Dystopie

Apple TV-Serie „Severance“: Wenn ein Chip das Bewusstsein spaltet

Die in naher Zukunft spielende Apple TV-Serie „Severance“ will Arbeit und Privatleben trennen. Sie zeichnet sich durch eine besondere farbliche Ästhetik und Bildsprache aus.
Filmszene aus Apple TV-Serie „Severance“
Foto: Apple TV+

Der Anglizismus „Work-Life-Balance“, mit dem Berater und Buchautoren gutes Geld verdienen, ist seit Jahren in aller Munde. Beim „perfekten Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben“ geht es im Grunde um die klassische Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Familie oder allgemeiner zwischen der Arbeitswelt und dem Privatleben. Typische Aussage dieser Theorie: Beruflicher Erfolg und Fähigkeit zu beruflichen Topleistungen basierten auf einem erfüllten Privatleben.

Einen ganz anderen, radikalen Ansatz verfolgt die Apple-TV-Originalserie „Severance“, die als Verknüpfung von Science-Fiction, Thriller und Kritik an einer entmenschlichten Arbeitswelt bezeichnet werden kann: In naher Zukunft hat das geheimnisvolle Unternehmen „Lumon“, das an einem ungenannten kalten Ort – der Schnee ist allgegenwärtig – in den Vereinigten Staaten ansässig ist, eine hochwirksame Technologie entwickelt.

„Genauso ausgesucht wie die Farben sind ebenfalls die Bildausschnitte,
die zusammen mit den Kamerafahrten und unterlegt mit elektronischen Klängen
teils eine klaustrophobische Stimmung erzeugen“

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Ein  Chip unter der Haut

Durch das Einsetzen einer Kapsel mit einem Chip im Gehirn wird die perfekte Trennung zwischen Arbeit und Privatleben erreicht: Sobald jeder der vier Mitarbeiter der Lumon-Abteilung „Datenveredelung“ in den Firmenaufzug steigt, deaktiviert der Chip das äußere/persönliche Bewusstsein und aktiviert das innere/arbeitsbezogene Bewusstsein. Die „Innies“ – die Arbeitnehmer in der Firma – wissen nicht einmal, wer sie als „Outies“ außerhalb sind, ob sie beispielsweise verheiratet sind oder wo sie wohnen.

Von der eigentlichen Arbeit, die in dieser Abteilung geleistet wird, ist so gut wie nichts zu sehen: Es geht darum, Zahlen auf einem Bildschirm auszuwählen. Es scheint, dass nicht einmal die vier Teammitglieder wissen, was ihre Arbeit eigentlich bewirkt, und dass sie sich auch nicht darum scheren ... bis die erste Frau, Helly (Britt Lower), ins Team kommt: Vom ersten Moment an ist ihr einziges Ziel, aus dem Unternehmen auszuscheiden, in dem sie sich gefangen fühlt. Dazu passt, dass der Ausdruck „severance“, der laut Oxford Dictionary aus dem lateinischen „separare“ stammt und deshalb mit „Trennung“ übersetzt werden könnte, in der Apple-Serie ausdrücklich für die Trennung zwischen privaten und beruflichen Erinnerungen beziehungsweise dem privaten und beruflichem Bewusstsein verwendet wird. Eigentlich definiert das Wörterbuch „severance“ jedoch als „Beendigung eines Arbeitsvertrags“ (oder allgemein einer Beziehung). Womit der Serientitel mit seiner zweideutigen Bedeutung spielt.

Eine satirisch überspitzte Kritik oder doch Denkanstoß?

 

 

Zu Beginn wird Mark Scout (Adam Scott) zum Abteilungsleiter berufen, nachdem – aus unbekannten Gründen – sein bester Freund und bisheriger Vorgesetzter Petey (Jul Vazquez) aufgehört hat. Mark unterzog sich der „Bewusstseinstrennung“ freiwillig, nachdem seine Frau bei einem Unfall starb. Der dicklich und deshalb gemütlich wirkende Dylan G. (Zach Cherry) ist darauf aus, immer wieder Arbeitsrekorde aufzustellen. Irving B. (John Turturro) wird als Inbegriff des pedantischen Bürokrats dargestellt, der das Handbuch mit den Unternehmensrichtlinien bestens auswendig kann.

Selbstverständlich kann „Severance“ als eine satirisch überspitzte Kritik an einer entmenschlichen Arbeitswelt verstanden werden, in der Arbeitgeber rücksichtlos ihre Arbeitnehmer ausnutzen. Oder aber auch als Denkanstoß über die Bedeutung der Arbeit insgesamt.

Bemerkenswert an der vom bekannten Schauspieler Ben Stiller produzierten und von Dan Erikson entwickelten Serie ist insbesondere aber deren Ästhetik. Im dystopischen Genre – und dazu gehört zweifelsohne „Severance“ – spielt das Produktionsdesign eine entscheidende Rolle. Und das ist hier bis ins kleinste Detail durchdacht.

Klaustrophobisch, dystopisch - sehenswert

Es beginnt unmittelbar mit dem ersten Bild: Eine Frau, die sich später als Helly herausstellen wird, liegt auf einem langen Tisch mitten in einem kleinen Raum. Das in zwei verschiedenen Tönen gehaltene Blau von Pulli und Rock harmoniert mit dem Grün der Stühle sowie des Teppichs in seiner Mitte – zu allen Seiten hin wird der Teppich gelb. Diese warmen Farben kontrastieren mit dem Weiß der unendlichen, labyrinthischen Gängen der Etage sowie mit dem Raum, in dem die vier Abteilungsmitglieder arbeiten. Dieser Raum ist eigentlich viel zu groß für die vier Tische und Stühle, die aneinandergestellt in der Mitte des Raumes stehen. Der Teppich ist in demselben Grün gehalten wie im ersten Raum, aber das Neonlicht gibt ihm eine kalte Tönung. Genauso ausgesucht wie die Farben sind ebenfalls die Bildausschnitte, die zusammen mit den Kamerafahrten und unterlegt mit elektronischen Klängen teils eine klaustrophobische Stimmung erzeugen.

Paradox nimmt sich allerdings die Gleichzeitigkeit von sperrigen Computern mit kleinen Bildschirmen, wie sie für die neunziger Jahre typisch waren, mit modernen Smartphones und den futuristischen Chips, die ins Gehirn implantiert werden, aus. Das macht „Severance“ zu einer Serie mit ausgeprägter Originalität auf der filmästhetischen Ebene.


„Severance“. Autoren: Dan Erikson, Ben Stiller. USA 2022,
9-teilige Serie mit insgesamt 495 Minuten. Auf Apple TV+.

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