Fastenzeit geht eigentlich anders: Statt für Umkehr und Verzicht hat sich der Christdemokrat Friedrich Merz mit seinen sozialdemokratischen Sondierungspartnern dafür entschieden, die Idee des Ampelkoalitionsvertrags, mittels windiger Schuldenkonstruktionen die Investitionsfantasien von SPD und Grünen zu ermöglichen, ins Groteske zu übersteigern. 500 Milliarden – plus X! Das ist reiner Wahnsinn. Saskia Esken war 2019 mit dieser Zahl gegen Olaf Scholz in das Rennen um den SPD-Parteivorsitz gegangen. Allen außerhalb der SPD-Parteilinken war dies Beweis eines um sich greifenden Realitätsverlustes gewesen. Jetzt wird der Traum wohl Realität.
Spaßeshalber nochmal Merz‘ abenteuerliche Begründung im Wortlaut, wieso die zweifellos herausfordernde sicherheitspolitische Situation nicht nur die Ausnahme aller Verteidigungsausgaben oberhalb von ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts von der Schuldenbremse erfordere – schon das eine in der Situation vertretbare, aber fragwürdige Vorstellung, Verteidigung ist Kernaufgabe des Staates, eine laufende Ausgabe, die eigentlich dringend aus dem regulären Budget bestritten werden sollte –, sondern auch 500 Milliarden für die öffentliche Infrastruktur: „Die zusätzlichen Verteidigungsausgaben sind nur zu verkraften, wenn unsere Volkswirtschaft binnen kürzester Zeit wieder auf einen stabilen Wachstumskurs zurückkehrt. Dazu braucht es neben einer durchgreifenden Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen für unsere Wirtschaft schnell und nachhaltig Investitionen in unsere Infrastruktur“.
Selten sind Versprechen so schnell gebrochen worden
Der plötzliche Glaube an die Notwendigkeit und Nachhaltigkeit staatlicher Investitions-Strohfeuer steht natürlich nicht nur dem CDU-Wahlprogramm diametral entgegen, in dem ein Festhalten an der Schuldenbremse versprochen wurde, sondern auch Merz‘ eigenen Wahlkampfaussagen. Er sei bei der Schuldenbremse „so klar“, so Merz bei Sandra Maischberger, weil sie das Geld der jüngeren Generation schütze. „Sollen wir deren Geld heute schon ausgeben, weil wir mit dem, was wir haben, nicht auskommen? Wir nehmen 1000 Milliarden Euro Steuern ein pro Jahr, eine Billion – und damit sollen wir nicht auskommen?“
Selten sind Versprechungen so schnell gebrochen worden wie durch den CDU-Vorsitzenden, was noch verschmerzbar wäre – dass das Unionsprogramm nicht finanzierbar war, darauf wurde im Wahlkampf hinlänglich hingewiesen –, nein, das Problem besteht darin, dass das Vorgehen an sich falsch ist. Nicht nur, weil es noch mit dem alten Bundestag durchgeboxt werden soll, eigentlich eine geradezu wählerverachtende demokratische Unmöglichkeit. Mit der Verteidigungsfähigkeit hat die Infrastruktur schlicht nichts zu tun. Die Wahnidee der zukünftigen Koalitionäre, man könne sich das Wirtschaftswachstum, das all die Schulden gegenfinanziere, durch noch mehr Schulden herbeisubventionieren, erinnert fatal an Olaf Scholz‘ nie eingetretenes „grünes Wirtschaftswunder“. Auch diesmal wird der Staat sich nicht an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen können.
Wirtschaftsreformen? Ab jetzt unwahrscheinlich
Angesagt wären echte, auch schmerzhafte Strukturreformen, Bürokratieabbau, wohl auch soziale Einschnitte, kurz, Blut, Schweiß und Tränen, um das Land nach den Ampel-Verirrungen wieder auf Wachstumskurs zu bringen und für die verteidigungspolitischen und demographischen Herausforderungen fit zu machen. Dass derartiges mit der SPD erreicht werden kann, ist durch die vorab vereinbarte Geldschwemme leider wesentlich unwahrscheinlicher geworden. Weil für Investitionsaufgaben nun mehr als genug Geld da ist, muss im regulären Haushalt nicht mehr dafür gespart werden. Es fällt also nicht nur die Notwendigkeit weg, effizient zu investieren, wie die Wirtschaftsweise Veronika Grimm auf „X“ bemerkte. Auch die Ausgabendisziplin bei den ausufernden sozialstaatlichen Ausgaben ist auf einmal reduziert, da ja für Investitionen kein Geld mehr eingespart werden muss.
Bleibt noch die Frage, ob die Union dafür wenigstens wirksame Wirtschaftsreformen wird durchsetzen können, Stichwort bessere Wettbewerbsbedingungen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist klein, weil die Reformen der SPD nicht im Gegenzug zum Schuldenpaket abverhandelt wurden, sondern jetzt erst noch verhandelt werden müssen. Warum aber sollte die alternativlose SPD sich auf große Zugeständnisse einlassen? Dass sich die Union in Koalitionsfragen bedingungslos an die Sozialdemokraten gekettet hat, zeitigt hier ein erstes Mal ungute Folgen.
Bis zur nächsten Wahl ist es (wahrscheinlich) noch lange hin, und es wird sich erst zeigen müssen, ob die rot-schwarzen Pläne überhaupt umsetzbar sind. Die Grünen, die sich für das bevorstehende Manöver im alten Bundestag ja auch willig zeigen müssen, weisen schonmal darauf hin, dass auch die Klimakrise nicht warte, bis Putin gestoppt sei. Falls die ehemals große Koalition aber tatsächlich mit diesem Paket in die Legislatur startet, werden sich die Wähler auch in vier Jahren noch daran erinnern, wem sie Überschuldung, Inflation, Missachtung des Wählerwillens und verschleppte Reformen zu verdanken haben.
Die kommenden vier Jahre wurden im Vorfeld der Wahl weithin als möglicherweise letzte Chance der demokratischen Mitte, die Bürger durch Problemlösung zu überzeugen, apostrophiert. Am Abend des Faschingsdienstags haben sich Rote und Schwarze als Narren gezeigt. Bleibt abzuwarten, ob in der bis Ostern angedachten Verhandlungsperiode doch noch Zeichen der Umkehr erkennbar werden. Nicht nur für die Auferstehung der stagnierenden deutschen Wirtschaft wären diese dringend notwendig.
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