Eine Waffenruhe für die Ukraine ist in aller Munde – aber dennoch nicht in Sicht. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Heilige Vater, die im „Ukrainischen Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften“ versammelten Kirchen- und Religionsführer sowie zuletzt auch der weltweite Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK): Sie alle rufen dazu auf, zum orthodoxen Osterfest am kommenden Sonntag die Waffen schweigen zu lassen. In dieser Zeit könnten Zivilisten aus Gefahrenzonen evakuiert oder über humanitäre Korridore mit dem Nötigsten versorgt werden.
Der Kriegsherr ist kein Gottgläubiger
Viele Argumente werden für eine Feuerpause ins Feld geführt: Nicht nur die Ukrainer, sondern auch die Russen sind mehrheitlich orthodox und begehen – anders als nicht-orthodoxe Christen – in diesen Tagen die Karwoche und am kommenden Sonntag das höchste religiöse Fest im Jahreskreis. Während die Christen der Auferstehung des Heilands gedenken, feiern die Juden Pessach und die Muslime Ramadan. Doch der Kriegsherr ist kein Gottgläubiger, auch wenn er sich in orthodoxen Kirchen fehlerfrei zu bewegen weiß. Woran Putin tatsächlich glaubt, ist schwer zu sagen. Sicher ist, dass sein Weltbild und Verhalten vom Evangelium Christi Lichtjahre entfernt ist.
Mit dem orthodoxen Palmsonntag startete Moskau die voraussichtlich blutigste Phase ihrer Invasion in der Ukraine. Während die ukrainischen Christen des byzantinischen Ritus – darunter eine katholische und zwei orthodoxe Kirchen – die Karwoche begehen, morden die Freischärler der Wagner-Gruppe, blutjunge russische Rekruten und Söldner aus Tschetschenien und Syrien, in Putins Auftrag im Süden und Osten des Landes. Dem Eroberer ist das Leben von Kindern, Frauen und Greisen nicht heilig. Wie kann man da erwarten, dass ihm ihre religiösen Gefühle heilig sein würden?
Der Ukraine steht ein blutiges Osterfest bevor. Nie hat die von Präsident Putin und Patriarch Kyrill beschworene „Brüderlichkeit“ der verwandten Nachbarvölker stärker an den alttestamentarischen Kain und seinen Brudermord erinnert.
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