Eigentlich gehört es nicht zu den typischen Beschäftigungen einer Alt-Kanzlerin, sich neue Formate des politischen Happenings auszudenken. Ein Klassiker auf diesem Gebiet ist das sogenannte Sit-in. Bekannt aus den wilden 70ern und auch heute noch im studentischen Milieu sehr beliebt. Angela Merkel hat nun ein eigenes Modell kreiert: das „Tritt-in“. Schon seit einiger Zeit gibt sie öffentlich immer wieder zu erkennen, dass sie mit ihrer Partei nicht mehr viel zu tun haben will.
Als Friedrich Merz nach seiner Wahl zum Vorsitzenden alle seine Vorgänger zu einem Essen einladen wollte, sagte sie ab. Zum letzten Bundesparteitag kam sie nicht, auch im Mai bleibt sie weg. Dann trat sie nicht mehr für den Vorstand der parteinahen Adenauer-Stiftung an. Und als ihr vom Bundespräsidenten das Großkreuz des Bundesverdienstordens verliehen wurde, war niemand aus der Parteispitze bei der Zeremonie. Höflich kann man sagen: Merkel geht deutlich auf Distanz zu ihrer Partei.
Tritt in den Hintern
Die Alt-Kanzlerin tritt der CDU regelmäßig mit solchen Aktionen in den Weg - und das wirkt wie ein Tritt vors Schienbein. Und zwar in aller Öffentlichkeit und für alle erkennbar. Diese „Tritt-ins“ sind ganz gewiss keine protokollarischen Ausrutscher, sondern bewusst von Merkel gesetzte Zeichen. Und das nächste Tritt-in ist schon in Planung, wortwörtlich. Im Mail will Angela Merkel eine Laudatio auf den Mann halten, der über Jahre so etwas wie der Anführer des linken Flügels der Grünen war, Jürgen Trittin eben.
Gut, Trittin war unmittelbarer Nachfolger Merkels als Bundesumweltminister. Das mag für eine gewisse Verbundenheit zwischen den beiden sorgen. Und die Alt-Kanzlerin kann sowieso reden und sprechen, wo sie will. Aber natürlich ist Merkel bewusst, dass Symbolik das einzige Mittel ist, das ihr als ehemaliger Regierungschefin zur Verfügung steht. Die Schlagzeilen, die dieser Termin jetzt schon macht, sind einkalkuliert. Sprich: Merkel will, dass über ihr Verhältnis zur CDU spekuliert wird.
Verbrannte Erde
In der Regel – die Öffentlichkeit schätzt nun mal Geschlossenheit – würden solche Gerüchte der CDU schaden. Man kann getrost davon ausgehen: Auch das hat Merkel einkalkuliert, ja, wahrscheinlich ist das sogar ein zentrales Motiv für ihr Verhalten. So eine Taktik ist nicht so ungewöhnlich für Alt-Kanzler. Als Helmut Kohl sich von der CDU-Spitze im Zuge der Spendenaffäre im Stich gelassen fühlte, ließ er auch eine Neigung zur Politik der „verbrannten Erde“ erkennen. Nur: Helmut Kohl gehörte tatsächlich zur DNA der Union, ihm merkte man an, wie er unter dem Liebesentzug seiner Partei litt, die ja für ihn wie eine Familie war. Bei Merkel hingegen ist die taktische Absicht offensichtlich. Hier hadert nicht die Alt-Kanzlerin mit ihrer politischen Heimat, sondern sie zieht Scheidelinien. Merkel braucht die CDU nicht mehr. Deswegen der Tritt.
Aber die CDU braucht auch Merkel nicht. Ja, im Gegenteil: Eine zu starke Nähe würde ihr bei allen Aufgaben nur schaden, die sie jetzt als Mitte-Rechts-Partei zu lösen hat. Und genau hier zeigt sich das eigentlich Ziel Merkels, die ja bekanntlich immer vom Ende her denken soll. Sie spekuliert darauf, dass ihr Liebesentzug den Schwarzen Schmerzen bereiten könnte, vor allem bei kommenden Wahlen.
Denn nichts tut Parteien so sehr weh wie fehlende Prozentpunkte. Und in der Tat, das wird von Merkel-Kritikern gerne geleugnet, die Kanzlerin war zu gewissen Zeiten eine Wahlkampflokomotive für die Union, sie erschloss ihr auch neue Wählerschichten. 2013 führte sie sie fast zur absoluten Mehrheit. Aber diese Zeiten sind vorbei. Die politische Lage hat sich vollkommen geändert. Heute braucht die Republik keine mittige Riesen-Union der Mutti, in der irgendwie alle unterkommen können. Die Debatten der Zukunft erfordern eine demokratische Partei rechts der Mitte. Und das kann nach Lage der Dinge nur die Union sein. Und das kann man übrigens auch dann erkennen, wenn man in der Ära Merkel nicht nur eine Periode des Unheils sieht, sondern der Alt-Kanzlerin auch Erfolge zugesteht.
Kühler Blick wäre nötig
Jetzt würde in der Union ein kalter, nüchterner Blick gebraucht. So einer wie der von Wolfgang Schäuble, der zu Lebzeiten geradezu als Verkörperung der Nüchternheit und der Skepsis galt. Nur ausgerechnet der könnte jetzt posthum zum Fürsprecher der Merkel-Nostalgiker werden. In seinen Memoiren, die im Moment von jedem in der Hauptstadt eifrig studiert werden und die Schäuble erst kurz vor seinem Tod vollendet hat, kommt niemand so gut weg wie Angela Merkel.
Zwar lässt Schäuble auch durchaus Kritik durchklingen, aber es folgen eben auch immer wahre Lobeshymnen auf den Humor, die Intelligenz, die Verlässlichkeit, vor allem aber die Menschlichkeit der Kanzlerin. Schäuble hat das Buch wie ein politisches Testament formuliert – was wollte er seinen Parteifreunden damit sagen? Demnächst kommen andere Erinnerungen auf den Markt, die hier weiteren Aufschluss geben werden. Angela Merkel hat selbst zur Feder gegriffen. Es kann auch verbale Tritt-ins geben. Die Leser dürfen gespannt sein.
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