In Zeiten, in denen internationale Krisen und Konflikte zu eskalieren drohen oder gar zu Kriegen von nicht absehbarem Ausmaß anwachsen, ruhen die Augen der Weltöffentlichkeit in besonderem Maße auf den amerikanischen Präsidenten. Manche sichern sich ihren Platz in den Geschichtsbüchern. Anderen haften im Rückblick sehr zweifelhafte Entscheidungen an.
Auch der amtierende US-Präsident Joe Biden muss derzeit eine weltpolitische Ausnahmesituation steuern. Sowohl der Krieg in der Ukraine wie auch in Israel haben das Potenzial, in einen geopolitischen Flächenbrand auszuarten. Auf diese Gefahr stimmte Biden die amerikanischen Bürger am Donnerstagabend in einer seiner seltenen Ansprachen an die Nation ein – mit bemerkenswerten Worten. Es schien, als habe der Demokrat, der bald sein 81. Lebensjahr vollendet, jahrzehntelang auf diese Situation hingearbeitet. Nun, im Winter seiner politischen Karriere, vermittelt er noch einmal eine Entschiedenheit, Klarheit und Leidenschaft, die er sonst so oft vermissen lässt.
Die Zustimmung zu Bidens Kurs bröckelt
„Die Hamas und Putin stehen für unterschiedliche Bedrohungen, aber sie haben eines gemeinsam: Sie wollen beide eine Demokratie in ihrer Nachbarschaft komplett auslöschen“, so der US-Präsident. Und: „Wenn Terroristen keinen Preis für ihren Terror zahlen, wenn Diktatoren keinen Preis für ihre Aggression zahlen, dann verursachen sie noch mehr Chaos, Tod und Zerstörung.“ Einmal mehr zeigte er sich als Transatlantiker, der von der Rolle der USA als weltpolitische Führungsmacht überzeugt ist. „Amerikanische Führungsstärke ist es, was die Welt zusammenhält“, so die Essenz seiner Rede. Den US-Kongress, in dem die Republikaner heftig zerstritten sind, bat er um ein Milliarden-Hilfspaket für Israel und die Ukraine.
Doch Bidens entschlossene Ankündigungen haben einen fahlen Beigeschmack. Denn die Zustimmung für seinen interventionistischen Kurs bröckelt in der Bevölkerung immer mehr. Bereits die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten 2016 auf der Welle des „America First“ ließ erkennen, dass die Zeiten Amerikas als Weltpolizist allmählich auslaufen. Mehr und mehr wird deutlich, dass Biden einer Generation von Politikern einer längst vergangenen Epoche angehört, deren Einfluss rapide schwindet. Als Biden geboren wurde, tobte noch der Zweite Weltkrieg. Seine politische Sozialisierung erlebte der Demokrat zur Hochzeit des Kalten Krieges, schon vor 50 Jahren saß er im Büro der damaligen israelischen Premierministerin Golda Meir, mit Michail Gorbatschow sprach er über die atomare Abrüstung der Sowjets.
Auch deshalb tritt Biden noch einmal an
Angesichts der aktuellen Konfliktlage hat Joe Biden nochmals deutlich gemacht: Er empfindet eine persönliche Verantwortung für sein Land und dessen unverzichtbare Rolle auf der weltpolitischen Bühne. Auch deshalb dürfte er sich entschieden haben, trotz seines fortgeschrittenen Alters 2024 noch einmal anzutreten. Denn es müsste nicht einmal Donald Trump sein, der für die Republikaner ins Rennen geht. Schließlich haben diese zuletzt sehr deutlich gemacht, dass Trumps anti-interventionistischer, nur die eigenen Interessen in den Blick nehmender Politikansatz wohl der zukünftige Kurs der Partei sein wird. Und selbst bei den Demokraten findet Bidens Vorgehen keine ausnahmslose Unterstützung. Insbesondere die entschiedene Parteinahme pro Israel sehen manche kritisch.
Die Widerstände im Inneren wie im Äußeren, sie sind groß. Aggressoren und Diktatoren weltweit spüren, wenn ein ehemaliger Gigant wie die USA Schwäche zeigt. Und werden das auch in Zukunft auszunutzen wissen.
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