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„München – Im Angesicht des Krieges“: Krieg sollte verhindert werden

Geglückte Verbindung der Weltgeschichte mit einer kleinen Geschichte über Freundschaft und Verantwortung: „München – Im Angesicht des Krieges“.
Filmszene aus "München – Im Angesicht des Krieges“
Foto: Netflix /Frederic Batier

Basierend auf dem Polit-Thriller „München“ („Munich“, 2017) von Robert Harris handelt der Netflix-Originalfilm „München – Im Angesicht des Krieges“ („Munich – Edge of War“) von der Vier-Mächte-Konferenz 1938: In der Nacht vom 29. auf den 30. September 1938 unterzeichneten in München Adolf Hitler, Neville Chamberlain, Édouard Daladier und Benito Mussolini das „Münchner Abkommen“, mit dem die sogenannte Sudeten-Krise beendet wurde. Dadurch, dass die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei an das Reich vereinbart wurde, meinten Großbritannien (Chamberlain) und Frankreich (Daladier), Hitler würde keine weiteren Gebietsansprüche stellen; die Kriegsgefahr sei gebannt. Elf Monate später stellte sich dies als Trugschluss heraus.

„Gepaart mit einem detailverliebten Produktionsdesign in der Ausstattung und den Kostümen
trägt die Kameraführung zur Authentizität bei,
beispielsweise in den Kamerafahrten am Berliner Gendarmenmarkt
oder durch die Münchner Straßen, auf denen Hugh Paul zu einer geheimen Verabredung folgt“

Harris wendet einen zwar bekannten, aber nichtsdestoweniger wirkungsvollen Kunstgriff an: Er erzählt historische Ereignisse aus der Sicht „einfacher Leute“, beziehungsweise verknüpft die „große“ Weltgeschichte mit der persönlichen Geschichte einiger Gestalten aus der zweiten oder dritten Reihe. Im Spielfilm „Thirteen Days“ (2000) beispielsweise erzählte Roger Donaldson die „Kubakrise“ 1962 aus der Sicht eines von Kevin Costner dargestellten politischen Beraters John F. Kennedys. Damit wird Spannung erzeugt, obwohl der Ausgang der Geschichte bekannt ist.

Der besondere Clou in Harris' „München“ besteht aber darin, dass er die Ereignisse aus einer doppelten, aus der englischen und der deutschen Perspektive, schildert. Dazu erfand er zwei junge Diplomaten, die jeweils in der unmittelbaren Nähe der Regierungschefs arbeiten.

In der Filmadaption bleibt diese doppelte Perspektive erhalten: Das Drehbuch stammt vom Briten Ben Power, Regie führt der Deutsche Christian Schwochow. Die Schauspieler stammen ebenfalls aus beiden Ländern.

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Gemeinsames Studium in Oxford

In einer Art Prolog feiern 1932 die Deutschen Paul von Hartmann (Jannis Niewöhner) und Lena (Liv Lisa Fries) gemeinsam mit dem Briten Hugh Legat (George MacKay) in einer rauschenden Party den Studienabschluss in Oxford. Paul schwärmt vom neuen Deutschland, das bald kommen soll.

Sechs Jahre später ist Hugh zum persönlichen Sekretär des Premiers Neville Chamberlain (Jeremy Irons) in der Londoner Downing Street 10 aufgestiegen. In London bestimmen Kriegsvorkehrungen einschließlich Gasmasken das Stadtbild. Hughs aufreibende Arbeit stellt seine Ehe vor eine schwere Prüfung. Paul wiederum arbeitet im Berliner Reichsaußenministerium. Die Begeisterung, die er 1932 für Hitlers Pläne eines erstarkenden Deutschlands zeigte, ist der Ernüchterung und Abscheu über dessen Ziele gewichen. Inzwischen verkehrt er mit einigen Oppositionellen aus dem Heer und der Verwaltung.

Der bevorstehende Überfall auf die Tschechoslowakei soll der Startschuss für „die Generäle“ werden, die einen Putsch gegen den Diktator planen. Als Übersetzer der ausländischen Presse erhält Paul sogar einen direkten Zugang zu Adolf Hitler (Ulrich Matthes).

Karrieren in den jeweiligen Regierungsapparaten

Den entscheidenden Antrieb bekommt die Handlung, als Paul ein Besprechungsprotokoll zugespielt wird, das Hitlers Kriegspläne detailliert aufführt. Nun wird „München – Im Angesicht des Krieges“ zu einem packenden Spionagethriller, denn Paul muss alle Hebel in Bewegung setzen, damit sein einstiger Freund Hugh auf der einen und er selbst auf der anderen Seite zur jeweiligen Delegation gehören und sich bei der Konferenz im Münchner Führerbau begegnen – denn Paul ist davon überzeugt, dass nur so Chamberlain das Dokument bekommen kann.

Drehbuchautor Ben Power und Regisseur Christian Schwochow gelingt es, dem Zuschauer die Lage im Jahre 1938 nahezubringen. Denn weder für die meisten Deutschen noch für das Ausland war es zu dem damaligen Zeitpunkt gerade einfach zu erkennen, wohin das Naziregime steuerte – daher die aus heutiger Sicht naive Appeasement-Politik eines Chamberlain. Regisseur Schwochow und Darsteller Jeremy Irons unterstreichen dies mit der kindlichen Freude, mit der der britische Premier das geheime Abkommen mit Hitler nach seiner Rückkehr in London der Presse und der wartenden Menge zeigt.

 

Der fanatische Blick Hitlers lässt erschauern

Dank der Handkamera von Frank Lamm nimmt der Film manchmal dokumentarischen Charakter an. Gepaart mit einem detailverliebten Produktionsdesign in der Ausstattung und den Kostümen trägt die Kameraführung zur Authentizität bei, beispielsweise in den Kamerafahrten am Berliner Gendarmenmarkt oder durch die Münchner Straßen, auf denen Hugh Paul zu einer geheimen Verabredung folgt.

Als gewissen Schwachpunkt in Schwochows Film muss Ulrich Matthes' Hitler-Darstellung bezeichnet werden, die manchmal karikaturhaft wirkt, obwohl der fanatische Blick, mit dem er zu Paul wiederholt sagt: „Ich kann Menschen lesen“, schon erschaudern lassen kann.

Dennoch: Die exzellenten Schauspieler und die geschickte Verknüpfung der Welt- mit der persönlichen Geschichte machen einen Großteil der Spannung aus und aus „München – Im Angesicht des Krieges“ einen Film über Freundschaft und persönliche Verantwortung.


„München – Im Angesicht des Krieges“. Regie: Christian Schwochow.
Großbritannien 2021, 130 Minuten, auf Netflix

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