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Synagogen-Gemeinde Köln: Sorge um wachsenden Antisemitismus

Solidarität mit Israel und mit den Opfern des Terrors der Hamas gehörten zu den Leitmotiven des traditionellen Jahresempfangs.
Jahresempfang
Foto: Hoensbroech | Festredner beim traditionellen Jahresempfang der Synagogen-Gemeinde Köln war Polizeipräsident Johannes Hermanns.

Fröhlich und unbeschwert spielen die Kinder am Rheinufer. Im Hintergrund ist der Kölner Dom zu sehen. Die Sonne taucht die Szenerie in mildes Licht. Eine Idylle, die trügt. „Sag’ niemandem, das Du jüdisch bist“, berichtet eines der Kinder von der Ermahnung seiner Mutter. Am Ende stehen die Kinder mit lachenden Gesichtern zusammen, und ein Mädchen sagt: „Ich möchte den Menschen mit offenen Herzen begegnen und vor allem ohne Hass.“

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Das kurze Video, das den über 450 Gästen zu Beginn des traditionellen Jahresempfangs der Synagogen-Gemeinde Köln (SGK) gezeigt wurde, machte deutlich, welche Frage die jüdischen Menschen nicht nur in Köln derzeit beherrscht. SGK-Vorstand Bettina Levy fragte im Gebetsraum des Gotteshauses an der Roonstraße: „Können wir unser Jüdisch-Sein uneingeschränkt leben, auch außerhalb dieser Mauern?“

Bring them home

Levy und ihr Vorstandskollege Felix Schotland warfen einen Blick zurück auf den letzten Jahresempfang. Damals ging es angesichts des immer aggressiver und unverhohlener zu Tage tretenden Antisemitismus um die Frage, ob Juden in Deutschland ihre Koffer ein- oder auspacken sollten. „Diese Frage ist  seit dem 7. Oktober irrelevant geworden“, betonte Bettina Levy, und Felix Schotland ergänzte: „Wir sind Juden, wir sind Israel, und deshalb sind wir alle Teil des Gemetzels der Hamas geworden.“ Deren Ziel sei die Auslöschung aller Juden weltweit. Der Synagogen-Vorstand, zu dem mit Abraham Lehrer auch der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland zählt, bat seine Gäste, den Geiseln „einen lebendigen Platz im Herzen“ zu geben.

Dazu wurden Halsketten verteilt, an denen sich ein kleines Metallplättchen befindet, auf dem in Hebräisch und Englisch steht: „Bring them Home - now.“ An den Wänden im Gemeindesaal waren Plakate mit kurzen biografischen Notizen zu den noch in der Gewalt der Terroristen befindlichen Menschen angebracht worden. Neben dem Eingang zum jüdischen Gotteshaus haben zahlreiche Menschen Blumen abgelegt, um ihre Solidarität zu zeigen. 

„Können wir überhaupt noch irgendwo sicher jüdisch leben?“, fragte Levy nochmals und verband dies mit einem Dank an die Gäste: „Danke, dass sie gekommen sind, danke für ihre Anteilnahme.“ Sie erinnerte daran, dass die Zahl antisemitischer Vorfälle seit dem Terrorkrieg der Hamas gegen Israel um 320 Prozent zugenommen habe. Auf Köln bezogen bedeutet das: Seit dem 7. Oktober gab es keinen Tag ohne antisemitischen Vorfall. Es könne nicht sein, dass in Medien und Politik es dazu komme, Israel in die Rolle des Aggressors zu drängen. Felix Schotland verband dies mit der Bitte an das Auditorium, dass „sie alle weiter ihre Stimme erheben gegen Antisemitismus und dies durch ihre Einstellung und ihr Handeln zeigen“. Die Wiedereröffnung der Synagoge im Jahr 1959 sei ein Versprechen, lebendiges Judentum in der Mitte der Stadt zu bewahren. „Aber nur wenn die Mitte der Gesellschaft selbstbewusst und eine eigene Kraft ist, kann sie auch etwas bewegen.“  

Antisemitismus ist eine Schande

Zahlreiche Vertreter der Stadtgesellschaft und darüber hinaus waren gekommen: Landtagsabgeordnete, Vertreter von Religionsgemeinschaften, Mitglieder des Stadtrats, der Stadtverwaltung sowie der Bezirke, Vertreter der Justizbehörden, Repräsentanten anderer jüdischer Gemeinden und Institutionen. Vom Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland war Grigory Rabinovich nach Köln gekommen. Auch die ehemaligen Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) und Jürgen Roters (SPD), Kanzler-Enkel Konrad Adenauer, FC-Präsident Werner Wolf, Sänger Stefan Brings und Stadtdechant Robert Kleine befanden sich unter den Gästen. Der Kölner Bürgermeister Andreas Wolter nannte „Antisemitismus eine Schande, und das Leid der Geiseln unerträglich“. Jüdisches Leben müsse in Köln angstfrei möglich sein. Er versicherte der SGK: „Wir bleiben ihnen gewogen.“

Diese Versicherung attestierte auch der Festredner der Veranstaltung. „Jüdische Geschichte und Menschen haben einen festen Platz in unserer Stadt“, betonte Johannes Hermanns, Polizeipräsident von Köln und Leverkusen, und sicherte zu, dass die Polizei alles tun werde, um dies auch weiter zu gewährleisten. In sehr persönlichen Worten schilderte der 60-Jährige, dass ihn ein bedrückendes Gefühl beschlichen habe, als er an der Synagoge angekommen war. Bevor das Haus betreten werden könne, müssten Besucher zunächst an einem Streifenwagen mit freundlichen, aber schwer bewaffneten Polizisten vorbei und dann eine Sicherheitsschleuse passieren. „Wir sind weit von dem entfernt, was wir einander unter einem sicheren Ort verstehen.“ Der Chef der mit knapp 5000 Polizisten größten Polizeibehörde in Nordrhein-Westfalen wies aber auch darauf hin, dass es aktuell zwar eine „hohe Gefährdungsrelevanz“, aber keine konkrete Terrorgefahr gebe.

Dennoch sei trotz der historischen Verantwortung Deutschlands, Juden ein Leben in Freiheit und ohne Angst zu ermöglichen, diese Angst zurück. In diesem Zusammenhang bekannte der Polizist: „Auch wir als Polizei können uns unserer eigenen Geschichte nicht verschließen; Geschichte wird nicht ungeschehen, indem wir sie verschweigen.“ Im Kölner Präsidium hingen auch die Porträts von zwei Präsidenten aus der Zeit des Nationalsozialismus. „Es schmerzt mich und meine Kollegen, dass die Institution, der wir dienen, damals so verstrickt gewesen war.“ Heute stehe die Polizei auf dem Fundament der Rechtsstaatlichkeit. „So lange der Schutz jüdischer Einrichtungen und Menschen nötig ist, werden wir das Wohlergehen der jüdischen Gemeinschaft gewährleisten und uns jeglichem Antisemitismus entschlossen entgegenstellen.“

Freude und Hoffnung

Am Ausgang eines bewegenden Abends zwischen Sorge und Angst einerseits, aber auch Freude, Hoffnung und Gemeinsamkeit andererseits, erhielt jeder Besucher ein Exemplar der „Festschrift der Synagogen-Gemeinde Köln zu 1700 Jahren“. 2021 jährte sich das Edikt des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 n. Chr., mit dem Juden gestattet wurde, Ämter in der Stadtverwaltung zu übernehmen. Das Edikt gilt als ältester Nachweis für eine jüdische Gemeinde nördlich der Alpen. Mit dem Festjahr 2021 sollten aktives jüdisches Leben gezeigt und Begegnungen ermöglicht werden. Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, würdigte in seinem Grußwort das Festjahr als eine „große Chance für die deutsche Gesellschaft und ebenso für Christen“. Der deutsche Oberhirte betont: Bildung und Begegnung sind wirksame Mittel gegen Antisemitismus. Wer Vorurteile gegen Juden und das Judentum abbauen und Verständnis wecken will, tut gut daran, Wissen über Juden und Judentum zu vermitteln und vor allem die Begegnung mit Juden zu fördern.“

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