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Francis Ford Coppolas „Der Pate“ wird 50

Ein Meisterwerk über Schuld und Erlösung: Francis Ford Coppolas „Der Pate“ wird 50.
Filmklassiker «Der Pate» wird 50
Foto: dpa | Gangster und Sünder: Michael Corleone (Al Pacino) ist die eigentliche Hauptfigur in "Der Pate“. Zum 50. Jubiläum kommt das Epos wieder in die Kinos.

Am 14. März 1972, vergangenen Montag also vor exakt 50 Jahren, machte der US-amerikanische Filmregisseur Francis Ford Coppola sowohl dem damaligen Kinopublikum als auch im Nachhinein der gesamten Filmgeschichte ein Angebot, das beide nicht ablehnen konnten: Denn in New York City feierte an diesem Tag sein Mafia-Epos „Der Pate“ Weltpremiere.

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Der Film, der heute noch vielen als der ultimative Mafia-Film gilt und dank unvergesslicher Szenen und schauspielerischer Glanzleistungen von Marlon Brando über Al Pacino und James Caan bis hin zu Diane Keaton und Robert Duvall einen festen Platz in zahlreichen Listen der besten Filme aller Zeiten aufzuweisen hat, wurde sowohl 1974 mit einem ebenso legendären zweiten Teil als auch 1990 mit einem von Kritik und Publikum eher kritisch beäugtem dritten Film fortgesetzt. Aus heutiger Sicht lohnt es sich jedoch, die gesamte Filmreihe ausgerechnet von ihrem damals umstrittenen Ende her zu betrachten. Denn erst in der Zusammenschau aller drei Filme ist es zu erkennen, dass sich die wahre Hauptfigur der Filmreihe, Michel Corleone (Al Pacino), nichts sehnlicher wünscht als Erlösung – und diese explizit christliche Bedeutungsebene verleiht vor allem Teil 1 nachträglich eine noch tragischere Dimension.

„Durch ein Geschäft mit der Kirche glaubt er, seine eigene Schuld tilgen zu können.
Indem er die Kirche bei Immobilien-Geschäften finanziell unterstützt,
will sich Michael die Rettung seiner Seele erkaufen“

Michael ist jüngster Sohn des New Yorker Mafiabosses Vito Corleone (Marlon Brando) und will sich aus den Machenschaften des Vaters eigentlich heraushalten – denn ausgerechnet jener Michael, der im Verlauf der ersten beiden „Pate“-Filme seine Familie verstoßen, seinen Bruder töten lassen und dem Geschäft alles unterordnen wird, schätzt die Reize der amerikanischen Kultur: Während sich die Handlanger seines Vaters, der ein halbes Jahrhundert zuvor als Neunjähriger aus Sizilien in die USA übersiedelte, für den bevorstehenden Mafia-Krieg rüsten, kauft Michael mit seiner Freundin Kay (Diane Keaton) Weihnachtsgeschenke ein. „So ist meine Familie, Kay. So bin ich nicht“, sagt er. Doch dies stimmt nicht – Michael verändert sich.

Als sein Vater bei einem Attentat fast getötet wird, eskaliert der Konflikt im Untergrund. Es wird blutig, sehr blutig: Michael erschießt die Drahtzieher hinter dem Attentat und muss in Sizilien untertauchen. Er heiratet – jedoch nicht Kay. Doch seine Frau wird Opfer eines Anschlags, der ihm galt.

Er kehrt zurück. Nach New York, wo ihn niemand mehr „Kleiner“ nennt. In seinem Gesicht ist nichts Sorgloses mehr. Sein Blick ist leer und ein düsterer Schatten liegt auf seinem Antlitz. Michael hat Leid erfahren, hat anderen Leid zugefügt. Er verändert sich. Aus Paulus wird Saulus; aus dem Kleinen der erbetene Pate Don Corleone.

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Pacino als Hauptdarsteller wirkt abgründig und vielschichtig

Es war lange unklar, wer die Rolle des Michael übernehmen sollte. Das Studio wollte jemanden berühmten wie James Caan, der am Ende Michaels Bruder Sonny spielen sollte. Oder Martin Sheen, mit dem Coppola später „Apocalypse Now“ drehen wird. Doch keiner von den beiden konnte Coppola überzeugen. Es ist der zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte Theaterdarsteller Al Pacino, in dem er die Figur des Michael sieht. Für Coppola ist Pacino das fleischgewordene New York – in all seiner Abgründigkeit, in all seiner Vielschichtigkeit. Ein Gesicht, das sich dem Ideal Hollywoods entzieht. Coppola, der zu diesem Zeitpunkt erst Anfang 30 ist, wollte für diese tragische Figur keinen makellosen Schönling. Keinen, den die Welt schon hundert Mal gesehen hat. Er wollte Al Pacino, der auf der Premierenfeier von „Der Pate“ nach kurzer Zeit Reißaus nimmt und sich betrinkt, weil er erkennt, dass dies nicht seine Welt ist.

Zurück zum Film: Man fragt sich, warum Michael Corleone diesen Weg des Verbrechens, den er so rücksichtslos beschreitet, wählte. Warum er nicht erkannte, dass er so nicht von seinem Leid erlöst wird, sondern nur noch tiefer darin versinkt. Er hätte mehrfach umkehren können. „Michael, glaubst du an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde“, fragt ihn der Priester bei der Taufe von dessen Sohn. „Ja“, erwidert Michael. „Glaubst du an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn“ „Ja“, antwortet er. An den Heiligen Geist? An die heilige Katholische Kirche? Michael legt ein Glaubensbekenntnis ab. Doch das Gelübde ist kein heiliger Akt. Während Michael dem Teufel entsagt, lässt er seine Gegner ermorden - ein organisiertes Massaker. Es ist ein himmelschreiendes Sakrileg.

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Ein Angebot, zu dem man nicht Nein sagen konnte

Auch Francis Ford Coppola sagte sich los – von den Konventionen der Traumfabrik Hollywood und er meinte es ernst. Gemeinsam mit Filmemachern wie Peter Bogdanovich oder Martin Scorsese brachte er ab den späten 1960er das zum Ausdruck, was man heute unter „New Hollywood“ versteht: Weniger Happy Ends, kein unreflektierter Heldenkult mehr. Stattdessen Antihelden, düstere Geschichten, Kritik am System und ästhetische Experimente. Cary Grant? Lieber Dennis Hopper. Man formulierte eine Antithese zur Goldenen Ära Hollywoods aus den Jahrzehnten zuvor.

Mit dem späteren „Star Wars“-Schöpfer George Lucas gründete Coppola 1969 das Filmstudio „American Zoetrope“. Alle drei Teile von „Der Pate“ sind hier entstanden. Dass die Dreharbeiten zum ersten Teil turbulent waren, ist kein Geheimnis – demnächst soll mit „The Offer“ eine TV-Miniserie die Geschichte dazu erzählen. Doch das tat dem künstlerischen und kommerziellen Erfolg der „Pate“-Filme keinen Abbruch: Die ersten beiden Teile gewannen jeweils den Oscar für den besten Film und allein der erste Teil spielte bei einem Budget von sechs Millionen Dollar weltweit 244 Millionen ein.

Filmdreh ist nicht nur Kunst sondern auch Kommerz

Dass es in der Filmindustrie trotz aller künstlerischen Rhetorik immer in allererster Linie ums Geschäft geht, trieb Coppola um. Er war abhängig – abhängig von den Entscheidungen und den Geldern der Studiobosse. Doch New Hollywood stand für Anti-Establishment. Coppola wollte Unabhängigkeit. Ob er die erlangt hat? Teilweise sicher. Und doch entstand auch in dieser Ära durch Regisseure wie Steven Spielberg und Coppolas Weggefährten Lucas der moderne Blockbuster. Ob selbst ein Idealist wie Coppola es für realistisch hält, Filme um der Kunst willen zu drehen, sei dahin gestellt.

„Ich frage dich, willst du getauft werden“, möchte der Priester von Michael wissen. „Ja, das will ich.“ Sein Blick? Leer. Was er ausstrahlt? Kälte und Unmenschlichkeit. Michael ist das personifizierte, entemotionalisierte Geschäft. Jenes nebulöse Konstrukt, das alle Gräueltaten entschuldigt. Es macht ihn einsam – „frag mich nicht nach meinen Geschäften“, brüllt er Kay entgegen. Dass Michael unter der Last dieser Lüge zu ersticken droht, zeigt sich, als er sich im dritten „Pate“-Teil aus dem Mafia-Geschäft zurückziehen will. Er will sich nun wirklich lossagen von dem Bösen. Er ersucht den Papst. Im Vatikan, so hofft er, kann er seine Hände reinwaschen. Durch ein Geschäft mit der Kirche glaubt er, seine eigene Schuld tilgen zu können. Indem er die Kirche bei Immobilien-Geschäften finanziell unterstützt, will sich Michael die Rettung seiner Seele erkaufen.

Ein monumentales Meisterwerk von klassischer Bedeutung

Doch auch dieser Weg führt ihn nicht zur Erlösung: In seinem Ende 2020 erschienen „Director's Cut“ des dritten Teils wendet Coppola einen außergewöhnlichen Kunstgriff an und entfernte den noch in der Kinofassung gezeigten physischen Tod Michaels nicht nur wieder – sondern ließ ihn als unvergebenem Sünder weiterleben. Dass „der Tod von Michael Corleone“ – so der 2020 von Coppola umgetaufte, in voller Absicht zum Epilog degradierte dritte Teil der „Pate“-Saga und die eigentlich von Michael auf diesem Weg erhoffte Erlösung – nicht stattfindet, sondern er stattdessen anstatt des physischen einen noch viel schlimmeren seelischen Tod erleiden muss, erhebt die gesamte „Pate“-Filmreihe weit über das Mafia-Filmgenre hinaus in sophokleische und shakespearsche Dimensionen.

Die Corleone-Familie sei einmal ein Staat gewesen wie das Alte Rom, heißt es in den Filmen. Als Michael den Seelentod stirbt, ist das nicht mehr der Fall. „Der Pate“, der Film, dagegen wird immer ein Monument und Meisterwerk bleiben – weit über die kommenden 50 Jahre hinaus.

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