Tilman Kuban reicht Friedrich Merz eine Flasche Bier. Schon seit einigen Minuten brandet immer wieder Applaus auf. Und jetzt wird auch noch gesungen: "Oh wie ist das schön." Merz und der JU-Vorsitzende prosten den Delegierten zu. Die Zwei verstehen sich offenbar gut. Ganz kurzfristig hatte Kuban Merz mit einem Grußwort auf die Tagesordnung gesetzt. Und die 30 Minuten haben es in sich: ein ordnungspolitisches Bekenntnis, eine europapolitische Vision und Grundsätzliches zur Zukunft der Demokratie. Merz warnte vor einem neuen Antisemitismus, der von rechtsextremistischen, linksextremistischen und islamistischen Kräften gleichzeitig angefeuert werde. Vor Beginn der Beratungen hatten die Delegierten gemeinsam ein Gedenkmarsch zur Saarbrücker Synagoge durchgeführt, wo sie für die Opfer des Anschlages in Halle einen Kranz niederlegten.
Merz skizziert, wie EU weltpolitische Relevanz behalten kann
Merz' Prognose für Europa: Entweder werde die EU mit den USA und China auf Augenhöhe stehen oder ihre weltpolitische Relevanz verlieren. Dass sei aber nur zu schaffen, wenn auch die wirtschaftliche Entwicklung entsprechend positiv sei. Sein ordnungspolitischer Akzent: Eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung sei ein Tabubruch, die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft würden ausgehebelt.
Der Jubel war gross. Ein Delegierter, der das Verfahren kritisierte wie Merz eingeladen worden war, bekam Buhrufe. Er stammte auch noch aus dem Landesverband Schleswig-Holstein, dessen Ministerpräsident Daniel Günther wegen seines Geredes über mögliche Koalitionen mit den Linken hier für viele sowieso ein rotes Tuch ist.
Der lang ersehnte Prinz, der die Partei wachküsst
Die Tendenz ist klar: Merz ist für die Mehrheit hier der so lang ersehnte Prinz, der die Partei aus ihrem Dornröschenschlaf befreit. Dass er hier ein Heimspiel haben dürfte, hatte Merz ahnen können. Dass er aber derartig frenetisch gefeiert wird, war noch einmal etwas Besonderes. Und es stellt sich ihm auch eine Aufgabe: Es reicht letztlich nicht aus, als ewiger Hoffnungsträger durch die Lande zu reisen. Irgendwann muss sich Merz erklären, was er wirklich will. Vielleicht ist dieser Entschluss während dieser Rede gefallen. Vielleicht markiert diese Rede im Rückblick eine Zäsur in der Parteigeschichte. Für seine Verhältnisse wirkte der Sauerländer Merz tatsächlich angerührt. Die Tatsache, dass seine Frau mit dabei war, sie wurde ebenfalls bejubelt, mag mit dazu beigetragen haben.
60 Prozent für eine Urwahl des Kanzlerkandidaten
Die Delegierten haben ihm jedenfalls auch noch eine zweite Vorlage geliefert. Mit rund 60 Prozent stimmten sie für eine Urwahl des künftigen Kanzlerkandidaten. Wie die sich dann praktisch umsetzen lässt und ob überhaupt CDU und CSU dann dieses Modell anwenden werden, ist noch nicht klar. Aber das Signal ist mehr als deutlich: AKK soll nicht automatisch zum Zuge kommen.
Merz griff sie in seiner Rede nie direkt an, sondern warb vielmehr um Verständnis dafür, dass Fehler zu machen ganz natürlich sei. Auch er hätte als Vorsitzender auch Fehler gemacht. Angela Merkel wurde in den Reden überhaupt nicht mehr erwähnt.
Die Hintergründe lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost.