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Patriarch Kyrill I.: „Sammler der Russischen Erde“

Der heutige Moskauer Patriarch Kyrill I. gilt als Ideengeber und Vordenker von Putins Ideologie. Vor seiner Berufung zum Patriarchen war er Metropolit von Königsberg.
Tag der Einheit des Volkes in Russland
Foto: dpa | Ziemlich beste KGB-Freunde: Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und der Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I. (r).

Das seit 1945 zu Russland gehörende Gebiet von Nord-Ostpreußen gehörte historisch nicht zur „Russischen Welt“. Die Stadt Königsberg war zwar nur etwa 100 km von der alten Grenze des Zarenreiches bei Tilsit entfernt, es gehörte nur während des Siebenjährigen Krieges, zwischen 1758-1762, als Ostpreußen von russischen Truppen besetzt war, zu Russland, aber eine russisch-orthodoxe Kirchengemeinde bildete sich damals nicht.

Das blieb auch so, als die Sowjetunion 1945 den nördlichen Teil Ostpreußens besetzte und annektierte, die deutsche Bevölkerung vertrieb und mit Angehörigen aller Sowjetvölker neu besiedelte. Die für westliche Besucher hermetisch gesperrte Stadt Kaliningrad blieb vierzig Jahre lang bis 1985 eine Stadt ohne Religion und ohne Kirchen, wie sonst nur noch das stalinistische Albanien, wo Kirche und Islam aktiv bekämpft worden waren. Durch die bunt gemischte Bevölkerung aus allen Teilen der Sowjetunion bildete sich Gemeinschaft, ganz gleich welcher Art, sehr spät. Erst am 25. Februar 1985, zwei Wochen vor Machtantritt von Michail Gorbatschow als Generalsekretär der KPdSU, beschloss das Exekutivkomitee des Rates der Volksdeputierten der Stadt Kaliningrad, eine erste orthodoxe Gemeinschaft zu registrieren. Die erste orthodoxe Gemeinde entstand sicher nicht zufällig in den Ruinen der ältesten damals noch existierenden historischen Kirche der Region, nämlich der 1255 erbauten Kirche von Juditten, am Stadtrand von Königsberg.

Nikolaus als Schutzpatron

Der Mann im Hintergrund dieser Kirchengründung war der seit 1984 als Metropolit von Smolensk amtierende Kyrill Gundyaev. Er hatte gleich im ersten Amtsjahr bereits ein Auge auf die religionslose Region geworfen und wollte sie seinem fast 1 000 km entfernten altrussischen Bistum Smolensk einverleiben. Die Kirche erhielt als Schutzpatron den „Heiligen Nikolaus“, der auch Schutzpatron Russlands ist. Innerhalb nur eines halben Jahres wurde die orthodoxe Kirchengemeinde Juditten in die Smolensker Diözese der russisch-orthodoxen Kirche aufgenommen. Seit dieser Zeit wuchs die Zahl der orthodoxen Gemeinden in Nord- Ostpreußen sprunghaft. Es war die Zeit der Perestroika Gorbatschows, die auch mit einer religiösen Suche verbunden war.

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Oft versammelten sich die Gläubigen in ehemaligen Turnhallen oder Lagerhäusern, die für orthodoxe Gottesdienste umgebaut wurden. Schon im Jahre 1988 wurde die orthodoxe Diözese Smolensk-Wjasma in Diözese Smolensk-Kaliningrad umbenannt. Es ist erstaunlich, dass 1985 das einstige Nord-Ostpreußen, das selbst nur eine Ausdehnung von 180 km hat, nicht an eine russisch-orthodoxe Nachbardiözese, nämlich diejenige von Vilnius oder Kaunas im heutigen Litauen, angeschlossen wurde, sondern an das 1 000 km entfernte Smolensk. 1985 konnte ja noch niemand ahnen, dass sechs Jahre später die Sowjetunion auseinanderfallen und Nord-Ostpreußen eine russische Enklave werden würde, die durch zwei Staaten vom russischen Mutterland getrennt ist.

Gemeinsamkeiten mit Putin

1996 legte Kyrill Gundyaev als zuständiger Metropolit zusammen mit dem russischen Präsident Boris Jelzin auf dem ehemaligen Hansaplatz, jetzt Platz des Sieges in Kaliningrad, den Grundstein zur künftigen orthodoxen. Christ-Erlöser-Kathedrale der Stadt. Auf dem Platz stand bis dahin die größte Lenin-Figur der Stadt. Der Dom von Königsberg, um 1333 zunächst als katholische Kirche erbaut und später zum protestantischen Dom umgewidmet, wurde zwar ab 1992 wegen des dort befindlichen Kant-Grabes mit deutschen Geldern wieder aufgebaut, dient aber heute zumeist als Konzert- und Ausstellungsraum.

Der Dom erhielt auch eine orthodoxe Kapelle für ökumenische Feiern. Kaum war jedoch Kyrill zu Beginn des Jahres 2009 Patriarch von Russland geworden, stellte er bei Wladimir Putin den Antrag, den Dom an die ortodoxe Kirche zu übertragen, „weil er dort hingehöre“. Putin, von dem bekannt ist, dass er ein großer Kant-Verehrer ist, hat bis heute nicht über den Antrag entschieden. Metropolit Kyrill Gundyaev stammt wie Waldimir Putin aus Leningrad; beide hatten zunächst Karriere beim Geheimdienst KGB gemacht. Der Vater von Patriarch Kyrill, der ebenfalls orthodoxer Priester war, hatte Putin als Jugendlichen getauft.

Für das gesamte Baltikum

Am 31. März 2009 beschloss der Heilige Synod unter dem neuen Moskauer Patriarchen Kyrill I, eine eigene Diözese der russisch-orthodoxen Kirche in dem Königsberger Gebiet zu bilden. Der Vikar des Gebietes, Seraphim Melkonyan, der aus der Stadt Adler am Schwarzen Meer stammt, wurde der erste russisch-orthodoxe Bischof der Königsberger Diözese, mit dem Titel „für das gesamte Baltikum“. Zu diesem Zeitpunkt gab es im Königsberger Gebiet bereits 75 Pfarreien. Am 21. Oktober 2016 beschloss der Heilige Synod, der russisch-orthodoxen Kirche in Insterburg eine zweite neue Diözese für den Osten und Norden des Königsberger Gebiets einzurichten. Seit der Wahl von Patriarch Kyrill im Jahre 2009 wurden in Russland fast 8 000 neue Kirchen gebaut. Die Zahl der kirchlichen Amtsträger hat um 14 000 zugenommen, die Zahl der Klöster ist um 150 gestiegen. Allein in Moskau sind unter ihm 180 orthodoxe Pfarreien neu entstanden. Im gesellschaftlichen Leben spielt die Kirche wieder eine dominierende Rolle. Bei den jährlichen Empfängen im Kreml steht der Patriarch immer in der ersten Reihe, direkt neben Putins Busenfreund Gerhard Schröder. Anlässlich seines 70. Geburtstages 2016 kam Putin persönlich in die Erlöser-Kathedrale in Moskau um dem Jubilar zu gratulieren. Als Geschenk überreichte er dem Patriarchen eine aus Bernstein gefertigte Dekorplatte mit der Heiligen Dreifaltigkeit, eine Arbeit des in Königsberg lebenden Künstlers Igor Isayev.

„Gemeinsamer zivilisatorischer Raum“

Nirgendwo sonst wie im nordöstlichen Teil Ostpreußens finden sich so viele Spuren des „Sammlers der Russischen Erde“ Patriarch Kyrill I. Die neue Doktrin der „Russkiy Mir“ (Russischen Erde) hatte Patriarch Kyrill erstmals im November 2009 bei der „Dritten Russischen Weltversammlung“ in Moskau vorgetragen. Nach der Definition von Patriarch Kyrill versteht er unter „Russischer Welt“ die derzeitigen Länder Russland, Ukraine, Belarus und Moldau, sie bilden in seiner Sicht einen gemeinsamen zivilisatorischen Raum, der auf drei Pfeilern ruht: orthodoxe Kirche, gemeinsame Sprache, Kultur und geschichtliches Gedächtnis im Verbund mit einer gemeinsamen Vision von Zukunft und sozialer Entwicklung. Im Sinne dieser Doktrin musste das orthodoxe Niemandsland um Königsberg zuerst im Sinne der Orthodoxie „christianisiert“ werden, bevor es Teil der „russischen Erde“ werden konnte. Ob es sich dabei um ein lebendiges und ökumenisches Christentum, oder um eine slawische Zivilreligion handelt, das werden die nächsten Jahre zeigen.

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