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Das Gespenst der Wagenknecht-Partei

Die Möglichkeit, dass Sahra Wagenknecht eine eigene Partei gründet, beflügelt allerorten die politische Phantasie.
Sarah Wagenknecht könnte eine eigene Partei gründen.
Foto: IMAGO/Matthias Reichelt (www.imago-images.de) | Sarah Wagenknecht könnte eine eigene Partei gründen. Dieser Gedanke geht wie ein Gespenst durch Berlin.

Ein Gespenst geht um in Berlin, es ist das Gespenst der Wagenknecht-Partei. Morgen findet die große Demonstration in der Hauptstadt statt, zu der Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer im Anschluss an ihre Resolution aufgerufen haben. Die Möglichkeit, dass sich auf dieser Basis eine neue politische Bewegung formieren könnte, beflügelt allerorten die Phantasie. Freilich ist bisher überhaupt nicht klar, ob Wagenknecht überhaupt ernsthaft so eine Option in Erwägung zieht. Trotzdem: Die Frage ist zu einer Projektionsfläche geworden, an ihr offenbaren sich die Ängste und Sehnsüchte, die durch das politische Berlin geistern.

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Links erodiert

Das linke Lager erodiert: Wagenknecht sprengt schon länger den Rahmen der Linkspartei. Vom Charisma her kann ihr unter den Parteifreunden, nachdem Gregor Gysi mehr oder weniger im Ruhestand ist, nur Bodo Ramelow das Wasser reichen. Dass der Thüringer Ministerpräsident gerade jetzt sich deutlich von dem Manifest distanziert hat und ihm vorwirft, das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine zu ignorieren, unterstreicht: die Partei steht vor einem Machtkampf – besser gesagt, sie ist schon mitten drin. Und zwar nicht erst seit Ausbruch des Krieges: Wagenknecht sorgte mit ihrer Kritik an der Identitätspolitik schon vorher für Unmut. Und auch mit ihrem Vorwurf, die Linke habe sich von der Lebenswirklichkeit der Arbeiter entfernt, machte sie sich keine Freunde. Gleichzeitig sammelte Wagenknecht so immer mehr Anhänger jenseits des eigenen Spektrums ein. Mittlerweile könnte Wagenknecht ohne Probleme auf die Linkspartei verzichten, die Partei aber nur unter Schmerzen auf ihr prominentestes Gesicht.

 

Sasses Woche in Berlin
Foto: privat / dpa | Woche für Woche berichtet unser Berlinkorrespondent in seiner Kolumne über aktuelles aus der Bundeshauptstadt.

Eine Wagenknecht-Bewegung wäre – nomen est omen – weniger eine Programm-, sondern vor allem eine Personenpartei. Die Frau ist das Programm. Allein deswegen ist es möglich, über Querfront-Konzepte zu spekulieren. Die Idee: Wagenknecht zieht auch Kräfte, die sich bisher der AfD verbunden fühlen, mit in die neue Partei hinein. Nationalismus und Sozialismus kombinieren sich.  Das verbindende Element ist das Anti-Westliche: Der Hass auf den vermeintlich vollkommen degenerierten Westen verbindet sich mit der Ablehnung des Kapitalismus und des marktwirtschaftlichen Systems. 

Grün verändert sich 

Aber auf der anderen Seite des linken Spektrums zeichnen sich ebenfalls Veränderungen ab: Die Grünen machen eine neokonservative Wende durch. Neokonservative, so lautet ein berühmtes Bonmot, sind Linke, die zur Vernunft gekommen sind. Annalena Baerbock und Toni Hofreiter – wer hätte das vor zwei Jahrzehnten zu Zeiten des Irak-Konfliktes gedacht – sind so etwas wie neokonservative Falken geworden. Und bisher scheint die Partei mitzuziehen. Vor diesem Hintergrund bekommt auch die Koalitionsoption Schwarz-Grün, zumindest in außenpolitischer Hinsicht, eine neue Bedeutung.

Bleibt die SPD: Bundeskanzler Olaf Scholz hat erst gestern wieder deutlich die Thesen des Wagenknecht-Manifests zurückgewiesen. Doch wer sieht, wer alles unterschrieben hat, von Ex-EU-Kommissar Günter Verheugen bis Margot Käßmann, der weiß, dass es in dem Milieu gärt, das früher für die SPD empfänglich war. Es ist eigentlich erstaunlich, dass sich innerhalb der SPD noch keine „Werteunion“ von links gebildet hat. Sie könnte ein Sammelbecken für die Pazifisten und Nostalgiker der Ostpolitik werden. Vielleicht würde ja Gerhard Schröder die Ehrenpräsidentschaft übernehmen? So eine Plattform könnte zu einem Bindeglied werden, wenn sich denn tatsächlich eine Wagenknecht-Partei bilden sollte. Denn die würde mit Sicherheit schnell zweistellig und damit auch potentieller Koalitionspartner für die Sozialdemokraten. 

Gewiss, bis jetzt sind das alles nur Spekulationen. Aber allein die Tatsache, dass solche Weichenstellungen möglich scheinen, zeigt, in welcher Weise sich in Deutschland wirklich eine Zeitenwende vollzogen hat.

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