Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Interview mit Europaabgeordnetem

„Die Logik von Hitler und Putin ist vergleichbar“

„Die Logik von Hitler und Putin ist vergleichbar“, meint der Europaabgeordnete Michael Gahler im Gespräch. Und er mahnt: Der Kremlchef darf den Krieg nicht gewinnen.
Präsident Putin dürfe seinen Krieg nicht gewinnen, fordert der Michael Gahler
Foto: Anton Novoderezhkin (Pool Sputnik Kremlin/AP) | Der russische Präsident Wladimir Putin dürfe seinen Krieg nicht gewinnen, fordert der Ukraine-Experte des Europäischen Parlaments, Michael Gahler (CDU), im „Tagespost“-Interview.

Die Geschlossenheit und Entschlossenheit der Europäer in der Verteidigung der Ukraine hat den russischen Präsidenten offenbar überrascht. Sie auch?

Nein. Es gab bereits vor der Invasion eine wahrnehmbare Verhärtung der russischen Position, die die politische Klasse in Europa veranlasst hat, genauer hinzusehen. Persönlich hatte ich seit 2014 den Eindruck, dass Wladimir Putin gegenüber der Ukraine den Rubikon überschritten hat. Darum war ich gar nicht überrascht.

Reichen die bisherigen Sanktionspakete? Oder was bräuchte es noch?

Wir brauchen weitere Sanktionen im Energiebereich, insbesondere beim Öl, das auf dem Weltmarkt auch anderweitig vorhanden ist. Ich wäre dafür, jenen, die hier tatsächlich Schwierigkeiten haben, eine längere Übergangsfrist zu gewähren – aber keine fünf Jahre, wie Viktor Orbán es fordert.

"Patriarch Kyrill ist ein Teil von Putins
System und ein KGB-Offizier, der sich
eine christliche Kutte übergezogen hat"

Halten Sie Sanktionen gegen den russischen Patriarchen Kyrill für angemessen? Orbán ist strikt dagegen und beruft sich dabei auf die Religionsfreiheit.

Gilt die Religionsfreiheit denn für jeden KGB-Offizier? Patriarch Kyrill ist ein Teil von Putins System und ein KGB-Offizier, der sich eine christliche Kutte übergezogen hat. Ich denke nicht, dass seine Haltung dem orthodoxen Glauben oder dem Christentum insgesamt entspricht.

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Wie wäre es mit Sanktionen gegen den Kreml-Lobbyisten Gerhard Schröder?

Wenn es eine Handhabe gibt, dann bin ich sehr dafür. Ich weiß nur nicht, ob Sanktionen gegen die eigenen Bürger das korrekte Instrument sind. Man müsste untersuchen, ob strafrechtlich Relevantes vorliegt. Das kann und will ich aber nicht behaupten. Das wäre Sache der Staatsanwaltschaften.

Hat die deutsche Bundesregierung durch ihre Zögerlichkeit nicht viel Prestige und noch mehr Chancen verspielt?

Ehrlicherweise muss man das auch der vorherigen Bundesregierung vorwerfen, die an Nord Stream 2 festgehalten hat. Nach drei Monaten Krieg muss man heute sagen: Vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz hat keine klare Haltung, denn es gäbe die Möglichkeit, der Ukraine schwere Waffen zu liefern – man muss es nur wollen. Und da steht der Kanzler auf der Bremse.

"Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen.
Wir müssen die Ukraine so ausstatten, dass sie
die russischen Truppen aus dem Land vertreiben kann"

Der Krieg kann noch länger andauern. Wird die EU-Solidarität mit Kiew dann irgendwann bröckeln?

Die Solidarität muss halten, denn der Rest der Welt schaut auf uns. Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen. Wir müssen die Ukraine so ausstatten, dass sie die russischen Truppen aus dem Land vertreiben kann. Da sind wir derzeit dabei, aber es muss schneller gehen! Es darf zu keinem weiteren eingefrorenen Konflikt kommen, bei dem manche meinen, irgendwann zur Tagesordnung übergehen zu können. Darum muss die Einigkeit halten, und auch die Entschlossenheit, die Ukraine so zu versorgen, dass sie den Aggressor aus dem Land werfen kann.

Über viele Jahre hat sich Putin systematisch Freunde, Fans und Bewunderer innerhalb der EU geschaffen. Die sind vielleicht derzeit etwas stiller, aber doch wohl nicht alle konvertiert?

Es gibt sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft immer noch Leute mit „Führer-Entzugserscheinungen“. Die brauchen einen, der sagt, wo? langgeht, und finden einen, der mit Gewalt regiert, offenbar schick. Das sind die Leute, mit denen man früher auch in Westeuropa Diktaturen aufgebaut hat. Das ist sehr problematisch.

Wer sind denn diese letzten Putinisten?

Alles ganz rechts ist im Zweifel Putin zugeneigt, aber auch einzelne versprengte Linke. Es gibt aber auch in der Wirtschaft Leute, die Werte nur als Geldwert auf dem eigenen Konto kennen und jetzt Sanktionen zu umgehen versuchen oder Rechnungen vordatieren, damit sie nicht unter die Sanktionen fallen. Da darf es kein augenzwinkerndes Wegschauen geben, denn wir haben es mit einem faschistischen Diktator zu tun. Putins Politik erinnert mich an dunkle Gestalten aus den 1930er Jahren. Typen wie Hitler und Putin können keine halben Sachen machen. Putins Abenteuer auf der Krim kostet Russland die Rentenversicherung. Dazu kommen die militärischen Abenteuer in Syrien, die fortgesetzten Besatzungen in Transnistrien, Südossetien und Abchasien sowie im Donbass – das alles kostet die schwache russische Wirtschaft jede Menge. Die Logik von Hitler und Putin ist durchaus vergleichbar, sowohl in den Eroberungen wie auch in der Grausamkeit der Kriegsführung. Man darf sich über die kriminelle Energie Putins keine Illusionen machen.

Dann kann es am Ende keinen „Deal“ mit Putin geben? Auch keinen Verhandlungs- oder Kompromissfrieden?

Es kann keinen Deal mit Putin geben, der dazu führt, dass die Ukraine Territorium verliert. Das Äußerste, was ich mir vorstellen könnte, wäre zunächst eine Rückkehr zum Status quo vom 23. Februar. Die Ukrainer verzichten natürlich nicht auf die Krim, auf Donezk und Luhansk. Wir können unsere Politik auch nicht danach ausrichten, dass es in Russland zu einem Militärputsch oder einem anderen Umsturz kommen könnte. Vielmehr müssen wir davon ausgehen, dass Moskau seine bisherige Politik fortsetzt. Wir haben darum die Pflicht, den Ukrainern dabei zu helfen, ihr eigenes Staatsgebiet zu befreien.

"Das Ziel muss sein, dass sie Ukraine ihr gesamtes
Territorium wieder unter vollständiger Kontrolle hat"

Kann die Ukraine denn siegen? Und worin bestünde ein solcher Sieg?

Das Ziel muss sein, dass sie Ukraine ihr gesamtes Territorium wieder unter vollständiger Kontrolle hat. Oder zumindest in einem ersten Schritt, dass die russischen Truppen sich zurückziehen auf die Positionen vor dem 24. Februar.

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Wie wird Putin reagieren, wenn er sieht, dass er den Krieg verloren hat? Aufgeben oder abdanken dürfte ja keine Option für ihn sein.

Er hat die Meinungshoheit im Land, deshalb kann er fast alles als Sieg deklarieren. Unter Umständen, wenn es die Ukrainer wollen, könnte Kiew das ausdrückliche Ziel des NATO-Beitritts aus der Verfassung streichen, ohne sich aber damit zu ewiger Neutralität zu verpflichten. In keinem der NATO-Staaten ist diese Mitgliedschaft in der Verfassung verankert. Denkbar wäre auch, dass entlang der russisch-ukrainischen Grenze internationale Friedenstruppen stationiert werden. Das wäre auch ein gesichtswahrender Akt für Putin, denn er hatte ja behauptet, die NATO würde Russland bedrohen. Mehr ist aus meiner Sicht weder vorstellbar noch angemessen.

Rechnen Sie damit, dass Putin die Lage eskalieren lässt, wenn er merkt, dass er seine Kriegsziele nicht erreichen kann?

Atomwaffen sind politische Waffen – die Drohung damit ist es auch. Ich bin davon überzeugt, dass er nicht so weit gehen wird, Atomwaffen einzusetzen. Das wäre auch innerhalb Russlands – trotz aller Propaganda und Verblendung – wohl nicht zu verkaufen.

Sehen Sie realistische Wege für einen Regimewechsel in Moskau?

Im Augenblick scheint mir das unwahrscheinlich, auch wenn es in der russischen Bevölkerung sicher ein Potenzial dafür gibt. Gefahr droht Putin allenfalls aus jenen Teilen des herrschenden Systems, die zunehmend glauben, dass er die Sache an die Wand fährt.

"Der Status eines EU-Beitrittskandidaten muss
der Ukraine jetzt auf dem kommenden
EU-Gipfel zuerkannt werden"

Die Ukraine hat in Rekordgeschwindigkeit ihren Antrag auf Beitritt zur EU abgeliefert. Wie schnell und privilegiert kann das EU-Beitrittsverfahren sein?

Der Beitritt selbst kann weder schnell noch vereinfacht oder privilegiert erfolgen. Aber der Status eines EU-Beitrittskandidaten muss der Ukraine jetzt auf dem kommenden EU-Gipfel zuerkannt werden. Damit wird eines klargestellt: Die Ukraine hat sich für den europäischen Weg entschieden – und die EU akzeptiert das. Die Ukraine darf nicht in einer Grauzone bleiben, sonst würde Putin in einer künftigen Phase das vollenden, was ihm jetzt nicht gelungen ist. Darum braucht die Ukraine den Kandidatenstatus – und dann haben wir Zeit. Auf dem Weg zur EU-Vollmitgliedschaft gibt es viele Zwischenschritte, die im gegenseitigen Interesse sind. Jetzt aber müssen wir der Ukraine, Russland und dem Rest der Welt zeigen, dass die Ukraine zu uns gehört.

Der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler
Foto: EP | Der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler ist Berichterstatter zur Ukraine im Europäischen Parlament und außenpolitischer Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion.

Sollten auch Georgien und Moldau in die EU aufgenommen werden, um vor Putin in Sicherheit gebracht zu werden?

Es wäre schön, wenn die Republik Moldau den Kandidatenstatus gleichzeitig mit der Ukraine bekommen könnte. Die gegenwärtige georgische Regierung verdient es eigentlich nicht, aber es geht nicht um die Regierung, sondern um die Bevölkerung. Der EU-Kandidatenstatus besagt zunächst: Wir bekennen uns als EU dazu, dass ihr zu uns gehört.

Beiden Ländern sitzt Putin im Nacken: Georgien mit Südossetien und Abchasien, Moldau mit Transnistrien.

Diese Entitäten werden von niemandem anerkannt werden. Sie haben langfristig auch keinen Bestand. Das mag der Fuß Putins in der Türe zu diesen Ländern sein, aber er muss sehr aufpassen, nicht zu stolpern.

Ahnen Sie, warum sich China in diesem Krieg so auffällig still verhält?

Ja, sie sind auffällig still. Aber das sind Diktatorenfreunde, die hoffen, dass Putin nicht zu Fall kommt. Einerseits kann sich China zurücklehnen, weil sich aus chinesischer Sicht konkurrierende Europäer gegenseitig fertigmachen. Am Ende ist Russland jedenfalls schwächer und damit abhängiger von Peking. Andererseits ist China besorgt, weil der Welthandel durch den Krieg beeinträchtigt wird. China hat selbst in Folge dieses Kriegs ein geringeres Wachstum und in Teilbereichen Einbrüche. Gleichzeitig beobachtet Peking ganz genau, wie der Westen in diesem Fall agiert, denn Xi Jinping hat Taiwan fest im Blick.

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