Dass Schuld und Reue, Beichte und Absolution nicht nur in der Kirche ihren Platz haben, sondern zuweilen auch im Kino zu bestaunen sind, liegt eigentlich nahe.
Schon Aristoteles, Urvater aller Dramaturgie-Experten und Script-Doctors, hat in seiner „Poetik“ die Tragödie als „Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung“ bezeichnet, die „Jammer (eleos) und Schaudern (phobos) hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt“. Und um Reinigung geht es auch beim katholischen Sakrament der Beichte, mit dem kleinen Unterschied, dass es sich dabei – anders als im Kino – nicht um ein kollektives Massenerlebnis handelt, sondern um einen höchst privaten Akt zwischen Mensch und Gott, denn auch der Beichte-hörende Priester, vor dem der Einzelne seine Beichte ablegt, vertritt schließlich Gott und spricht in Gottes Namen die Vergebung zu. Was etwas völlig anderes ist als eine psychologische Reinigung mithilfe der Leinwand oder des Flachbildschirms.
Dennoch hat Regisseure und Drehbuchautoren neben Taufen und Hochzeiten gerade das Sakrament der Beichte immer wieder als dramaturgischer Kniff interessiert. Zumal wenn sie, wie der Katholik Alfred Hitchcock, eine Faible für „moralische Schocks“ hatten. So gab der berühmte britische Regisseur („Psycho“, „Die Vögel“) einmal gegenüber Journalisten zu, dass es ihm bei seinen Filmen darum gehe, das Publikum aus der „Erstarrung zu lösen“ und das „moralische Gleichgewicht wiederherzustellen“. In Hitchcocks amerikanischem Film „I confess“ (Ich beichte) aus dem Jahre 1953 dreht sich sogar die ganze Filmhandlung um das Beichtsakrament und die Rolle des Priesters, der Mitwisser eines Verbrechens geworden ist, aber aufgrund des Beichtgeheimnisses „Zum Schweigen verurteilt“ ist, um den deutschen Filmtitel zu zitieren.
Dabei spielt Hitchcock, der sich beim Schreiben des Drehbuchs von einem französischen Theaterstück inspirieren ließ, in geschickter Weise mit dem für ihn so typischen Motiv des ausgetauschten Mords: Ein deutscher Einwanderer, Otto Keller (O.E. Hasse), Küster in einer Kirche in Kanada, hat den Anwalt Vilette getötet, als der ihn bei einem Diebstahl überraschte. Nach der Tat beichtet Keller Pater Michael W. Logan (Montgomery Clift). Da Keller sich am Abend des Mordes mit einem Talar verkleidet hatte, richtet sich der Verdacht auf Pater Logan, der kein Alibi besitzt. Wichtig außerdem: Pater Logan wurde von Vilette erpresst, der von einem Liebesabenteuer Logans aus der Zeit vor seiner Priesterweihe wusste – und so gesehen ein echtes Tatmotiv besessen haben könnte. Gebunden durch das Beichtgeheimnis, lässt Pater Logan sich ohne Widerstand verdächtigen. Er wird angeklagt, eingesperrt und vor Gericht gestellt, sagt aber nichts. Nur aus Mangel an Beweisen wird später Pater Logan freigesprochen, die Menge aber ergreift gegen den Priester Partei. Die Wahrheit und der Mörder werden erst offenbar, als Kellers Frau sich gegen ihren Mann stellt. Als dieser zu fliehen versucht, schießt ihn die Polizei nieder. Bevor Keller stirbt, spendet ihm Pater Logan die Sterbesakramente.
Im Gespräch mit dem französischen Regisseur Francois Truffaut („Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“) hat Hitchcock mit Blick auf diesen Film in theologisch provozierender Weise unterstrichen, dass „jeder Priester, dem irgendein Mörder beichtet, (…) damit zum Hehler“ werde. Was für den an allen Arten von Schuld dramaturgisch interessierten Regisseur natürlich eine reizvolle Ambivalenz war. Irreführend – besonders für die Nicht-Katholiken im Publikum – sei jedoch, so Hitchcock, die im Handlungsverlauf des Films „I confess“ angelegte Erwartungshaltung, der Priester müsse irgendwann an den Punkt kommen, wo er das Beichtgeheimnis verrate. Hier sei ihm selbst ein Konstruktionsfehler, ein Fehler in der Konzeption des Films unterlaufen, gab Hitchcock zu, während der bewusste Versuch des Mörders, den unschuldigen Priester zu belasten, stärker noch als der Mord, den Einfall des Bösen, des Satanischen markiere. „Bis dahin handelt er in gutem Glauben.“
30 Jahre nach Hitchcocks Beichtfilm war es eine andere amerikanische Filmproduktion, die das Thema Beichte auf spannende und subtile Weise behandelte: Ulu Grosbards „True Confessions“ (Deutscher Titel: Gefährliche Beichte oder Fesseln der Macht), in dem Robert De Niro den katholischen Priester Des Spellacy spielt, der im Los Angeles der 1940er Jahre für die Kirche im Immobiliengeschäft tätig ist und zusammen mit seinem Bruder Thomas Spellacy (Robert Duvall) und einem katholischen Unternehmer in die Aufklärung eines Kriminalfalls verwickelt wird: Eine Frau ist ermordet worden. In diesem Film wirkt die Beichte zwar auch als Schweigemittel, doch stärker als bei Hitchcock scheint sie völlig ihrer sakralen Dimension beraubt zu sein, da Des Spellacy nicht nur seinem nicht völlig im Einklang mit dem Gesetz agierenden Bruder durch die Beichte Erleichterung verschafft, auch er selbst wählt mit dem kritischen Monsignore Seamus Fargo ganz bewusst einen Beichtvater aus, der ihm kirchen- und finanzpolitisch nicht gefährlich werden soll und später – im Einverständnis mit dem Kardinal, zu dem Des Spellacy einen kurzen Draht hat – zum „Wohl der Kirche“ versetzt wird.
So korrumpiert wie die Kirche scheint in „Fesseln der Macht“ auch die Ausübung und Spendung des Beichtsakraments zu sein. Ein dunkler, trügerischer Eindruck, der durch die Schlusspointe, dass ausgerechnet der mutmaßliche Täter zum „katholischen Laien des Jahres“ gekürt worden ist, sogar noch verstärkt wird.
Im Zwielicht von traditionellem Glauben und gewohnheitsmäßiger Kriminalität hat das Beicht-Sakrament auch in Francis Ford Coppolas berühmter Mafia-Trilogie „The Godfather“ (Der Pate) einen Platz. Im dritten Teil ist es der von Al Pacino gespielte Don Michael Corleone, der im fortgeschrittenen Alter die Zeit für gekommen hält, gegenüber Kardinal Lamberto, dem späteren (fiktiven) Papst, eine Art Lebensbeichte abzulegen, bei der auch die von ihm angeordnete, lang zurückliegende Ermordung seines Bruders nicht ausgelassen wird. Schon bald darauf wird Lamberto als Papst vergiftet, und auch Corleone trachtet man nach dem Leben – nur knapp entgeht er einem Anschlag, um schließlich verbittert über sein Leben, aber doch sakramental versöhnt mit Gott zu sterben. Ein tiefgründiges Ende, das man auch als Werbespot für den regelmäßigen Beichtgang, am besten schon als junger Mensch, interpretieren kann. Denn: klebt erst einmal sehr viel Blut an den Händen, versagt Gott zwar nicht die Vergebung, doch der menschliche Preis, die Zerknirschung im Angesicht des von einem selbst angerichteten moralischen Scherbenhaufens, lässt sich nicht so leicht aus der Welt heben. Sie bleibt, trotz zugesagter Lossprechung und Erneuerung, als Ballaststoff für die Seele erhalten.
Wie natürlich auch die Übernahme von Ideologien dem Heil entgegensteht. Humoristisch dargestellt im Komödien-Klassiker „Don Camillo und Peppone“, bei dem die Beichte als unterhaltsames Gewissenselement auch einen festen Platz hat. Wer erinnert sich nicht an die Szene des ersten Films aus dem Jahr 1952, in dem der kommunistische Bürgermeister zu Don Camillo geht, um zu beichten? Wie schnell deutlich wird, haben beide etwas auf dem Kerbholz: Peppone, der Camillo nachts verprügelt, und Don Camillo, der Peppone öffentlich als Esel bezeichnet hat. Schließlich verwandelt sich das Beichtgespräch immer mehr in einen Geschäftsdeal, bei dem Don Camillo die Absolution mit einem gekonnten Fußtritt verbindet.
Ruppige Methoden, die in modernen Spielfilmen und Krimiserien, die mit dem Motiv der Beichte spielen, keinen Platz haben. So hat der Jesuitenpater und Medienprofi Eckhard Bieger nicht nur auf die hohe Dichte von Krimis im deutschen Fernsehen hingewiesen (gerade am Wochenende, der Zeit also, wo Katholiken früher ihren „Seelenhaushalt“ in der Beichte zum Aufräumen brachten), auch die dramaturgische Funktion der Beichte in Filmen habe sich, so Bieger, verändert. „Es wird meist nicht gezeigt, wie ein Verbrecher sich durch die Beichte entlastet und sein Todesurteil in Ruhe akzeptieren kann, sondern der Verbrecher sitzt im Beichtstuhl und beichtet nicht, sondern erzählt, was er vorhat.“ Wohinter Bieger eine ziemlich perfide Kommunikationsbotschaft vermutet: „Wenn der Priester jetzt nicht an das Beichtgeheimnis gebunden wäre, könnte er einen Mord verhindern. Er hält sich aber an das Gebot und opfert damit ein unschuldiges Leben. Es ist die katholische Kirche, die hier Beihilfe zum Mord leistet, weil sie unbedingt an ihren antiquierten Vorstellungen festhält.“ Sprich: Der Film oder die Fernseh-Serie, der Krimi, wird nicht zum Unterhaltungs- und Spannungsvergnügen, sondern zum Medium für anschwärzende Propaganda.
Eine ungehörige Instrumentalisierung eines Sakraments, die für einen gläubigen Thriller-Experten wie Hitchcock undenkbar gewesen wäre, ging es ihm doch, wie wir gesehen haben, um eine cineastische Seelenanalyse des Menschen an sich. Um die Bestimmung von Gut und Böse in jeder menschlichen Handlung und Regung. Der Regisseur sozusagen als seelsorgerlicher Assistent des Beichtvaters – davon sind wir heute sehr weit entfernt, obwohl natürlich auch in den Filmen moderner Regisseure wie Lars von Trier („Antichrist“, „Breaking the waves“), Steven Soderbergh („Sex, Lügen und Video“), Tom Tykwer („Heaven“) oder Aki Kaurismäki („Der Mann ohne Vergangenheit“) Situationen entstehen, die einen beicht-ähnlichen Charakter besitzen. Auch wenn dort nicht immer eine Priesterfigur anwesend ist. Die Protagonisten beichten ihre Affären und Lügen untereinander, was zu manchmal mehr, manchmal weniger versöhnlichen Ergebnissen auf der menschlichen Ebene führt.
Doch auch bei den Altmeistern des europäischen Kinos, wie etwa in den Filmen von Federico Fellini, deren religiöse Erziehung oft prägend für ihre Filme war, taucht das Sakrament der Beichte eher als folkloristisches Element, wenn nicht gar als Slapstick-Element auf, um die Macht der Verführung, besonders auf dem Gebiet der Erotik, zu demonstrieren. So in dem an autobiographischen Reminiszenzen reichen Film-Klassiker „Amarcord“ (1973), in welchem der jugendliche Held namens Titta trotz Beichte seine libidonösen Nöte nur unzureichend in den Griff bekommt.
Eine Not, die in ähnlicher Form auch der jugendliche Protagonist Julien in Louis Malles Internatsfilm „Au revoir les enfants“ (Auf Wiedersehen, Kinder) von 1987 durchmacht. Da Julien Priester werden möchte, befolgt er die ihm auferlegten Bußübungen mit großem Ernst. Ohne zu ahnen, dass sein Beichtvater versucht, ihn von seiner fehlenden Berufung zu überzeugen.
Bleibt die Option der Pseudo-Beichte in unzähligen Woody Allen-Filmen. Wenn die Protagonisten zum Therapeuten gehen, um dort Heil und Gesundheit zu finden, bleiben sie aber in einem rein psychologischen Kontext. Ein Grund, weshalb Allens neurotische Gestalten – trotz aller dramaturgischen Raffinesse und spitzfindig-komischer Dialoge – nie zur wahren, religiösen Befreiung durchstoßen. Die hingegen findet in Mel Gibsons Filmmeisterwerk „Die Passion Christi“ der reumütige Schächer Dismas zur Rechten Christi, während der freche Schächer Gismas zur Linken des Herrn vom Regisseur als Kind der Hölle und des Teufels gezeigt wird.
Hier wird mit wenigen Szenen und Worten deutlich, was die Beichte im Leben und im Film, quer durch alle Zeiten und Genres bedeutet: Derjenige, der seine Sünden bekennt, darf auf das Ewige Leben hoffen. Metanoia ist möglich. Zumal Jesus selbst für diejenigen, die spät kommen, spät bereuen, immer noch Freikarten für die himmlischen Filmfestspiele bereithält. Vergebung und Lossprechung machen es möglich.
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