflicht“ sei sehr ernstzunehmen, erklärte Buschmann und verwies auf den Corona-Expertenrat. Der habe festgestellt, dass vor allem von den über 50-jährigen Ungeimpften eine Gefahr für die Überlastung der Intensivstationen ausgehen würde. „Denkbar“ sei auch, dass sich die Frage nach einer Impfpflicht durch den Einsatz von wirksamen Medikamenten gegen das Coronavirus erledige. Diese Möglichkeit müsse man prüfen.

Lauterbach hält Impfpflicht für den „einzigen Weg“ aus der Pandemie

Als einer der letzten Redner sprach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Der SPD-Politiker machte Druck und nannte die Impfpflicht den „einzigen Weg“ aus der Pandemie: „Wir kommen nicht weiter, wenn wir das Problem vor uns herschieben.“ „Wir brauchen für die Umsetzung der Impfpflicht fünf bis sechs Monate. Wenn wir die Impfpflicht jetzt beschließen und umsetzen, dann sind wir für den Herbst gerüstet.“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfolgte die Debatte über weite Strecken von der Regierungsbank aus, ergriff aber selbst nicht das Wort.

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