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Kommentar: Rückwärts ist das neue Vorwärts

Der Parteitag hat gezeigt: Die SPD re-ideologisiert sich. In ihrem selbstherrlichen Gebaren ist sie immer noch die alte Tante. Aber die Partei droht, in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen.
SPD-Bundesparteitag
Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa) | Harz IV entsorgt, Vermögenssteuer beschlossen, Erhöhung des Mindestlohns anberaumt – an diesem Parteitag hat die SPD ihre eigene Seele gestreichelt.

Der Name der Rose lautet SPD. Emblematisch hat die SPD deutlich gemacht, dass das neue „Vorwärts“ nunmehr ein „Rückwärts“ ist. Die rote Rose überstrahlte den Parteitag. Ein sozialistisches Erinnerungsstück, das die Generation von Gerhard Schröder und „New Labour“ eingemottet hatte. Die Linke gratuliert, dass die SPD zur guten alten Zeit zurückgefunden hätte. Es sind vergiftete Wünsche. Auch der Wähler mit dem größten linken Herz kann seine Stimme nicht zwei Parteien geben.

Am Ende siegt Gefühl über Vernunft

Die Re-Ideologisierung der SPD hatte bereits am Ende der Schröder-Ära begonnen. Die Realos an der Spitze blieben dagegen beim Kompromiss. Sie hatte sich zu oft der Realität beugen müssen – in den letzten 20 Jahren war die SPD nur vier Jahre in der Opposition. Der Graben zwischen den beiden Seelen in der sozialdemokratischen Brust wurde unüberwindbar. Am Ende siegte Gefühl über Vernunft.

Harz IV entsorgt, Vermögenssteuer beschlossen, Erhöhung des Mindestlohns anberaumt – an diesem Parteitag hat die SPD ihre eigene Seele gestreichelt. Von einem Beschluss, die Große Koalition zu brechen, ist dagegen nichts mehr übriggeblieben. Kevin Kühnert hat offensichtlich anders entschieden. Der Juso-Chef ist die jüngste Graue Eminenz der Nachkriegsgeschichte. Ähnlich wie Sigmar Gabriel weiß Kühnert wie die Genossen ticken, ohne seine eigene Position zu gefährden. Gabriel trieb andere in die aussichtslose Bewerbung um das Kanzleramt, behielt dagegen die innerparteiliche Macht. Saskia Esken hatte vor ihrer eigenen Kandidatur bei Kühnert nachgefragt, ob er kandidieren wolle.

Zwischen Naivität und Ignoranz

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Zugleich spiegelt Esken die Befindlichkeit der Partei wider. Als die Union fragt, an wen man sich nun bei der SPD wenden soll, twittert Esken keck: „Tipp: Der Koa-Vertrag wurde zwischen den Parteien geschlossen.“ Das desavouiert nicht nur Olaf Scholz, immerhin Finanzminister und Vizekanzler der Republik. Es zeigt das deutliche Verständnis, dass nicht die Fraktionen als gewählte Legislative die Macht im Land haben, sondern die Parteien. Ob Naivität oder Ignoranz: es zeigt, welche Prioritäten die neue SPD hat. In ihrem selbstherrlichen Gebaren ist sie immer noch die alte Tante. Ob sie erfolgreicher sein wird, ist deswegen fraglich. Friedrich Merz provozierte bereits, es handele sich um eine „11-Prozent-Partei“ im Niedergang.

Seine Prognose ist nicht abwegig. In Italien haben es vor einigen Jahren die Sozialisten mit der „Rose in der Faust“ versucht, die sich gegen den Realkurs der Sozialdemokraten stellten. Für ihre drei Abgeordneten in Senat und Kammer wären 11 Prozent ein traumhaftes Ergebnis.

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