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Deutschland und Israel: Es geht um das Menschenbild, nicht nur um Geopolitik

Merz' Waffenembargo hat in der CDU einen Aufschrei ausgelöst. Die Israel-Bindung symbolisiert vielen das Bekenntnis zu einer „jüdisch-christlichen Kultur“ des freien Westens.
Jens Spahn, Friedrich Merz
Foto: Florian Gaertner (www.imago-images.de) | Zwei, denen das Gefühl für ihre Partei abgeht: Jens Spahn (li.) und Friedrich Merz.

Das war dann das nächste Beispiel dafür, dass Friedrich Merz nicht weiß, wie seine Truppe tickt: Mit seiner Entscheidung, Waffenlieferungen an Israel für die Auseinandersetzungen in Gaza zu stoppen, hat er in seiner Bundestagsfraktion, in seiner Partei, aber auch in der Anhängerschaft der Union einen großen Aufschrei ausgelöst. Sicher, es gibt auch zustimmende Äußerungen, etwa von den CDU-Außenpolitikern Norbert Röttgen und Jürgen Hardt. Aber unabhängig davon ist die Entrüstung innerhalb der Union – für morgen wurde eine Sondersitzung der Außen-AG der Fraktion angesetzt – so groß, dass man zwar noch nicht von einem Aufstand sprechen kann, aber doch von einer großen Empörungswelle, die jetzt schon einige Staudämme überwunden hat und nun in Richtung Kanzleramt unterwegs ist.

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Dies ist nun schon das zweite Beispiel innerhalb von wenigen Wochen, bei dem Merz große Teile seiner Partei enttäuscht, vor allem diejenigen in der Union, die große Hoffnungen in ihn gesetzt haben. Mit seinem Herumlavieren im Fall Brosius-Gersdorf, vor allem mit seiner Ja-Antwort auf die Frage der AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch, ob es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, die Richterkandidatin zu wählen, hat er diejenigen massiv verstört, die davon ausgegangen waren, dass es doch wohl gerade ein Kanzler Merz sein sollte, der das programmatische Tafelsilber der C-Partei wieder aufpoliert.

Friedrich Merz steht für eine große Lücke

Die Brosius-Gersdorf-Episode hatte aber auch noch einen weiteren Effekt: Innerhalb der Fraktion, aber auch in der Partei insgesamt, angefeuert durch kritische Stimmen von Wählern und Basis, ist der Widerstandsgeist so groß wie schon lange nicht mehr. Das heißt auch: Die Autorität von Friedrich Merz ist ernsthaft angekratzt. Das ist für die CDU bedrohlich, die von ihrem Selbstverständnis her eben vor allem „die Kanzlerpartei“ ist. Bisher haben aus der Merz-Regierung dem ursprünglichen Merz-Flügel eigentlich nur zwei Minister etwas geliefert: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche mit ihrem Anstoß zur Rentendebatte und Kulturstaatsminister Wolfram Weimer mit seinem Gender-Verbot und einigen Aussagen zu Kulturkampf-Fragen. Eine Ausnahme ist auch noch Alexander Dobrindt, der als Bundesinnenminister die Migrationswende verantwortet, aber der ist von der CSU.

Friedrich Merz hingegen steht für eine große inhaltliche Lücke. „Links ist vorbei“ – sein Satz vom Tag vor der Wahl taugt mittlerweile nur noch als ironische Anspielung für Ortsverbandssitzungen. Wird diese Situation machtpolitische Opfer fordern? Trotz aller Kritik ist Merz natürlich unangreifbar, den eigenen Kanzler absägen, auf solche Ideen, so intakt ist das Machtgefühl der Union dann doch noch, würden nur Sozis kommen. Aber für den Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn wird es langsam brenzlig. In der Causa Brosius-Gersdorf hat er völlig versagt. Und jetzt in der Israel-Frage hat er es offensichtlich nicht vermocht, die Stimmungslage der Fraktion dem Kanzler zu Gehör zu bringen, auch das gehört nämlich zu seinen Aufgaben als Vorsitzender. Wer sich in den letzten Wochen stark positioniert und gerade beim Kern der Mitglieder wie der Anhängerschaft der Union Punkte gemacht haben dürfte, ist Bundestagspräsidentin Julia Klöckner.

Aber die schielt deutlich Richtung Schloss Bellevue, würde sicher auch das zweithöchste Amt im Staat jetzt nur ungern aufgeben, um zur Zuchtmeisterin der Fraktion zu werden. Ein anderer Kandidat wäre Carsten Linnemann. Der CDU-Generalsekretär hat vor der Wahl ungeheuer viel Energie in das neue CDU-Grundsatzprogramm gesteckt. Es sollte ein Programm aus einem Guss sein, in dem die einzelnen Politikfelder logisch vom christlichen Menschenbild ausgehend durchdekliniert werden. Und Merz, ein CDUler von altem Schrot und Korn, so die Hoffnung, sollte „CDU pur“ zur Regierungspolitik machen. Diese Träume zerplatzten ziemlich schnell. Aber Linnemanns Vorteil: Er ist nicht in die Regierung gewechselt, er wollte Gralshüter von „CDU pur“ bleiben. Schlägt jetzt seine Stunde?

Was die „jüdisch-christliche Prägung“ mit der Leitkultur zu tun hat

Der Aufschrei gegen die Israel-Politik des Kanzlers hat nämlich auch einen Grund, der tief in der christdemokratischen Identität angelegt ist: Natürlich geht es um sicherheitspolitische Fragen, auch darum, sich von der Nahost-Politik der Ampel abzusetzen (Jan Fleischhauer nennt in der neuen Folge des Tagespost-Podcasts „Sagen wie es ist“ den CDU-Außenminister „Annalena Johann Wadephul“.) Der ganze Themenkomplex rührt aber tatsächlich vor allem am Selbstverständnis der Christdemokraten. Das erklärt übrigens, warum gerade die Junge Union in diesem Punkt zu den heftigsten Kritikern des Kanzlers gehört. Es geht um das Bekenntnis zur „jüdisch-christlichen Prägung“ unserer Kultur. Gewiss, der Begriff ist etwas schwammig. Aber um zu verstehen, was damit gemeint ist und warum diese Formulierung nahezu eine früher geläufige Formel, nämlich die von der „christlich-abendländischen Kultur“, verdrängt hat, muss man in die Anfänge der 2000er-Jahre zurückschauen.

Damals gab es einen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz war sein Name, der den Begriff „Leitkultur“ für seine Partei fruchtbar machen wollte. Er nahm damit eine Idee des Politikwissenschaftlers Bassam Tibi auf und wollte sie nun politisch umsetzen. Die Grundidee dahinter, das, was Deutschland ausmacht, spiegelt sich eben nicht nur im Wortlaut der Verfassung wider („Verfassungspatriotismus“), sondern drückt sich in der konkreten Art und Weise des gesellschaftlichen Umgangs der Menschen untereinander aus. Aber wie soll man nun diese gewachsene Form, diese Kultur nennen? Hier setzte sich schon bald, gerade in christdemokratischen Kreisen, eben die Formulierung von „unserer jüdisch-christlichen Kultur“ durch.

Ein Bekenntnis zum freien Westen

Dahinter standen mehrere Vorteile: Die Einbeziehung der jüdischen Prägung entsprach zum einen der historischen Wahrheit, zum anderen immunisierte sie diesen Leitkultur-Begriff vor Nazi-Vergleichen. Ein zweiter Vorteil: Der Kulturraum, für den man diese Charakterisierung gelten lassen konnte, erstreckte sich über Deutschland hinaus nach Europa, ja auch in die USA – kurz: Man konnte so auch sein Bekenntnis zum „freien Westen“ ausdrücken. Schließlich: Diese Formulierung ermöglichte Islamkritik. In diesen Jahren sorgte der damalige Bundespräsident Christian Wulff mit der Aussage für Aufregung, der Islam gehöre zu Deutschland. Diesem ließ sich nun entgegenhalten, dass es zwar mittlerweile deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens gäbe, der Islam aber eben anders als das Judentum keinen positiven Beitrag zur Entwicklung der deutschen Leitkultur geleistet habe.

All das schwingt immer mit, wenn die Freundschaft zu Israel als Staatsräson beschworen wird. Es geht nämlich tatsächlich auch um Grundvorstellungen darüber, welche Wertvorstellungen unser Gemeinwesen prägen. Den Kern dieser jüdisch-christlichen Kultur macht dabei die Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen aus. Sie hat bis in säkularisierte Kreise hinein eine Ausstrahlung, weil in diesem Menschenbild eben auch das Bekenntnis zur Menschenwürde steckt. Wie zentral dieses Thema ist, hat zuletzt der Fall Brosius-Gersdorf gezeigt. Aber auch bei anderen Themen der aktuellen Tagespolitik stellt sich die Frage, welche politischen Forderungen sich eigentlich daraus ergeben, wenn man diese Gottesebenbildlichkeit und das daraus abgeleitete Verständnis von der Würde der menschlichen Person zur Richtschnur macht: Bürgergeld – darf der Mensch zum bloßen Transferempfänger werden? Oder auch die Debatte um das neue Wahlrecht – brauchen wir nicht eine Stärkung der Personenwahl? Dass es in der Israel-Frage nicht bloß um Geostrategie geht, sondern um solche grundsätzlichen Fragen, die auch Deutschland in seinem Inneren berühren, scheinen diejenigen, die sich jetzt zu Wort melden, zumindest intuitiv zu spüren. Bleibt die Frage, warum es bei Friedrich Merz nicht so ist.

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