Im folgenden dokumentieren wir die Katechese bei der heutigen Generalaudienz von Papst Leo XIV.:
„Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen und herzlich Willkommen! Der Glaube an den Tod und die Auferstehung Christi und das Erleben der österlichen Spiritualität geben Hoffnung für das Leben und ermutigen dazu, in das Gute zu investieren. Insbesondere helfen sie uns, die Geschwisterlichkeit zu lieben und zu nähren, die zweifellos eine der großen Herausforderungen für die heutige Menschheit ist, wie Papst Franziskus deutlich erkannt hat.
Brüderlichkeit entspringt einer zutiefst menschlichen Eigenschaft. Wir sind zu Beziehungen fähig, und wenn wir es wollen, können wir echte Bindungen untereinander aufbauen. Ohne Beziehungen, die uns seit Beginn unseres Lebens unterstützen und bereichern, könnten wir nicht überleben, wachsen und lernen. Es gibt viele verschiedene Beziehungen, die sich in ihrer Art und Tiefe unterscheiden. Aber sicher ist, dass unsere Menschlichkeit sich am besten entfaltet, wenn wir zusammen sind und miteinander leben, wenn es uns gelingt, echte, nicht nur formale Bindungen zu den Menschen um uns herum zu erleben. Wenn wir uns in uns selbst zurückziehen, laufen wir Gefahr, an Einsamkeit zu erkranken und sogar an einem Narzissmus, der sich nur aus Eigennutz um andere kümmert. Der andere wird dann zu jemandem reduziert, von dem wir nehmen, ohne jemals wirklich bereit zu sein, zu geben, uns selbst zu verschenken.
Brüderlichkeit ist keine Selbstverständlichkeit
Wir wissen sehr wohl, dass Brüderlichkeit auch heute noch nicht selbstverständlich ist, dass sie nicht unmittelbar gegeben ist. Viele Konflikte, zahlreiche Kriege auf der ganzen Welt, soziale Spannungen und Hassgefühle scheinen vielmehr das Gegenteil zu beweisen. Dennoch ist Brüderlichkeit kein schöner, unerreichbarer Traum, kein Wunsch einiger weniger Illusionisten. Um jedoch die Schatten zu überwinden, die sie bedrohen, muss man zu den Quellen gehen und besonders aus Demjenigen Licht und Kraft schöpfen, der uns allein vom Gift der Feindschaft befreit.
Das Wort „Bruder“ stammt von einer sehr alten Wurzel ab, die „sich kümmern“, „am Herzen liegen“, „unterstützen“ und „versorgen“ bedeutet. Auf jeden Menschen angewendet, wird es zu einem Appell, einer Einladung. Oft denken wir, dass die Rolle des Bruders oder der Schwester auf Verwandtschaft, Blutsverwandtschaft und die Zugehörigkeit zur selben Familie verweist. In Wahrheit wissen wir aber nur zu gut, wie sehr Uneinigkeit, Zerwürfnisse und manchmal sogar Hass auch die Beziehungen zwischen Verwandten zerstören können, nicht nur zwischen Fremden.
Wir sind Kinder eines Vaters
Dies zeigt, dass es heute dringender denn je notwendig ist, über den Gruß nachzudenken, mit dem sich der heilige Franz von Assisi an alle wandte, unabhängig von ihrer geografischen und kulturellen Herkunft, ihrer Religion und ihrer Glaubenssätze: omnes fratres war die inklusive Art und Weise, mit der Franz alle Menschen auf die gleiche Ebene stellte, gerade weil er sie in ihrem gemeinsamen Schicksal der Würde, des Dialogs, der Aufnahme und der Erlösung erkannte. Papst Franziskus hat diesen Ansatz des „Poverello“, des kleinen Armen von Assisi wieder aufgegriffen und dessen Aktualität in seiner Enzyklika Fratelli tutti 800 Jahre später betont.
Dieses „alle“, das für den heiligen Franziskus das einladende Zeichen einer universellen Brüderlichkeit bedeutete, drückt einen wesentlichen Zug des Christentums aus, das von Anfang an die Verkündigung der Frohen Botschaft war, die zur Erlösung aller bestimmt war, niemals in exklusiver oder privater Form. Diese Brüderlichkeit gründet auf dem Gebot Jesu, das insofern neu ist, als es von ihm selbst verwirklicht wurde, als unerschöpfliche Erfüllung des Willens des Vaters: Dank ihm, der uns geliebt und sich für uns hingegeben hat, können wir unsererseits einander lieben und unser Leben für andere hingeben, als Kinder des einen Vaters und wahre Brüder in Jesus Christus.
Jünger werden zu Brüdern
Jesus hat uns bis zur Vollendung geliebt, sagt das Johannesevangelium (vgl. 13,1). Als das Leiden naht, weiß der Meister sehr wohl, dass seine historische Zeit zu Ende geht. Er fürchtet sich vor dem, was geschehen wird, erlebt die schrecklichste Qual und Verlassenheit. Seine Auferstehung am dritten Tag ist der Beginn einer neuen Geschichte. Und die Jünger werden nach langer Zeit des Zusammenlebens zu Brüdern, nicht nur, als sie den Schmerz über den Tod Jesu erleben, sondern besonders dann, als sie ihn als den Auferstandenen erkennen, die Gabe des Heiligen Geistes empfangen und zu Zeugen davon werden.
Brüder und Schwestern unterstützen sich gegenseitig in schwierigen Zeiten und wenden sich nicht von denen ab, die in Not sind: Sie weinen und freuen sich gemeinsam in der Aussicht auf Einheit, Vertrauen und gegenseitige Zuversicht. Es ist diese Dynamik, die Jesus selbst uns vermittelt: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe“ (vgl. Joh 15,12). Die Brüderlichkeit, die uns der gestorbene und auferstandene Christus geschenkt hat, befreit uns von der negativen Logik der Egoismen, der Spaltungen und der Überheblichkeiten und führt uns zurück zu unserer ursprünglichen Berufung im Namen einer Liebe und einer Hoffnung, die sich jeden Tag erneuern. Der Auferstandene hat uns den Weg gezeigt, den wir gemeinsam mit ihm gehen müssen, um uns als Geschwister zu fühlen und um Geschwister zu sein."
Worte an Polen und Kroaten
Nach der Mittwochskatechese gedachte Papst Leo bei seinen Grüßen an die polnischsprachigen Pilger eines besonderen historischen Datums: „Gestern haben wir des Endes des ,sinnlosen Gemetzels‘ des Ersten Weltkriegs gedacht, nach dem für viele Völker, darunter auch für Ihr Volk, der Beginn der Unabhängigkeit kam. Wir sind Gott dankbar für das Geschenk des Friedens, im Vergleich zu dem – wie der heilige Augustinus sagte – ,nichts besser ist‘. Bewahren wir ihn mit einem Herzen, das im Evangelium verwurzelt ist, im Geist der Brüderlichkeit und der Liebe zum Vaterland.“ Und den kroatischen Pilgern aus der Diözese Gospić-Senj rief er zu: „Anlässlich des 25. Jahrestages der Gründung eurer Diözese seid ihr als Pilger der Hoffnung zum Grab des Apostels Petrus gekommen, um euren Glauben zu bekräftigen und als junge Diözesangemeinde die christliche Liebe zu erneuern. Während ihr dem Herrn für alle empfangenen Gaben dankt, vergesst nicht, dass das größte Geschenk, das wir anbieten können, der gelebte Glaube ist, der sich in der Aufmerksamkeit gegenüber dem Nächsten konkretisiert.“ (DT/gho)
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