Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Ein Jahr vor den Wahlen

Joe Biden muss um Wiederwahl bangen

Ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen sind Joe Bidens Umfragewerte im Keller. Ehemalige Anhänger wenden sich enttäuscht ab, und seine Nahostpolitik stößt auf deutlichen Widerspruch.
Joe Biden hat derzeit einiges zu verdauen
Foto: IMAGO/Al Drago - Pool via CNP (www.imago-images.de) | Joe Biden hat derzeit einiges zu verdauen: 71 Prozent der Wähler in den entscheidenden Staaten halten den Demokraten, der am Montag 81 wird, schlicht für zu alt.

Ob das Glas halb voll oder halb leer ist, liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Nur noch ein knappes Jahr bis zu den Präsidentschaftswahlen, mochten sich Pessimisten im Weißen Haus jüngst gedacht haben. Die Optimisten hielten womöglich dagegen: Immerhin noch ein knappes Jahr bis zu den Wahlen.

Was niemand leugnen kann: Die letzten Tage und Wochen verliefen äußerst turbulent für Joe Biden, wobei der demokratische Amtsinhaber deutlich mehr Tiefen als Höhen durchlebte. Zuletzt gab es wieder einige kleine Lichtblicke: So konnte sich der Gouverneur des Bundesstaates Kentucky, der Demokrat Andy Beshear, im Duell mit seinem republikanischen Herausforderer eine zweite Amtszeit sichern. Zudem kontrollieren die Demokraten nach Erfolgen bei Parlamentswahlen im Staat Virginia künftig beide Kammern. Und nicht zuletzt setzten im traditionell konservativen Ohio Abtreibungsbefürworter per Referendum ein „Recht“ auf Abtreibung durch – was Biden ausdrücklich begrüßte. Analysen zeigen, dass nicht nur in Ohio ausgerechnet das Thema Abtreibung die Wähler der Demokraten mobilisierte, sondern der Präsidentenpartei auch in Kentucky und Virginia zum Sieg verhalf.

Lesen Sie auch:

Doch die jüngsten Erfolgserlebnisse auf bundesstaatlicher Ebene können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Joe Biden derzeit deutlich geschwächt ist. Nicht nur, da ihm die oppositionellen Republikaner weiterhin das Leben schwer machen – besonders im Repräsentantenhaus, wo sie über eine knappe Mehrheit der Sitze verfügen. Wesentlich mehr Kopfzerbrechen dürfte den Demokraten bereiten, dass es Biden grundsätzlich an Unterstützung mangelt.

Donald Trump führt in fünf von sechs Swing States

Dies belegte kürzlich eine repräsentative Umfrage der „New York Times“: Die renommierte Tageszeitung befragte 3.662 registrierte Wähler in sechs sogenannten „Swing States“ – jene Staaten, die bei der letzten Wahl am härtesten umkämpft waren. Das Ergebnis: In fünf der sechs Staaten führt sein wahrscheinlicher republikanischer Kontrahent Donald Trump – teilweise sogar mit deutlichem Abstand. In Pennsylvania beträgt Trumps Vorsprung vier Prozent, in Michigan und Arizona fünf, in Georgia sechs und in Nevada sogar zehn Prozent. Nur in Wisconsin liegt Biden mit zwei Prozent vor Trump. Im letzten Duell 2020 konnte Biden jeden dieser sechs Bundesstaaten für sich entscheiden.

Die Umfrage hielt noch weitere besorgniserregende Befunde für Biden bereit. In zahlreichen wesentlichen Themen sprechen die Befragten Trump mehr Vertrauen aus als Biden. Allen voran in der Wirtschaftspolitik, die erfahrungsgemäß einen der wichtigsten Faktoren für die Wahlentscheidung darstellt. 59 Prozent gaben an, Trump eher zu vertrauen, nur 37 Prozent setzten auf Biden. Ganz grundsätzlich bewerteten die Wähler in den „Swing States“ die derzeitige wirtschaftliche Lage überwiegend negativ, auch wenn makroökonomische Daten diese Wahrnehmung nicht unbedingt stützen.

Doch damit nicht genug: Die Erhebung förderte eine generelle Unzufriedenheit der Wähler in den entscheidenden Bundesstaaten mit Präsident Biden zutage (57 Prozent). Nur 41 Prozent zeigten sich mit dem politischen Urgestein im Weißen Haus zufrieden. Ein wesentliches Manko, das immer wieder zu hören ist: Bidens Alter. 71 Prozent der Wähler halten den Demokraten, der am Montag seinen 81. Geburtstag feiert, schlicht für zu alt. Dagegen denken nur 19 Prozent dasselbe über Trump, obwohl der mit 77 Jahren nur vier Jahre jünger ist als Biden. Zudem meinen 62 Prozent der Befragten, Biden sei nicht mehr geistig fit genug, um das Präsidentenamt ausüben zu können.

Mit Blick auf die im kommenden Jahr anstehenden Wahlen dürfte das Biden-Lager besonders beunruhigen, dass der amtierende Präsident gerade in den Bevölkerungsgruppen massiv an Zustimmung verliert, die ihm vor drei Jahren noch zum Sieg verhalfen. So erleidet er unter jungen, schwarzen und hispanischen Wählern die größten Einbußen. Unter Wählern im Alter zwischen 18 und 29 Jahren liefern sich Biden und Trump ein Kopf-an-Kopf-Rennen, obwohl Biden 2020 mehr als 20 Prozent Vorsprung in dieser Gruppe verzeichnete. Unter schwarzen Wählern fiel Biden von mehr als 90 auf 71 Prozent zurück, während 20 Prozent angaben, Trump zu unterstützen. Der Republikaner genießt damit einen historischen Höchststand an Unterstützung innerhalb einer demografischen Gruppe, die historisch gesehen nahezu geschlossen den Demokraten zuneigte. Und bei hispanischen Wählern, die normalerweise ebenfalls eine Bank für die Demokraten darstellen, fiel Biden von mehr als 60 Prozent auf 50 Prozent zurück. Die Umfrage deutet damit eine Wechselstimmung innerhalb der Wählerschaft an, die das politische Koordinatensystem fundamental verändern könnte. Falls sich die Umfragewerte in einem Jahr tatsächlich bestätigen.

Regierungsbeamte treten wegen Israelpolitik zurück

Dass Biden und sein Wahlkampfteam vor einer großen Herausforderung stehen, wollen sie dies verhindern, zeigte jüngst auch ein anderes Thema: der Krieg im Nahen Osten. Washington steht seit Beginn des Kriegs eng an der Seite Israels, auch wenn Biden seine Linie zuletzt in Nuancen änderte. So plädieren die USA nun verstärkt für humanitäre Korridore im Gazastreifen, beklagen zunehmend die zahlreichen zivilen palästinensischen Opfer der israelischen Angriffe in dem abgeriegelten Küstenstreifen – und drängen Israels Premierminister Netanjahu dazu, mehrstündigen täglichen Feuerpausen zuzustimmen. Eine langfristige Lösung für die Zeit nach dem Krieg dürfte nach Ansicht von US-Regierungsvertretern keine erneute Besetzung des Gazastreifens durch Israel beinhalten. Der US-Außenminister Antony Blinken sprach vorsichtig von einer einheitlichen Kontrolle von Westjordanland und Gazastreifen unter palästinensischer Führung.

Diese sanfte Kurskorrektur geht hauptsächlich auf innerparteilichen Druck zurück. Denn die israelfreundliche Haltung der Biden-Regierung sorgt zunehmend für Kritik. Dabei muss man differenzieren: Es gibt in der Partei durchaus seriöse Stimmen, die mehr Einsatz gegen das Sterben von Zivilisten im Gazastreifen und für die berechtigten Ansprüche der Palästinenser fordern. Ohne dabei Israels Recht auf Selbstverteidigung infrage zu stellen oder den Terror der Hamas zu relativieren. So kursierten in den vergangenen Wochen mehrere offene Briefe, etwa von Angestellten des „Democratic National Committee“ (DNC), dem Organisationsgremium der Partei, oder auch von Kongressabgeordneten, in denen die Verfasser die US-Regierung aufforderten, sich für einen Waffenstillstand im Gazastreifen einzusetzen. Vereinzelt traten gar Regierungsbeamte zurück, weil sie mit Israels Vorgehen im Krieg und der Haltung der Biden-Regierung nicht einverstanden waren.

Lesen Sie auch:

In eine andere Kategorie fällt die offen antiisraelische, teilweise schon antisemitische Rhetorik einiger demokratischer Parteivertreter vom extremen linken Flügel. Das prominenteste Beispiel: die palästinensisch-amerikanische Kongressabgeordnete Rashida Tlaib. Die 47-Jährige warf Biden vor, einen „Völkermord im Gazastreifen“ zu unterstützen und teilte in den sozialen Medien Bilder propalästinensischer Demonstrationen, auf denen ein „freies Palästina“ „from the river to the sea“ (vom Jordan bis zum Mittelmeer) gefordert wurde – eine Parole, die als antisemitisch gilt und mit der Forderung gleichgesetzt wird, den Staat Israel auszulöschen. Damit überschritt Tlaib jedoch eine Grenze: Vom Weißen Haus wurde sie gemaßregelt, und die Abgeordneten des Repräsentantenhauses verurteilten das Verhalten der umstrittenen Demokratin in einer Resolution, die parteiübergreifende Unterstützung fand. Allerdings stimmten nur 22 Demokraten diesem Schritt zu, 184 dagegen. Auch darin spiegelt sich die Zerrissenheit der Partei im Umgang mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern.

Jüngere solidarisieren sich mit Palästinensern

Insbesondere innerhalb des jüngeren Bevölkerungsteils, der tendenziell eher den Demokraten nahesteht, überwiegt das Verständnis für die Sache der Palästinenser deutlich die Solidarität mit dem von der Hamas bedrohten Israel, das vielmehr als Militär- und Besatzungsmacht gesehen wird. Und auch wenn die jüngere Generation nicht geschlossen eine antiisraelische Haltung vertritt, gibt ein trauriges Phänomen doch zu denken: Vor allem amerikanische Hochschulen sorgten in den letzten Wochen häufig mit einseitigen, propalästinensischen Demonstrationen und antisemitischen Vorfälle für Negativschlagzeilen. An der renommierten Harvard University in Boston bedrohten Studenten mit Palästinensertüchern beispielsweise einen jüdischen Studenten; an der Hochschule Cooper Union in New York mussten Studenten mit Kippas vor Protesten in einer Bibliothek Zuflucht suchen. Und auf dem Campus der New York University waren auf einer Demo Plakate zu sehen, die den Davidstern in einem Mülleimer zeigten.

Auch Angehörige von Minderheiten sind bei solchen Protesten an vorderster Front vertreten. Vor allem Schwarze sehen den Wunsch der Palästinenser nach einem eigenen Staat in einer Linie mit ihrem eigenen Freiheitskampf auf amerikanischem Boden und verurteilen Israel dagegen als „Kolonialstaat“. Demonstrationen für Frieden in Nahost erscheinen als konsequente Fortsetzung der Antikriegsbewegung der 60er und 70er Jahre. Für notwendige Differenzierungen bleibt hingegen nicht viel Raum.

Auch vor diesem Hintergrund scheinen sich Joe Bidens Popularitätseinbußen bei schwarzen und jungen Wählern erklären zu lassen. Den Präsidenten stellt das vor ein Dilemma. Seine Israelpolitik offenbart ein tiefer sitzendes Problem der Partei, das Bidens Präsidentschaft bislang zwar verdrängte, jedoch nicht lösen konnte: Auch die Demokraten sind in heftige Lagerkämpfe verstrickt, zwischen den radikal Progressiven und den zur Mitte orientierten Moderaten gibt es kaum Verbindendes. Zwar gelang es Biden 2020, die zerstrittenen Flügel einigermaßen zu einen. Die Koalition, die er zusammenzimmerte, um Donald Trump aus dem Weißen Haus zu verdrängen, war aber nur das: eine Anti-Trump-Koalition, keine Pro-Biden-Koalition.

Treffen zwischen Biden und Xi Jinping am Mittwoch

Ob und wie Biden das Ruder noch herumreißen wird, bleibt offen. Zumindest nach außen lässt er sich von all den Problemen wenig anmerken – und arbeitet scheinbar unbeeindruckt von Zahlen und Umfragen seinen Terminkalender ab. Der sah am Mittwoch ein Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping am Rande des Gipfels der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) in San Francisco vor. Eine Begegnung, die mehr als Symbolcharakter enthält: Ob es Biden gelingt, im Umgang mit China eine kluge Balance zwischen den Polen systemischer Rivale und enger Wirtschaftspartner zu finden, dürfte sich auch auf die US-Wahlen im kommenden Jahr auswirken.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Maximilian Lutz Antony Blinken Benjamin Netanjahu Donald Trump Hamas Joe Biden Palästina Präsidentschaftswahlen US-Regierung Weißes Haus Xi Jinping

Weitere Artikel

Im Taiwan-Konflikt wächst die Sorge vor einer unmittelbaren militärischen Konfrontation Chinas mit den USA.
23.02.2024, 17 Uhr
Thorsten K. Schreiweis
Auch viele Israelis fragen sich: Geht es Regierungschef Netanjahu noch um die Geiseln und die Sicherheit Israels – oder um Netanjahu?
10.04.2024, 11 Uhr
Stephan Baier

Kirche

Das römische Dokument „Dignitas infinita" lädt ein, aus der Fülle der Identität als Erben Christi zu leben, statt eigene Identitäten zu konstruieren. 
26.04.2024, 17 Uhr
Dorothea Schmidt
Die deutschen Bischöfe werden beim Synodalen Ausschuss wohl keine kirchenrechtskonforme Lösung finden. Das Mehrheitsprinzip eröffnet einen rechtsfreien Raum.
25.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig