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Die Wissenschaft vom Paranormalen und die Religion

Haben Parapsychologie und Theologie miteinander zu tun?  Über die Erforschung des Übernatürlichen
Okkulte Dame in den Wolken
Foto: Adobe Stock | Wie sind übernatürliche Phänomene zu erklären? Letztlich haben Theologie und Paraphsychologie darauf ganz unterschiedliche Antworten. Ein Dialog der Disziplinen könnte dennoch fruchtbar sein.

Dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als sich die Schulweisheit träumen lässt, ist selbst manch nichtreligiösen Menschen klar. Für Religionen ist es selbstverständlich. Auch die Bibel kennt Wahrträume, Prophezeiungen, Wunderheilungen, Nahtodvisionen, Engel-Erfahrungen und dergleichen. Aber im Mittelpunkt der christlichen Heilsbotschaft stehen Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, die in ihrem Bedeutungsgehalt mit nichts in der Welt vergleichbar sind, auch mit nichts in der Welt des Paranormalen.

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Durch Hans Bender (1907-1991), den einst TV-bekannten Parapsychologie-Professor in Freiburg im Breisgau, konnte sich in Deutschland diese Grenzwissenschaft als Universitätsfach etablieren. Bender hat "der Psi-Forschung, die vollkommen vom Geist der Statistik zugedeckt zu werden drohte, die Bedeutung des Subjekts wieder zurückgegeben", schreibt Elmar Gruber in seiner Biografie "Suche im Grenzenlosen. Hans Bender – ein Leben für die Parapsychologie" (1993). Bereits einige Jahre vor seiner Ernennung zum Professor hatte Bender das "Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene" gegründet, das er dann bis zu seinem Tod leitete. Mittlerweile gilt dieses Institut als die am besten eingerichtete parapsychologische Forschungsanstalt der Welt.

Gleichwohl hat Parapsychologie in Deutschland und weltweit um ihre Anerkennung im allgemeinen Wissenschaftsbetrieb zu kämpfen. Schließlich ist sie tatsächlich eine Wissenschaft an der Grenze des normal Erfahrbaren, indem sie sich mit Phänomenen des Übersinnlichen befasst. Und das macht sie in unserer extrem diesseitig orientierten Gesellschaft grundsätzlich verdächtig. Berührt sie damit nicht auch die Frage nach einem "Jenseits", also Gebiete der Religion und der Theologie? Dabei haben sich gerade Parapsychologie und Theologie seit vielen Jahrzehnten gleichermaßen bemüht, sich beide möglichst "diesseitig" zu verankern. Mit Vorliebe haben sie solche Methoden entwickelt oder übernommen, die im säkularen Wissenschaftsbetrieb salonfähig waren und sind. Doch gerade auf diesen Wegen haben beide Forschungszweige einander zunehmend aus den Augen verloren.

Anfänge in der Spiritismus-Welle

Die Anfänge der parapsychologischen Forschung im 19. Jahrhundert sahen beide Wissenschaften interessensmäßig eng verzahnt. War doch die Parapsychologie überhaupt erst durch einen Theologen im wissenschaftlichen Sinn initiiert worden: Es war kein Geringerer als der junge Theologiestudent Edward White Benson gewesen, der später Erzbischof von Canterbury wurde, also oberster Repräsentant der Anglikanischen Weltkirche, der diese Grundlegung vorantrieb. In Cambridge wählten er und seine Freunde 1852 als Namen für eine neue Gesellschaft zur Erforschung des Okkulten wegen des damals aktuellen Interessengegenstands die Bezeichnung "Ghost Society" – Geister-Gesellschaft. Seriöser als diese Bezeichnung war freilich das Programm der jungen Leute: Hier wurde erstmals das Ziel formuliert, die übernatürlich anmutenden "okkulten" Phänomene auf der Basis rein wissenschaftlicher Methoden, also fernab religiöser Voraussetzungen zu untersuchen.

Um "Geister" ging es zentral, weil um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Spiritismus-Welle das gesamte Abendland erfasst hatte. Der damals aufstrebende Materialismus hatte gewissenmaßen eine Gegenbewegung herausgefordert. Im Frühjahr 1848 hörten die Teenager Margaret und Kate Fox in den Wänden ihres okkult beleumdeten Hauses in dem Dorf Hydesville im Staat New York merkwürdige Klopflaute. Bald begann sich abzuzeichnen, dass man mittels eines regelrechten Klopfalphabets mit diesen Lauten in Kommunikation treten konnte. Die Wirkung war im Kontext der weltanschaulichen Gärungsprozesse enorm und bedeutete die Geburtsstunde des modernen Spiritismus, verstanden als Massenbewegung gruppenmethodischer Beschwörung von Totengeistern.

Empirie und kirchliche Deutung

Wie eine Epidemie verbreitete sich die neue spiritistische Praxis über ganz Amerika und bald auch in Europa. Das war die Stimmungslage, in der jener Wunsch des jungen Benson nach nüchternem Erforschen der Geister-Phänomene geboren wurde. Während die damalige "Church of England" offiziell allen Arten von Spiritismus abwehrend gegenüberstand, lernte Benson durch seine Arbeit in der Ghost Society die okkulten Phänomene nicht allein aus der Perspektive kirchlicher Deutung heraus zu betrachten, sondern auf der Basis ihrer empirisch-kritischen Durchleuchtung. Gerade so konnte er später als anglikanischer Kirchenfürst seine Einwände gegen den Spiritismus aufgrund sachgemäßer Beobachtung, also jenseits von Faszination und Verteufelung dahingehend formulieren: Es handele sich hier um eine Klasse von Erscheinungen, die überwiegend in unzivilisierten Kontexten und bei Personen mit niedrigerem Intellekt anzutreffen seien. Selbst für Menschen, die mit der Existenz von Geistern rechneten, gebe es deshalb keinen Grund, deren Nähe zu suchen. Um wirklich höheren spirituellen Phänomenen zu begegnen, habe man den Weg des Gottesglaubens zu beschreiten.

Formell bald auch "Cambridge Association for Spiritual Inquire" genannt, entwickelte sich jene Geister-Gesellschaft zunächst weiter zur Londoner "Dialectical Society" und im Jahre 1882 schließlich zur britischen "Society for Psychical Research". Mit deren Gründung erst verbindet die Parapsychologie offiziell den eigentlichen Start ihrer Geschichte. Doch ihr erster Präsident Henry Sidgwick war bereits ein früheres Mitglied der Ghost Society gewesen. Und nachdem deren Start bereits im Jahr 1852 lag, ist daraus jedenfalls ein indirektes Verwiesensein von Parapsychologie und Theologie aufeinander herauszulesen.

Theologisch relevant? Ja, glaubte Benz

Gewiss kann keine der beiden gesellschaftlich umstrittenen Wissenschaften jeweils für die andere eine maßgebliche Stütze sein. Wohl aber sollten beide einen intensiveren interdisziplinären Austausch pflegen, da sich manches in ihrem Gegenstandsbereich tatsächlich überlappt. Dass freilich viele solcher Überlappungen allenfalls bei oberflächlicher Betrachtung gegeben sind, haben sowohl Parapsychologie als auch Theologie in der Regel eingeräumt. So betonte der protestantische Kirchenhistoriker Ernst Benz: "Phänomene, die sich als Gaben des Heiligen Geistes verstehen, sind durch die Tatsache charakterisiert, dass sie nicht manipulierbar sind. Gerade die Parapsychologie aber zielt mit ihren Untersuchungen darauf ab, die parapsychischen Phänomene doch letzthin in den Griff zu bekommen."

Benz hatte wie einige andere evangelische Universitätstheologen in Deutschland die Parapsychologie mit gutem Grund für theologisch relevant gehalten: "Es gibt im Bereich des christlichen Glaubens eine Reihe von Erfahrungen und von Phänomenen, die sich im Neuen Testament beschrieben finden, die sich durch die ganze Geschichte der christlichen Kirche immer aufs Neue wiederholen und die eine unmittelbare Analogie zu den von der Parapsychologie beobachteten Phänomenen darstellen." Sie zu leugnen, zeuge von Dummheit und Voreingenommenheit. Benz zeigte sich überzeugt, dass die Parapsychologie der Theologie helfen könne, verborgene Wirklichkeiten und Geistesgaben wiederzuentdecken.

Für Rahner war die Parapsychologie eher unwesentlich

Auf katholischer Seite unterstrich der berühmte Dogmatiker Karl Rahner, die Parapsychologie habe es allenfalls mit "natürlichen" Erscheinungen zu tun. Und weil die paranormalen Phänomene als solche nicht "übernatürlich" im Sinne katholischer Dogmatik seien, seien sie "letztlich unwesentlich". Nach seiner eher skeptischen Sicht sind mit paranormalen Vorkommnissen in der Regel keine religiösen Zwecksetzungen oder Sinndeutungen verbunden. An der Tatsächlichkeit des Paranormalen zweifelte Rahner nicht, wohl aber daran, dass in den betreffenden Phänomenen ein besonderes Eingreifen Gottes erkennbar sei. Diese Haltung lässt freilich den Begriff des "Natürlichen" erstaunlich ungeklärt und wird mit der religiösen Dimension solcher Ereignisse zu rasch fertig.

Ganz anders der Innsbrucker Theologieprofessor Andreas Resch, der als verdientester römisch-katholischer Experte für das Verhältnis von Parapsychologie und Theologie über lange Jahre die einschlägige Zeitschrift "Grenzgebiete der Wissenschaft" herausgegeben hat. Er konstatierte mit Bedauern: "Die Einstellung der christlichen Kirchen zu Paraphänomenen ist noch keineswegs geklärt." Bereits 1969 hatte Resch vorgeschlagen, den Begriff der "Parapsychologie" durch das Kunstwort "Paranormologie" zu ersetzen, um auf diese Weise die einseitige Koppelung dieser Wissenschaft mit der Psychologie aufzubrechen und entsprechend für interdisziplinäre Zugänge zu plädieren. Obgleich sich sein neuer Begriff kaum hat durchsetzen können, hat Resch mit diesem Vorschlag durchaus Weitblick bewiesen. Tatsächlich bietet er terminologisch bessere Chancen, etwa die Physik in diesen Forschungsprozess einzubeziehen. Und das ist in der Parapsychologie mittlerweile Programm: Sie ist ein ganzes Stück weit zur "Paraphysik" mutiert. Gerade auf quantenphysikalischer Basis tun sich neue Horizonte für das Gespräch mit den Geisteswissenschaften auf. Käme der fällige Dialog wieder mehr in Gang, könnte er sich als recht fruchtbar erweisen.


Der Autor ist apl. Professor für Systematische Theologie (Universität Nürnberg-Erlangen), Pfarrer i.R. und Publizist.

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