Kultur

Kathedrale von Burgos: Spanisches Wunderwerk

Das Bauwerk ist der Gottesmutter Maria geweiht. Vor 800 Jahren war die Grundsteinlegung der Hauptkirche der Erzbischöfe des Erzbistums Burgos in Kastilien-León..
Kathedrale von Burgos am Camino Frances des Jakobspilgerweges.
Foto: YAY Micro, imago-images | Vor 800 Jahren wurde der Grundstein gelegt und es gibt Menschen, die empfinden sie als gelungenstes gotisches Bauwerk: Die Kathedrale von Burgos am Camino Frances des Jakobspilgerweges.

No turismo“ steht auf dem Plakat vor der Scheibe, die den Blick in die gotische Kapelle des Allerheiligsten Christus erlaubt. „Kein Tourismus“ also. Nur Gottesdienst, Gebet, innere Einkehr. Sobald sich die Glastür hinter einem schließt, verebbt das Besuchergemurmel, das durch die Schiffe und Gänge des Doms mäandert. Licht fällt durch kleine Buntglasfenster mit dem Letzten Abendmahl, auf den an die Säule gefesselten Jesus. Langgestreckt, wie eine symbolische Totenbahre, läuft der Raum auf seinen Namensgeber zu. „Christus von Burgos“ nennt man ihn. Der Heiland, über dem Tabernakel, ist in einen Rock gehüllt und mit Wundmalen übersät. Er soll echtes Menschenhaar tragen und mit Kalbshaut überzogen sein. Ein Anblick, den man so schnell nicht vergisst – und doch ist es nur Bruchteil der Eindrücke aus der Kathedrale von Burgos, die nun Geburtstag hat. Die Grundsteinlegung erfolgte vor 800 Jahren, am 20. Juli 1221, im Beisein von Bischof Mauricio und Kastiliens König Ferdinand III. dem Heiligen. Das Riesenbauwerk ist der Gottesmutter Maria geweiht und Weltkulturerbe der Unesco. Große Feierlichkeiten stehen durch die Corona-Pandemie nicht in Planung.

„In ihrem Äußern lässt die Kathedrale von Burgos
keiner anderen in Spanien den Vortritt“

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Welche Kunstschätze müssen hier unwiederbringlich verloren gegangen sein. Denn der gotische Prunkbau hatte an selber Stelle einen Vorläufer der Romanik, bis Klerus und Königshaus einvernehmlich entschieden: Die alte Kathedrale ist zu klein, eine neue muss her, die gleichzeitig den Reichtum der Stadt symbolisierte. Burgos war eine maßgebliche Station auf dem Jakobsweg durch Nordspanien und als Umschlagplatz in den lukrativen Wollhandel Kastiliens verstrickt, dessen Fäden sich in Richtung der Atlantikhäfen und weiter nach Flandern und England versponnen. Folglich war nichts zu teuer und aufwändig, um das Bauprojekt voranzutreiben – was nicht von heute auf morgen glückte. Die Arbeiten zogen sich mehrere Jahrhunderte hin und brachten ein Monument von 108 Metern Länge, 84 Metern Höhe und 61 Metern Breite hervor. Seither hat die Kathedrale Generationen an Baumeistern und Bildhauern ernährt, an Maurern, Steinmetzen, Glasern, Restauratoren. Umfassend gesandstrahlt, erstrahlt der Dom seit einigen Jahren in neuem Glanz.

Der langen Bauzeit zum Trotz, wirkt die Kathedrale erstaunlich homogen. Pompös und filigran zugleich stolziert sie als Dame mit gotischen Spitzentürmchen durchs Stadtbild und hat schon viele Reisende begeistert. „In ihrem Äußern lässt die Kathedrale von Burgos keiner anderen in Spanien den Vortritt“, sah der Engländer Henry D. Inglis (1795–1835) sie vor den Glaubensburgen von Toledo und Sevilla rangieren. Der deutsche Reisende Reinhold Baumstark (1831–1900) erhob sie gar im internationalen Vergleich zum Nonplusultra: „Ohne alles Bedenken erkenne ich der Kathedrale von Burgos die Siegespalme zu vor allen anderen gotischen Kirchenbauten, die ich kenne, jene von Köln, Straßburg und Freiburg nicht ausgenommen.“

Eine Überfülle an Zierwerk, an Glanz und an Pracht

Die beste Perspektive bietet sich nicht vom kleinen Platz vor der Hauptfassade, deren spätgotische Turmhelme der Baumeister Johannes von Köln konzipierte, sondern vom größeren Vorplatz nach Süden hin: wo das historische Stadtmauertor Santa María anstößt und ein ermatteter Jakobspilger in Bronze auf einer Bank sitzt. Eine Freitreppe führt von hier auf das Portal Sarmental zu, durch das die Besucher eintreten.

Obgleich es eine restauratorische Hand allzu gut gemeint hat, kann man sich dem Bann detailverliebter Meisterstücke nicht entziehen: den Evangelisten bei der Arbeit an ihren Schreibpulten, den untereinander in Gespräche vertieften Aposteln, dem Pantokrator. In der Mitte des Portals steht Gründerbischof Mauricio wie zum Empfang bereit. Dahinter gilt es, die Flut der Schätze zu verkraften. In jedem Winkel entfaltet sich eine Überfülle an Zierwerk, an Glanz und an Pracht. Ohne Leerlauf. Kunsthistoriker, so sagt man, könnten mehrere Jahre im Innern verbringen und immer Neues entdecken. Kein Wunder bei knapp zwanzig Kapellen, dem Domschatz, dem doppelstöckigen Kreuzgang, den Grabmälern, den Gittern, den Gemälden und den Skulpturen. Der Blick steigt auf zur sterngekrönten Vierungskuppel des Architekten Juan de Vallejo, heftet sich an die Vergoldete Treppe des Diego de Siloé und den Hochaltar, den die Gebrüder Rodrigo und Martín de la Haya mit den großen Marienthemen ausgestalteten.

Im schönsten und stillsten Winkel der Kathedrale

Kein Ruhmesblatt hingegen war der im 16. Jahrhundert ins Mittelschiff platzierte Chor, der die Raumwirkung verbaut, wie so häufig in Spaniens Kathedralen; da spendet auch das 103sitzige Gestühl aus Nussbaumholz wenig Trost, im Wesentlichen ein Werk des Renaissancemeisters Felipe Bigarny. Eine Kirche in der Kirche ist die von Simon von Köln geschaffene Grabkapelle der Kronfeldherrn, in der zwei Kilometer Steinschmuckbänder verlaufen. Ins Auge stechen dort das Gemälde der Maria Magdalena mit wallendem Haar und das Triptychon der heiligen Maria mit Jesuskind, das dem Niederländer Gerard David (um 1460–1523) zugeschrieben wird; Maria sitzt auf roten Kissen und hält das Kind im Arm, das zu einem Tellerchen mit Weintrauben greift, gehalten von einem Engel.

Zwei Männer nehmen besonderen Raum ein: der „Fliegenschnapper“ und El Cid. Der sogenannte „Fliegenschnapper“, auf Spanisch „Papamoscas“, ist das kleine Wahrzeichen der Kathedrale: eine Büste mit schurkischem Ausdruck über einer großen Uhr, die hinter der Doppelturmfassade in einer Höhe von etwa fünfzehn Metern prangt. Zu den Glockenschlägen der vollen Stunde öffnet und schließt der „Papamoscas“ den Mund. Allerdings behaupten die Einheimischen, die eigentlichen Fliegenschnapper stünden unten: nämlich die Betrachter des kleinen Schauspiels mit ihren weit geöffneten Kinnladen.

Die Grablege des Nationalhelden El Cid

 

Die Suche nach Spaniens Nationalheld El Cid (um 1043–1099) führt unter die Vierungskuppel. Dort hat der Mann, der eigentlich Rodrigo Díaz de Vivar hieß und aus der Nähe von Burgos stammte, an der Seite seiner Frau Dona Jimena die letzte Ruhe gefunden. Die Bodengrabplatte ist relativ schlicht gehalten. Im Mittelalter trat El Cid als Kämpfer gegen die Mauren hervor, wechselte nach einem Zerwürfnis mit König Alfons VI. aber vorübergehend die Fronten. Die sterblichen Reste des Paares kamen vor einem Jahrhundert hierher, überführt aus dem Rathaus.

Im oberen Teil des Kreuzgangs setzt sich das Leitmotiv El Cid fort. Dort ist eine der beiden sagenhaften Schatztruhen ausgestellt, die ihm gehörten. Überliefert dazu ist eine Geschichte. El Cid, in Finanznot geraten, hinterlegte einmal seinen Geldverleihern die Truhen als Garantie für eine stattliche Summe. Die Behältnisse waren reich verziert, sorgsam verschlossen und bleischwer. Ihr Inhalt: nichts weiter als Sand und Steine. Später, so nimmt die Legende den Ehrenmann in Schutz, gab der Cid das geliehene Geld zurück. Er hatte halt mit dem „Schatz seines Wortes“ gebürgt.

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Echte Schätze sind von hier aus nicht weit. Der Domschatz trumpft mit Gold und Silber und einer Fülle wertvoller Bildwerke und Gemälde auf.

Der schönste, der stillste Winkel der Kathedrale von Burgos ist und bleibt die Kapelle des Allerheiligsten Christus. Dorthin führt der Weg zurück. Laut Legende trieb das Bildnis des „Christus von Burgos“ in lange verflossener Zeit in einer Kiste auf dem Atlantik vor der Nordküste Spaniens. Ein Schiff nahm es auf, ein Kaufmann aus Burgos brachte es den Augustinern seiner Heimatstadt als Geschenk dar. Lange bevor die Wirren der Säkularisation eine Verlegung in die Kathedrale nötig machten, besuchte Königin Isabella I. den Christus im Augustinerkloster – und wollte als Andenken einen Nagel des Kreuzes entfernen. Dabei fiel ein Arm der Skulptur auf sie herab. Zu Tode erschrocken, nahm sie von ihrem diebischen Ansinnen Abstand.

Ungebrochen flößt der „Christus von Burgos“ Respekt ein, eingetaucht in spärliches, schummeriges Licht. Der Volksmund erzählt, dass Haare, Bart, Fuß- und Fingernägel wachsen. Und dass der Heiland freitags manchmal schwitzt.

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