Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Interview mit Carsten Brennecke

„Bestimmte Politiker üben über das Strafrecht Druck auf die Meinungsfreiheit aus“

Glaubt man J. D. Vance, ist die Meinungsfreiheit in Deutschland in Gefahr. Aber stimmt das eigentlich? Carsten Brennecke, Rechtsanwalt für Presserecht, sagt ja, wenn auch mit einer großen Ausnahme.
Carsten Brennecke, Rechtsanwalt für Presserecht
Foto: privat | In Deutschland gelte, dass die Meinungsfreiheit auch Schranken haben könne, insofern es einen Konflikt zu anderen Grundrechten gibt, meint der Medienanwalt Carsten Brennecke im Interview.

Herr Brennecke, der US-Vizepräsident J. D. Vance hat in seiner Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz den Vorwurf erhoben, es gebe in Europa einen Verfall beim Recht auf freie Rede. Hat er mit Blick auf Deutschland recht?

Ja, er hat in gleich mehreren Punkten recht. Lassen Sie mich aber mit dem einen Aspekt beginnen, in dem ich Vance nicht zustimme, nämlich in seinen Aussagen zur AfD. Eine fehlende Regierungsbeteiligung der AfD ist keine Verkürzung der Meinungsfreiheit. Die Partei darf sich sowohl im Fernsehen als auch in den Parlamenten frei äußern. Aber ob man in Regierungsbeteiligung kommt, das ist eben von einem demokratischen Prozess abhängig. 

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Kommen wir zu den anderen Punkten. Ein konkretes Beispiel, das Vance nannte, stammt aus England, wo ein Mann wegen eines stillen Gebets in der Nähe einer Abtreibungsklinik verurteilt worden ist. Gibt es in Deutschland vergleichbare Fälle?

Wir haben in Deutschland bereits zwei sehr ähnliche Regelungen. Zum einen sind seit November 2024 Proteste gegen Abtreibung im Umkreis von 100 Metern um Einrichtung der Schwangerschafts- und Konfliktberatung oder Orten, an denen Abtreibungen durchgeführt werden, verboten. Das ist eine klare Einschränkung der Meinungsfreiheit. Wir haben aber natürlich in Deutschland ein anderes Rechtsverständnis als in den USA. Bei uns gilt, dass die Meinungsfreiheit auch Schranken haben kann, insofern es einen Konflikt zu anderen Grundrechten gibt. Üble Nachrede, also die Verbreitung von Falschbehauptungen, ist etwa ein Straftatbestand. Das ist ein gravierender Unterschied zum Verständnis in den USA.

Belästigung waren ja aber ohnehin schon verboten. Neu bei diesem „Gehsteigbelästigungsgesetz“ scheint zu sein, dass die Konfrontation mit einer abweichenden Weltanschauung verboten wird. Ist das ein Novum oder gab es im deutschen Recht davor schon Vergleichbares?

Ja, nämlich die Bannmeilen. Das ist die zweite der angesprochenen Regelungen. Wir haben schon lange zum Schutz der Verfassungsorgane um Bundestag, Bundesrat und das Bundesverfassungsgericht sogenannte befriedete Bezirke, in denen Demonstration, und das sind ja dann Meinungsäußerungen, de facto verboten sind. 

Ein weiterer Punkt, der im Nachgang zu Vances Rede aufkam, hat mit einer US-Dokumentation über deutsche Staatsanwälte zu tun, die eher harmlose Aussagen im Netz als „Beleidigungen“ oder „Hassrede“ verfolgen. Diese Dokumentation hat nicht nur in den USA für Unverständnis und Empörung gesorgt. Gibt es in Deutschland ein Problem mit der Strafverfolgung von kritischen Aussagen im Netz, vor allem, wenn sie gegen Politiker gerichtet sind?

Ja, hier sehe ich eine echte Gefährdung der Meinungsfreiheit. Von bestimmten Politikern wird über das Strafrecht in doppelter Hinsicht Druck auf die Meinungsfreiheit ausgeübt. Zum einen hat man mit dem § 188 StGB einen besonderen Straftatbestand für die Beleidigung von Politikern geschaffen und dieser Straftatbestand ist mit einer erhöhten Strafandrohung versehen. Die Beleidigung von Politikern ist mit bis zu drei Jahren, die Verleumdung sogar mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe belegt. Der erhöhte Strafrahmen hat eine Abschreckungswirkung, sich überhaupt in ein kritisches Feld zu wagen und eine Meinungsäußerung pointiert zuzuspitzen. Dadurch wird der Debattenraum verengt. Damit hängt das zweite Problem zusammen, nämlich die Art und Weise, wie viele Politiker diese Vorschrift handhaben. Robert Habeck ist ja mit seiner „Schwachkopf“-Strafanzeige bekannt geworden. Wenn ich jemanden anlasslos auf der Straße als Schwachkopf bezeichne, kann man das als Beleidigung einordnen, aber wenn man in einem politischen Kontext Kritik daran übt, wie ein Politiker agiert, dann ist „Schwachkopf“ ein Synonym dafür, dass jemand etwa einen schwachsinnigen Vorschlag macht. Hier sind wir noch im Bereich der zulässigen Meinungsäußerung und da halte ich es für äußerst fragwürdig, dass Politiker solche Äußerungen nicht mehr hinnehmen, sondern flächendeckend dagegen vorgehen.

"Der erhöhte Strafrahmen hat eine Abschreckungswirkung,
sich überhaupt in ein kritisches Feld zu wagen
und eine Meinungsäußerung pointiert zuzuspitzen.
Dadurch wird der Debattenraum verengt"

Wenn es um unliebsame Meinungsäußerungen geht, ist schnell von „Hass und Hetze“ die Rede. Selbst Friedrich Merz sprach in Reaktion auf Vance davon, „Hassrede“ nicht dulden zu wollen. Sind das überhaupt juristisch belastbare Begriffe?

Auch hier muss ich Herrn Vance absolut recht geben muss. Ich sehe eine Gefahr für die Meinungsfreiheit dadurch, dass bestimmte politische Kräfte, meist aus dem rot-grünen Spektrum, und NGOs wie „HateAid“ oder die „Amadeu Antonio Stiftung“ neue sprachliche Kategorien etabliert haben. „Hass und Hetze“ oder im Englischen „hate speech“ sind völlig undifferenzierte Begriffe, die zudem über die in Deutschland strafbaren Tatbestände hinausweisen. Es wird zunehmend versucht, einen moralischen Aspekt hineinzubringen und mithilfe dieser diffusen Begriffe zulässige Äußerungen zu unterdrücken. Dabei darf ich natürlich hassen. Ich darf schreiben „Ich hasse Gummibärchen“ und ich darf auch sagen „Ich hasse die CDU, die SPD, die AfD“ und so weiter. Solche Aussagen haben nicht zuletzt auch eine wichtige Ventilfunktionen für den Diskurs. Herr Merz als Jurist müsste es besser wissen, zumal man ihm mit diesen Begriffen selbst schon extremen Druck gemacht hat.

Weitere Phänomene sind Meldestellen für Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze und sogenannte „Trusted Flagger“ im Netz. Worum handelt es sich dabei und wie sind solche Institutionen rechtlich einzuschätzen?

Bei den Meldestellen werden Daten gesammelt. Nordrhein-Westfalen macht das etwa für „Queerfeindlichkeit“ und „Rassismus“. Auch in Hessen und Baden-Württemberg gibt es ähnliche Stellen für diskriminierende Äußerungen. Das Problematische ist, dass diese Meldestellen ausdrücklich solche Dinge erfassen sollen, die die Strafbarkeitsgrenze nicht überschreiten. Zwar werden die Fälle angeblich anonymisiert gespeichert werden, aber wo die Daten erst anonymisiert werden müssen, liegen sie eben auch ohne Anonymisierung vor. Das erzeugt einen abschreckenden Druck nach dem Motto „Wenn du etwas Falsches sagst, dann melde ich dich, und deine Daten landen bei einer staatlichen Behörde.“ Zudem sind die Meldungen nicht überprüfbar. Am Ende haben wir nur eine Statistik über Meldungen, aber nicht über Fakten. 

Und die „Trusted Flagger“?

Auch hier wird Druck auf die Meinungsfreiheit ausgeübt. Der „Digital Services Act“ (DSA), wie die EU-Vorschrift heißt, sieht für die Sozialen Medien „Trusted Flagger“ vor. Das sind überwiegend staatlich finanzierte und zertifizierte Organisationen, die Äußerungen in den Sozialen Medien prüfen sollen. Angeblich haben die Personen gewisse Sachkenntnisse, aber bei den „Trusted Flaggern“ arbeiten bei weitem nicht nur Juristen, obwohl sie Meinungsäußerungen als unzulässig erkennen und melden sollen. Die Plattformbetreiber sind wiederum verpflichtet, diese Meldungen vorrangig zu prüfen und gegebenenfalls zu löschen, ansonsten droht ein erhebliches Bußgeld. In Zweifelsfällen werden die Plattformbetreiber daher natürlich auch Aussagen löschen, die eigentlich zulässig sind. Außerdem gibt es eine Gefahr der ideologischen Schlagseite. Die „Trusted Flagger“ werden ja vom Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert.

"Man wird bei „Correctiv“ kaum eine aktuelle Recherche
zu Lasten eines rot-grünen Themas finden.
Hier hat man den Bock zum Gärtner gemacht"

In den USA hat Mark Zuckerberg nach der Wiederwahl Trumps eine Kehrtwende vollzogen und die „Faktenchecker“ bei „Meta“ abgeschafft, zumindest in den USA. Gibt es diese in Europa und Deutschland weiterhin?

Ja, in Europa laufen die Verträge noch. Gerade in Deutschland haben wir zudem äußerst zweifelhafte NGOS am Drücker. „Correctiv“ etwa arbeitet mit „Facebook“ zusammen. Das ist eine NGO, die mit zweieinhalb Millionen Euro an Steuergeldern finanziert wird und die in ihrer angeblich journalistischen Arbeit fast ausschließlich Themen aufgreift, die gut in das politische Konzept der aktuellen Financiers passen. Man wird bei „Correctiv“ kaum eine aktuelle Recherche zu Lasten eines rot-grünen Themas finden. Hier hat man den Bock zum Gärtner gemacht. 

Von linker Seite gibt es zuletzt vermehrt Kritik an Elon Musks „X“. Es ist von Algorithmen die Rede, die rechte Inhalte bevorzugten. Stimmt das?

Ich persönlich nutze „X“ und muss sagen, dass ich das nicht nachvollziehen kann. Mir wird alles Mögliche in die Timeline gespült, sowohl von linker wie auch von konservativer Seite. Ich habe bisher keinen einzigen Nachweis recherchieren können, der wirklich nachgewiesen hätte, dass es auf „X“ einen politisch einseitig begünstigenden Algorithmus gibt.

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