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Norbert Geis: Das „C“ ist nicht obsolet

CSU-Urgestein Norbert Geis erläutert im Gespräch mit der „Tagespost“, wie christlich fundierte Politik zukünftig aussehen kann.
Norbert Geis Begegnung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel
Foto: Ralf Hettler (dpa) | Eine Begegnung aus dem Jahr 2013: Norbert Geis (links im Bild) applaudiert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich während eines Besuchs in Aschaffenburg mit dem Landtagsabgeordneten Peter Winter (CSU, 2.v.r.) ...

Herr Geis, Sie waren bis 2013 Mitglied des deutschen Bundestages: Was hat sich seitdem in der Politik verändert?

Ich war von 1981 bis 2013 als Parlamentarier tätig. Zunächst fünf Jahre im Bayerischen Landtag und danach dann 26 Jahre im Deutschen Bundestag. Da hat man viele Veränderungen miterlebt. In den letzten Jahren fällt mir vor allem auf, wie der Einfluss katholischer Abgeordneter erheblich zurückgegangen ist.

"Christliche und katholische Werte verlieren
an Bedeutung und andere Vorstellungen
und Lebensentwürfe nehmen mehr Raum ein"

Geht das damit einher, dass das Verhältnis der Politik zum katholischen Milieu als gesellschaftlicher Kraft ein anderes geworden ist?

Das ist eine Tendenz, die man seit längerer Zeit beobachten kann. Christliche und katholische Werte verlieren an Bedeutung und andere Vorstellungen und Lebensentwürfe nehmen mehr Raum ein. Die katholische Grundüberzeugung hat nicht mehr den Stellenwert, wie sie ihn in der frühen Bundesrepublik und in vielen Jahren unter Unions-Regierungsverantwortung hatte.

Sie haben die politische Bühne verlassen, nach Ihnen Karl Schiewerling, Thomas Dörflinger und Wolfgang Bosbach. Gibt es noch ein katholisches Profil in der Union?

Das wird sich in der neuen Legislaturperiode herausstellen. Es gibt ja immer noch Katholiken dort, die sich in der Unionsfraktion mit ihren Wertvorstellungen einbringen werden und Politik mitgestalten wollen. Insoweit wird es ein katholisches Profil geben. Wie prägend das sein wird, kann ich Ihnen jetzt aber noch nicht sagen.

Wie muss für Sie der Kern einer C-Partei aussehen und was ist das katholische Profil dabei?

Dazu müssen wir uns zunächst einmal bewusst machen, dass die Kultur, in der wir leben, auf christliche Einflüsse zurückzuführen ist. Mit der Zeit der Aufklärung hat sich das ein wenig verändert. Der Wesenskern ist allerdings geblieben und das hat sich, gerade im Nachkriegsdeutschland, bei der Schaffung des Grundgesetzes gezeigt. In der Regierungszeit von Konrad Adenauer ist schon allein durch dessen Persönlichkeit das katholische Element ganz stark in den Vordergrund getreten.

Woran machen Sie das fest?

Zum Beispiel an unserer Sozialen Marktwirtschaft. Sie ist die konkrete politische Umsetzung der Grundsätze der Katholischen Soziallehre. Papst Leo XIII. hat mit seiner Enzyklika „Rerum Novarum“ bereits im Jahre 1891 die Grundlagen für dieses Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell beschrieben. Bei ihm wird die soziale Verantwortung ebenso betont, wie die Aufgabe, den Menschen im Mittelpunkt des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handelns zu sehen. Der gesamte Gedanke der Teilhabegerechtigkeit geht zurück auf die Vordenker der Soziallehre in den katholischen Vereinen, wie Adolph Kolping und Bischof Emanuel von Ketteler. Aus diesen katholischen Entwicklungen schöpft unser gesamtes soziales Zusammenleben auch heute noch seine Kraft.

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Brauchen wir Katholische Arbeitskreise, um das katholische Profil innerhalb der Unionsparteien zu schärfen?

Ich glaube schon, dass ein solcher Schritt helfen würde. Auch innerhalb der Fraktion könnte ein solcher Arbeitskreis seine Stimme erheben. Nehmen wir das Beispiel Familienpolitik, wo die zu erwartende Ampelkoalition offenbar sehr viel Neues plant, oder auch beim Schutz des Lebens von Anfang an. Da geht es nicht, dass nur Einzelne in der Fraktion die Stimme erheben, da muss vielmehr, um politisch durchsetzungsfähig zu sein, eine Kraft dahinterstehen. Und das kann ein Arbeitskreis bewirken.

Ist in der CSU noch mehr katholische DNA als in der Schwesterpartei?

Das glaube ich schon. In Bayern gibt es halt immer noch eine stärkere Prägung durch die Katholische Kirche. Deshalb hat das katholische Element hier eine stärkere Rolle als in anderen Bundesländern.

"Die Union muss das Thema Familie wieder ins Zentrum
ihres politischen Handelns stellen. Hier dürfen wir
das Heft nicht länger aus der Hand geben"

Was muss geschehen, um das katholische Profil der Unionsparteien wieder zu schärfen?

Die Union muss das Thema Familie wieder ins Zentrum ihres politischen Handelns stellen. Hier dürfen wir das Heft nicht länger aus der Hand geben. Dazu braucht es vor allem klare Positionen, die zeigen, worum es ihr in diesem Politikfeld geht. Insbesondere auch darum, dass das christliche Familienbild in unserer Gesellschaft nicht verloren geht: Die Familie, die aus Vater, Mutter und Kindern besteht. Und auch die Bedeutung der Mutter für diese Familie durch die besondere Nähe zu ihren Kindern muss viel stärker betont werden. Deshalb muss die Erziehungsleistung der Mütter auch finanziell angemessen honoriert werden. Das gilt auch für die Rentenleistungen an Mütter.

Welche anderen Politikfelder sollten das Profil der Union besonders prägen?

Da ist zum einen sicherlich die Innen- und Sicherheitspolitik. Hier erwarten die Menschen Stabilität und die Bewahrung unserer liberalen Gesellschaftsordnung. Dazu gehört eine konsequente Verbrechensbekämpfung. Das bleibt ein zentrales Feld der Unionspolitik, wo wir uns auch deutlich profilieren können.
Gleiches gilt für die Flüchtlingspolitik. Hier muss das richtige Maß gefunden werden. Wir können in Deutschland nicht alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen. Wir brauchen eine Asylpolitik, die nicht ungehemmt alle Türen öffnet. Auch hier bedarf es einer klaren Festlegung der Unionsposition. Wir müssen dann allerdings Wege schaffen, dass die Menschen, die hierhin fliehen wollen, in ihren Heimatländern die Möglichkeit einer positiven Entwicklung bekommen. Da sind wir dann bei der zentralen Bedeutung der Entwicklungspolitik und dem Umgang vor allem mit den Ländern, die aus eigener Kraft keine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung schaffen. Da sind insbesondere die Industrieländer mit ihren finanziellen Möglichkeiten gefordert, Hilfe zu leisten.

Gibt es in den Unionsparteien noch genügend Personal, um das katholische Profil zu schärfen?

Wir brauchen auf jeden Fall in der Politik wieder mehr Katholiken, die in ihrem Glauben gut verankert und bereit sind, die öffentliche Sache zu ihrer Aufgabe zu machen. Sie müssen das politische Engagement aus christlicher Verantwortung zu ihrer Aufgabe machen, dann werden sie auch gewählt. Viele Menschen werden dann sagen, einem Politiker mit diesem Wertehintergrund vertraue ich eher das Land an als jemandem sonst. Auch bei den Unionsparteien sollte das Wort des ehemaligen Fuldaer Bischofs Dyba gelten: „Eintreten statt austreten.“ Katholiken werden sich inhaltlich schwertun in der SPD, bei den Grünen und bei der FDP. Deshalb sollten sie die Unionsparteien wieder als Möglichkeit für sich entdecken, Politik zu gestalten.

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