Zur Befriedung der "hoch explosiven" Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht hat der katholische Sozialethiker Elmar Nass einen 10-Punkte-Plan vorgelegt. Nass, der an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog lehrt, schlägt darin vor, den Deutschen Ethikrat, der "hohes Ansehen in Gesellschaft und Politik" genieße, dafür zunächst als "Gremium für Werturteilsdebatten" aufzuwerten. Dazu sollte die bisher praktizierte "interne Experten-Diskussion im Rat mit anschließender öffentlicher Empfehlung" durch einen "öffentlichen Diskurs" ersetzt werden, "der vom Ethikrat moderiert wird". So könnten auch die Vertreter von Minderheitenpositionen zu Wort kommen und an der Diskussion beteiligt werden.
Fake-News und Vorurteile aus dem Weg räumen
Vor dem Hintergrund der angestrebten sozialen Befriedung sei dies "viel wirksamer als eine theoretische Abwägung der Argumente ohne deren Protagonisten", schreibt Nass auf dem Internetportal "katholisch.de". Nach Ansicht des Sozialethikers "müssen die ernst zu nehmenden Gründe derer aufmerksam gehört werden, die sich nicht impfen lassen wollen". Deren Vertreter sollten dem Ethikrat ihre Argumente "zeitnah" und "öffentlich" vorlegen. Im Anschluss daran seien diese "offen, transparent und fair" zu diskutieren und etwaige "Fake-News oder Vorurteile" aus dem Weg zu räumen.
Ließen sich die "entscheidenden Argumente" der Impfgegner "im offenen Diskurs" vom Ethikrat widerlegen, so lasse sich auch eine "allgemeine moralische Pflicht", sich impfen zu lassen, mit befriedender Wirkung begründen. Ausnahmen könnten dann nur noch für jene gelten, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Würden in einem öffentlich gemachten Diskurs des Ethikrates die Gründe der Impfgegner hingegen "nicht hinreichend widerlegt", dann könne eine "allgemeine Impfpflicht weder moralisch gefordert, noch juristisch legitimiert werden".
Einig zu weiterem Vorgehen in der Pandemie
Unterdessen haben sich Bund und Länder am Montag auf das weitere Vorgehen in der Pandemie geeinigt. Im Anschluss an das virtuelle Treffen stellten Bundeskanzler Olaf Scholz, Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (beide SPD) und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) die Beschlüsse auf einer Pressekonferenz vor. Angesichts der hohen Infektionszahlen hätten sich Bund und Länder darauf verständigt, die geltenden Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung beizubehalten. Es gelte "Kurs" zu halten und "vorsichtig" zu bleiben, so Scholz. Angesichts steigender Infektionen müssten auch die Teststrategie verändert und PCR-Tests priorisiert werden.
Außerdem habe sich die Bundesregierung entschlossen, ihre Impfkampagne unter dem Motto "Impfen hilft" neu aufzulegen. Neben Plakaten solle es nun erstmals auch verstärkt Aufrufe im Radio und auch auf Social-Media-Plattformen geben. Am Mittwochnachmittag, nach Redaktionsschluss, diskutierten die Abgeordneten des Deutschen Bundestag erstmals im Rahmen einer Orientierungsdebatte drei Stunden lang über die mögliche Einführung einer allgemeinen Impfpflicht.
Streeck äußert Verständnis für Wunsch nach Impfpflicht
Am Abend zuvor hatte der Bonner Virologe Hendrik Streeck in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" Verständnis für den Wunsch nach einer allgemeinen Impfpflicht geäußert. Allerdings lasse sich "die Pandemie nicht wegimpfen". Seiner Ansicht nach sei es "von Anfang an ein Fehler" gewesen, den Eindruck zu erwecken, die Impfung schütze zuverlässig vor einer Infektion und man könne eine "Herdenimmunität" erreichen. "Schutzwirkung und Schutzdauer" seien derzeit ebenso wenig hinreichend geklärt, wie die Frage, "wie oft" geimpft werden müsse, beantwortet. "Immunologisch betrachtet impfen wir im Moment ja gegen eine Variante, die es gar nicht mehr gibt, die Wuhan-Variante", erklärte Streeck, der auch Mitglied des Corona-Expertenrates ist, der die Bundesregierung in der Pandemie berät. Wer sich impfen lasse, betreibe daher "Gesundheitsvorsorge" und schütze "sich selbst".
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