Deutschland hat gewählt, die Entscheidung darüber aber, wer der nächste Bundeskanzler wird, die fällt in Koalitionsverhandlungen. Und die werden langwierig, wahrscheinlich zäh. Siehe 2017. Diesmal allerdings kann eine Große Koalition keine Alternative zu einem Dreier-Bündnis sein. Sie hätte natürlich eine rechnerische Mehrheit und auch die notorisch auf Konsens und Harmonie gepolten Deutschen könnten damit leben.
Ein Desaster
Aber für die politische Kultur wäre sie ein Desaster. Noch weniger Debatte, noch mehr Regierungsverwaltung statt tatsächlichem Regieren. Ein Dreier-Bündnis, ganz gleich ob Jamaika oder Ampel, ist die politischere Lösung. Die Schlüsselrolle spielen dabei Grüne und FDP. Sie entscheiden, ob sie unter schwarzer oder roter Führung regieren wollen. Vorher müssen die Zwei aber erst einmal klären, ob sie überhaupt zusammen gehen wollen.
Keine Option mehr
Das wird nicht so leicht sein. „Lieber nicht regieren als schlecht regieren.“ – dieser Satz von Christian Lindner von vier Jahren ist aber letztlich sowohl für die Liberalen wie für die Grünen keine Option mehr. Zu sehr stehen sie in der staatspolitischen Verantwortung. Dem Land gegenüber können sie nicht rechtfertigen, Deutschland einer Status quo-GroKo für eine weitere Periode auszusetzen. Und ihrer Anhängerschaft gegenüber könnten sie nicht begründen, die Machtoption, die zum Greifen nahe ist, einfach sausen zu lassen.
Klar ist aber auch: So ein Dreier-Bündnis kann nur funktionieren, wenn die jeweilige Kanzlerpartei, die dann diese Koalition führen wird, tatsächlich führt. Der künftige Kanzler kann kein Moderator sein, es muss ein Entscheider werden. Das wird für Armin Laschet schwieriger als für Olaf Scholz. Etwas nebulös spricht Laschet im Moment von einer „Zukunftskoalition“. Damit ist Jamaika gemeint. Aber welche programmatische Linie Laschet so einem Bündnis geben will, das bleibt bei dieser Formel offen. Interessanter war ein Satz Laschets bei der Abschlusskundgebung der Union am Freitag. Da sagte der NRW-Ministerpräsident nämlich: Die Soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftsform realisiere das, was das christliche Menschenbild fordere. Das hieße: Mehr Soziale Marktwirtschaft bedeutet auch mehr Politik im Sinne des christlichen Menschenbildes.
Zu spät und zu formelhaft
Gewiss, dieser Satz fiel zu spät, war zu formelhaft, um gerade auch christliche Wähler in irgendeiner Weise zu elektrisieren. Aber immerhin: Würde Laschet diesen Gedanken nun weiter und vor allem mit deutlichen Worten weiter ausbuchstabieren, gäbe es immerhin so etwas wie eine schwarze Grundlinie für Jamaika-Verhandlungen. Freilich müsste Laschet hier auch zeigen, dass es bei der Sozialen Marktwirtschaft nicht nur um Wirtschaft geht, dahinter steht auch eine gesamt-gesellschaftliche Vision. Grüne und FDP stehen aber diesem Konzept, dass auch seine Wurzeln in der katholischen Soziallehre hat, mit ihren Positionen zur Familienpolitik und zu bioethischen Fragen vom Lebensschutz bis zur Leihmutterschaft diametral entgegen.
Nur abwarten
Wenn Laschet es mit dem christlichen Menschenbild wirklich ernst meint, kann er hier keine Kompromisse schließen. Er könnte aber im Gegenzug Grünen und FDP bei ihren eigentlichen Leib- und Magen-Themen Beinfreiheit geben: So könnten die Grünen sich auf den Klimaschutz konzentrieren und die Liberalen auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und Laschet sorgt als Kanzler dafür, dass es keine gesellschaftspolitischen Experimente gibt. Aber hat Laschet dafür die Kraft? Wird er tatsächlich die Verhandlungen der Union führen? Wenn morgen der Union Diadochenkämpfe beginnen, dann war es das. Und Olaf Scholz muss erst einmal nur abwarten.
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