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Das Seligsprechungsverfahren für Isabella die Katholische soll ein christliches Politikverständnis fördern. Von Regina Einig
Symposion über Isabella die Katholische
Foto: stock.adobe.com | Weihbischof Luis J. Argüello García von Valladolid hob Königin Isabellas Sinn für Gerechtigkeit, Menschenwürde und das Gemeinwohl hervor.
Symposion über Isabella die Katholische
Foto: stock.adobe.com | Weihbischof Luis J. Argüello García von Valladolid hob Königin Isabellas Sinn für Gerechtigkeit, Menschenwürde und das Gemeinwohl hervor.

Überzeugte Christen sind auf der politischen Bühne rar geworden. In traditionell katholischen Ländern reagieren Gläubige besonders sensibel auf die staatlich geförderte Säkularisierung. Ein Symposion des Erzbistums Valladolid und der diözesanen Kommission über die kastilische Königin Isabella die Katholische (1451–1504) förderte kürzlich viel gemeinsames Unbehagen im hispanischen Raum zutage: Korruption der politischen Klasse, staatliche Bevormundung im Namen einer vermeintlichen Toleranz gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten, Verdrängung der Religion ins Private, Beschneidung der Elternrechte und die teilweise Kapitulation von Justiz und Polizei angesichts einer schier außer Kontrolle geratenen Kriminalität. Als Antipode zu korrupten Eliten stellte das Symposion Isabella I. vor. Politische Vernunft und Glaube prägten ihren Politikstil; Religion war für sie keine Privatsache. Weihbischof Luis J. Argüello García von Valladolid hob ihren Sinn für Gerechtigkeit, Menschenwürde und das Gemeinwohl hervor. Mit Nachdruck warnte er vor leichtfertigen Urteilen der Nachwelt aufgrund anachronistischer Maßstäbe. Heilige als Vorbilder anzuerkennen bedeute nicht, sie in jeder Einzelheit zu imitieren.

Etliche spanische Bischöfe, darunter die Oberhirten von Valladolid, Granada und Ávila, in deren Diözesen zentrale isabellinische Lebensstationen liegen, befürworten die Kanonisierung der Königin mit Nachdruck. Bereits 2002 sprachen sich mehr als zwei Drittel des spanischen Episkopats dafür aus. Der 1957 in Valladolid eingeleitete Seligsprechungsprozess wurde 1972 auf diözesaner Ebene abgeschlossen. Bertha Bilbao Richter berichtete von ihrem Briefwechsel mit Pius XII.. 1956 hatte die damals 23-jährige Lehrerin aus Buenos Aires den Papst gebeten, Isabella der Katholischen „endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“ und sie wegen ihrer Verdienste um die Evangelisierung Lateinamerikas seligzusprechen. Pius XII. leitete den Brief an den Erzbischof von Valladolid weiter. Das Verfahren kam in Gang. Es ist bis heute kein Selbstläufer. Der 2007 verstorbene Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger soll Johannes Paul II. persönlich von einer Seligsprechung der Königin abgeraten haben, da diese Irritationen auf jüdischer Seite provozieren würde. Für die Nachwelt bleibt die Ausweisung der Juden 1492 durch das Edikt von Granada ein Stein des Anstoßes, für die Kirchenhistoriker eine fachliche Herausforderung.

„Der gordische Knoten besteht in der Schwarzen Legende“, erklärte der Primas von Spanien, Erzbischof Braulio Rodríguez Plaza von Toledo, der als ehemaliger Oberhirte von Valladolid mit den Akten vertraut ist. Die Politik der Katholischen Könige habe jedoch nie in finsterem Machtstreben bestanden, sondern auf Evangelisierung aller Untergebenen abgezielt.

Auch Hernan Mathieu, Rektor der Katholischen Universität La Plata in Argentinien vertrat die These, dass das Hauptziel der Entdeckungsreisen die Mission gewesen sei. Die materialistische Perspektive, der zufolge die Eroberung Amerikas eine Frucht spanischer Machtpolitik und Geldgier gewesen sei, beruhe auf historischen Fehleinschätzungen. Deren Wurzeln verortete Mathieu in einer vom Marxismus beeinflussten Geschichtswissenschaft. In Wirklichkeit sei der Kulturtransfer von Spanien in die neue Welt umfassend gewesen – von der Landwirtschaft bis zur griechischen Methaphysik. Bereits 1536 habe es sieben Universitäten in Neuspanien gegeben. „Haben die Engländer das in Nordamerika geleistet?“, fragte Mathieu. Europa befinde sich derzeit auf dem Gipfel der Dekadenz und verleugne seine griechisch-römischen und christlichen Grundlagen. In puncto Verteidigung der Werte der „Hispanität“ seien sowohl die spanische Regierung als auch die katholische Kirche „eingeknickt“. Carta Magna dieser Werte sei das Testament von Isabella der Katholischen und dessen Ergänzung, der wenige Tage vor ihrem Tod verfasste „Codicilio“. Beide sollten an Schulen im hispanischen Raum Pflichtlektüre werden, erklärte Mathieu.

Manche Verständnishürde lässt sich allerdings auch durch Lektüre nicht überwinden: Die religiöse Gleichgültigkeit in einer säkularisierten Gesellschaft erschwere es, die Motive der Königin nachzuvollziehen, erklärte die Rektorin der Katholischen Universität Avila, María Rosario Sáez Yuguera. „Wer selbst nicht glaubt, kann den missionarischen Geist der Königin nicht erfassen.“ Isabella, die dem Dritten Orden der Franziskaner angehörte, habe sich um ihr eigenes Seelenheil und um das ihrer Untertanen gesorgt. Die Königin habe angesichts der Missstände in der Neuen Welt versucht, Abhilfe zu schaffen. Mit ihren letzten Verfügungen habe die Königin die „Anerkennung der Menschenrechte in Europa“ erstmals dokumentiert. Aus dem Testament Isabellas geht zweifelsfrei hervor, dass sie die Versklavung der Indios ablehnte und für deren menschenwürdige Behandlung eintrat. Bereits im Jahr 1500 hatten die Katholischen Könige die Versklavung der indigenen Bevölkerung verboten und die Freilassung verschleppter Indios angeordnet. 1503 sprach sich Isabella für Mischehen zwischen Spaniern und Indios aus, da Letztere freie Vasallen der spanischen Krone seien. Zudem sollte neben jeder Kirche in Neuspanien auch eine Schule gebaut werden.

Sáez Yuguero betonte die historische Perspektive aus weiblicher Sicht: Man leugne nicht, dass Gewalt ausgeübt worden sei, dürfe aber nicht übersehen, welche Chance die Entdeckungsreisen im sechzehnten Jahrhundert für Frauen gewesen seien. Für indigene Frauen eröffnete die Missionierung Lateinamerikas Chancen zur Bildung und Weitung des Horizonts.

In der Diskussion zeichnete sich der Wunsch nach christlichen Vollblutpolitikern ab, die über die Grenzen des Horizonts ihrer Gesellschaft hinauszudenken wagen. Auf Befürworter der Seligsprechung Isabellas auf beiden Seiten des Atlantiks wirkt das Verhalten westlicher Politiker mitunter paradox: Während Kolumbusdenkmäler vom Sockel geholt werden, scheint die nostalgische Verklärung eines vielfachen Mörders wie Che Guevara auf der Linie politischer Korrektheit zu liegen.

Der Erzbischof von Toledo verwies auf die fehlende Rechtssicherheit für Ungeborene in Spanien. Mehr staatlicher Rückhalt für die Kirche wäre aus Don Braulios Sicht hilfreich. Schließlich stelle er sich vor Visitationsreisen die Frage, ob sein Recht auf Schulbesuche künftig polizeilich durchgesetzt werden solle. Etliche Schulleiter erklärten seinen Besuch vorab für unerwünscht.

Gelassenheit ist aus Sicht des Postulators der Causa Isabellas I. geboten. Die Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts habe gezeigt, wie rasch sich das Blatt bei den Verfahren wenden könne, stellte der Trinitarier Javier Carnerero fest. So sei unter Papst Pauls VI., der als Gegner Francos galt, nicht an Kanonisierungen der spanischen Märtyrer der kommunistischen Kirchenverfolgung der dreißiger Jahre zu denken gewesen. Doch mit der Wahl von Johannes Paul II. änderte sich das Klima. Tausende Märtyrer wurden inzwischen kanonisiert.

Wie ein basso continuo zog sich die Kritik an der Unkenntnis der eigenen Geschichte durch die Debatte. Die Ignoranz der Gegenwart verhindere, aus der Geschichte zu lernen. Eine Nachfahrin brasilianischer Ureinwohner gab zu bedenken, dass die Missionierung Lateinamerikas das Ende der Polygamie bedeutet und die Stellung der Frau in den indigenen Kulturen aufgewertet habe. Mit der Eroberung des muslimischen Königreiches Granadas durch die Katholischen Könige habe die frauenfreundliche Politik der Christen bereits ihren ersten Sieg verbucht. Eine spanische Teilnehmerin ging noch weiter: „Die Protestanten haben die Schwarze Legende in die Welt gesetzt. Und das Schlimme ist: Wir glauben ihnen.“

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