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Amazon-Serie „El Cid“: Ein Heldenepos ohne Held

Andere Länder andere Epen: Was in Deutschland das Nibelungenlied, ist in Spanien das "Cantar de Mío Cid" (Lied von meinem Herrn). Die Geschichte wurde mehrfach verfilmt. Amazon bietet eine Staffel einer Neuverfilmung an. Kann sie an die großen Erfolge der Kinofilme anschließen?
Ritter im Schwertkampf
Foto: amazon | Cid-Darsteller Jaime Lorente zeigt eine beeindruckende körperliche Präsenz. Ihm fehlt jedoch das für die Verkörperung einer solchen Rolle erforderliche Charisma.

Das spanische Heldenepos „Cantar de Mío Cid“ („Lied von meinem Cid“) erfuhr ähnlich dem Nibelungenlied im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neue Adaptionen. Wurde die ursprünglich aus dem 13. Jahrhundert stammende Nibelungensage Mitte des 16. Jahrhunderts von Hans Sachs und 1861 von Friedrich Hebbel dramatisiert, von Richard Wagner als Opernzyklus („Der Ring des Nibelungen“) sowie von Fritz Lang als zweiteiliges Stumm-Filmepos „Die Nibelungen“ 1924 verarbeitet, so gibt es vom „Cantar de Mío Cid“ verschiedene literarische Versionen insbesondere seit dem Ende des 18. Jahrhunderts.

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Ein Stoff, viele Versuche,  künstlerischer Umsetzung

Für die große Leinwand und fürs Fernsehen wurde es ebenfalls verarbeitet, insbesondere als Monumentalfilm „El Cid“ aus dem Jahre 1961 von Anthony Mann mit Charlton Heston und Sofia Loren in den Hauptrollen. Herausragend an Anthony Manns Film sind nicht nur das für den Oscar nominierte Szenenbild und die ebenfalls Oscar-nominierte Musik von Miklós Rózsa sowie die schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller.

Regisseur und Drehbuchautoren bemühten sich außerdem um eine getreue Darstellung des klassischen Epos. Beraten wurden sie dabei vom bekannten Mediävisten Ramón Menéndez Pidal, dem Doyen der „Cantar de Mío Cid“-Forschung – was insofern von besonderer Bedeutung ist, als das Epos einen eindeutigeren historischen Hintergrund besitzt, als etwa die Nibelungensage: Rodrigo (Ruy) Díaz de Vivar wurde um die Mitte des 11. Jahrhunderts als Kleinadliger in Kastilien geboren, das unter König Ferdinand I. (1035–1065) gerade mit dem Königreich León vereinigt worden war, und deshalb im Kampf gegen die nach dem Zusammenbruch des Kalifats von Córdoba entstandenen muslimischen Taifakönigreiche die Vorrangstellung unter den christlichen Reichen auf der Iberischen Halbinsel errang.

Legendenhaft ausgeschmückter Gesang

Die gerade gestartete, fünfteilige Amazon-Serie „El Cid“ konzentriert sich auf die Kindheit Ruys am Hofe von König Ferdinand I. und auf seinen Aufstieg zum Bannerträger des ältesten Königssohnes Sancho. Sie endet mit dem Tod von König Ferdinand und der Aufteilung des Königsreichs unter seinen Kindern, enthält deshalb jedoch nicht den Kern des auf historischen Tatsachen basierenden, doch auch legendenhaft ausgeschmückten Gesangs, der zu dem aus dem Arabischen abgeleiteten Titel „Mio Cid“ („Mein Herr“) führte – weshalb mit mindestens einer weiteren Staffel der Amazon-Serie zu rechnen ist, sofern die Zuschauerzahlen stimmen. Wohl aber führt er bereits den Beinamen „Campeador“, nachdem Ruy aus einem Zweikampf als Stellvertreter seines Herrn siegreich hervorgegangen war.

„El Cid“ sticht insbesondere durch das Szenenbild heraus. In Produktionsdesign, Drehorte und Kostüme wurde augenscheinlich viel Aufwand investiert. Eine richtige, in beeindruckenden Totalen mit hunderten Statisten und Spezialeffekten gefilmte Massenszene, die etwa an „Der Herr der Ringe“ wenigstens entfernt erinnern könnte, bietet die Serie allerdings erst in der vorletzten Folge.

„Zu den historischen Ungenauigkeiten kommt eine
fast ohne Ausnahme allzu eindimensionale Figurenzeichnung“

Das Drehbuch zeichnet sich jedoch durch abgedroschene Klischees eines „dunklen Mittelalters“ aus. Leidenschaften, rohen Sitten, Intrigen, Machtkämpfen ... stehen kaum positive Eigenschaften gegenüber. Die oberflächliche Gläubigkeit der Figuren entspricht einem Bischof, der lediglich politische Ränke schmiedet – keine Erwähnung findet etwa, dass Ferdinand I. besondere Beziehungen zu Cluny knüpfte, und etwa auch ein Kirchenkonzil einberief, um in Kastilien-León Benedikts Ordensregel nach fränkischem Vorbild einzuführen.

In spanischen Medien wurde zwar insbesondere darauf hingewiesen, dass das in der Serie von Cid geführte Schwert wie eine Nachahmung eher des Schwerts Karls des Großen als der „echten“ Schwerter des Cid aussieht. Schwerer wiegt jedoch, dass die Umstände des Todes Ferdinands anders als die belegten historischen Tatsachen dargestellt werden. Dies gilt ebenfalls für den feministischen Anstrich in der Rolle Urracas, der ältesten Tochter Ferdinands, und auch für deren Rolle in der Aufteilung des Königsreiches.

Zu den historischen Ungenauigkeiten kommt eine fast ohne Ausnahme allzu eindimensionale Figurenzeichnung. Lediglich Königsgemahlin Sancha (Elia Galera) und König Fernando (José Luis García Pérez) werden wirkliche Konflikte zugestanden. Ihre (Liebes-)beziehung über alles Politische hinweg gehört zu den positiven Seiten von „El Cid“. Demgegenüber stellt Jaime Lorente, der durch die Netflix-Serie „Haus des Geldes“ (DT vom 23.04.2020) international bekannt wurde, den Hauptcharakter allein durch eine intensive Körperlichkeit dar.

Ähnlich bleibt die Darstellerin der späteren Frau des Cid Jimena (Lucía Guerrero) kaum in Erinnerung. Die Auswahl der Schauspieler erweist sich leider als wenig hilfreich für eine tiefgründige Charakterdarstellung. Irgendein Vergleich mit Charlton Heston und Sofia Loren mutet völlig deplatziert an.

Die Musik des zweifachen Oscar-Gewinners Gustavo Santaolalla trägt ebenfalls wenig zur epischen Anmutung bei. Statt die Handlung zu unterstützen, erscheint sie über weite Strecken völlig losgelöst von ihr. Sechzig Jahre nach Anthony Manns Film hätte „El Cid“ die modernisierte Fassung eines der größten Heldenepen der europäischen Literatur werden können. Ob sie in einer etwaigen zweiten Staffel all die angesprochenen Mängel abstellen kann, scheint eher unwahrscheinlich.


„El Cid“, Spanien 2020. Regie: Adolfo Martínez Pérez, José Velasco. Fünf Folgen mit insgesamt 290 Minuten. Auf Amazon Prime Video

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