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„Gott allein genügt“

Mehr als abgehobene Gespräche: Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz.
Statue der Heiligen Teresa von Avila
Foto: iofoto via imago-images.de (www.imago-images.de) | Teresa und Johannes glaubten: Die innere Welt des Menschen muss beschützt werden vor den Gefahren der Oberflächlichkeit. Das Wesen will wesentlich werden.

Teresa von Avila (1515-1582) ist nicht nur eine große Nationalheilige. Als Dichterin schuf sie die moderne spanische Sprache, als Mystikerin fand sie Worte für die Erfahrungen von Gottes Gegenwart. Deshalb ernannte sie Johannes Paul II. zur Schutzpatronin der Dichter (1993). Die Enkeltochter eines konvertierten Juden („reconciliación“) war eine große Menschenkennerin und als Reformerin ihres Ordens eine tatkräftige Frau. Sanfte Entschiedenheit, Beharrlichkeit und Humor kennzeichnen ihr gewinnendes Wesen. Die Stadt ihrer Geburt liegt auf 1 128 Metern Höhe in der Mitte Altkastiliens. Vögel umkreisen ihre dicken Mauern wie die Dichterin mit ihren Worten die Gottesburg.

Reformbestrebungen mit Tendenz zur Auflösung der Ordnung

Wie Avila überragt die erste Kirchenlehrerin eine Zeit des großen Umbruchs, in die sie geboren wurde. 1526 wurde Ungarn von den Muslimen erobert, 1529 standen die Türken vor Wien. Die Reformation spaltete die Christenheit. Mit zwanzig Jahren hatte Teresa den Schleier genommen. Nach einiger Zeit wurde sie an Leib und Seele krank. Eine tiefe Lähmung hatte sie ergriffen. In ihr bildete sich das Bewusstsein ihrer Sendung aus, das in der Herzverwundung („Transverberation“) sichtbaren Ausdruck fand. Was Giovanni Lorenzo Bernini mit seiner weltbekannten Skulptur aus weißem Carraramarmor meißelte, beschreibt die Heilige in ihrer Autobiographie so: „Als der Engel mich verließ, war ich ganz entzündet von feuriger Liebe zu Gott.“

Von dieser Liebe durchdrungen war auch Johannes vom Kreuz (1542-1591). Wie Teresa war dieser „doctor mysticus“ davon überzeugt, dass eine echte Reform nur  als radikale Besinnung auf den Ursprung gelingen kann. Heute zeigen Reformbestrebungen eine Tendenz zur Auflösung der überlieferten Ordnung. Das geniale spanische Paar verstand unter Reform eine Verschärfung der Regeln – nicht aus Traditionalismus, sondern aus der tiefen Erfahrung, dass geistliches und sittliches Leben einer festen und verlässlichen Form bedürfen. Traditionalismus ist Erstarrung. Tradition dagegen ein lebendiger Prozess der immer wieder neuen Aneignung jener Schätze des Glaubens, die der Kirche zur Überlieferung bis ans Ende der Zeit anvertraut sind. Reformen werden aber nicht von synodalen Gremien erfunden und mit Mehrheitsbeschlüssen durchgesetzt. Wenn die Zeit reif ist, erscheint die große Persönlichkeit. Dann wendet sich das Blatt. Die Heiligen zeigen, dass Gott zu allen Zeiten in die Geschichte eingegriffen hat. Daran wird sich gewiss in Zukunft nichts ändern.

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Im Sommer 1567 hatten sich Teresa und Johannes im Karmel von Avila kennengelernt. Die strenge Klausur forderte auch für das geistliche Gespräch der verwandten Seelen ein trennendes eisernes Gitter. Doch durchdringt der Geist nicht nur Raum und Zeit, er verwandelt auch den Körper und gibt ihm jene schwebende Leichtigkeit, die von einigen Heiligen bezeugt ist. Es besteht nicht der geringste Anlass, jene Berichte zu bezweifeln, nach denen Johannes vom Kreuz während dieser Gespräche zuweilen die Levitation erlebte. Gerade durch diese Erfahrung wusste er, dass der geistliche Mensch auch der „Erdung“ bedarf, um nicht „abzuheben“. Allzu viel Euphorie und Aufbruchsjubel in der Kirche führt nur zu überspannten Erwartungen und zur Katerstimmung.

Ein Prozess der Umformung in Gott

Die innere Welt des Menschen, so glaubten Teresa und Johannes, bedürfe des Schutzes vor den Gefahren der Zerstreuung und Oberflächlichkeit. Denn das Wesen will wesentlich werden. Die wahrhaft Suchenden wissen, dass der Weg ins Wesentliche mühsam ist, Disziplin erfordert und viel Geduld. Geduld aber ist Gnade. In den Widerständen des Lebens wächst sie. Die Ordensreform hatte außerordentlichen Erfolg, aber auch viele Gegner. Der um viele Jahre jüngere Johannes vom Kreuz wurde für einen ganzen Winter in einem dunklen Verließ bei Wasser und Brot gefangen gehalten. In dieser Einsamkeit zerbricht der Mensch – wie Edzard Schaper in seinen Romanen gezeigt hat – oder er dringt in die letzten Tiefen vor. Johannes vom Kreuz entdeckte im Kerker seine Berufung als christlicher Dichter. Wie später die Gefangenen in den Schinderstätten der Diktatoren, besaß er kein Schreibmaterial. So lernte er im Kerker von Toledo (1577/78) seine von der Brautmystik des Hohenliedes inspirierten Verse des geistlichen Gesangs („Cántico espiritual“) auswendig. Sie beschreiben eine innere Erfahrung, die im radikalen Kontrast zur äußeren Lage steht. Damit sprengen sie die Kerkermauern von Toledo und führen zur Freiheit des Glaubens.

„Genießen wir uns, Geliebter,
und machen wir uns auf, uns in deiner Schönheit zu sehen
auf dem Berg oder der Anhöhe,
wo das klare Wasser entspringt;
gehen wir tiefer in das Dickicht.“

Wann ist jemals so von Gott gesprochen worden? Die Verse aus dem Kerker wurden später auf Bitten der Schwestern kommentiert. Sie gehören heute zur Weltliteratur. Der Beichtvater und Spiritual der Schwestern von Avila war nicht der introvertierte Dichter neben der impulsiven und manchmal heißblütigen Teresa. Ulrich Dobhan OCD und Reinhard Körner OCD betonen die praktischen Fähigkeiten des Kirchenlehrers. Ordensreform geschah damals nicht in klimatisierten Räumen mit ausgewogener Vollwertkost und ausreichend Zeit für Rekreation. Johannes legte täglich gut 15 Kilometer zu Fuß zurück, um die zahlreichen Klostergründungen zu betreuen. Er betätigte sich neben den Gebetszeiten, der Seelsorge, der Ausbildung der Novizen auch als Handwerker und Baumeister. Das ganze Leben war für ihn ein Prozess der Umformung in Gott  („transformación en Dios“). Zu ihr gehört neben der Erfahrung der Levitation auch die „dunkle Nacht“ von Gethsemane mit ihrer schmerzlichen Erfahrung der scheinbaren Abwesenheit Gottes. Teresa und Johannes erinnern daran, dass die Kreuzerfahrung zur Substanz des Glaubens gehört. Unsere Zeit hat das Kreuz aus dem Blick verloren. Die Altäre sind vielerorts verhüllt.

Das Geheimnis des Leidens

Wer wünscht sich nicht eine Liebe ohne Leiden? Aber die Erfahrung auf dem Lebensweg spricht eine andere Sprache. Geduld und Demut sind in unser schnelllebigen Zeit mit ihren raschen und manchmal vorschnellen Lösungen nötiger denn je. Dass die Geduld alles erreicht („La paciencia todo lo alcanza“) ist der große Trost der berühmtesten Dichtung aus dem Karmel. Aus dem lateinischen Wort „patientia“ ist der deutsche „Patient“ abgeleitet. Doch nicht nur von den Patienten zu Hause oder in den Krankenhäusern wird Geduld gefordert. Die Geduld aus dem Glauben vertraut auf Gott, der zu seiner Zeit das böse Schicksal wenden wird. Dass der Weg der Geduld vielleicht zu den schwersten Übungen des Reifens gehört, haben beide Heiligen immer wieder persönlich erfahren.

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Liebe ist auch Leiden. Das ist das Geheimnis der Passion, das in jeder Familie und auf jedem Lebensweg einmal erfahrbar wird. Vor ihr verschließt Teresa von Avila die Augen nicht. Ihre berühmten Verse sind aus der Tiefe der Erfahrung von Liebe und Leiden gewonnen. Deshalb sind sie zeitlose Wahrheit:

„Nichts verwirre Dich,
nicht betrübe Dich.
Alles geht vorüber.
Gott ändert sich nicht.
Die Geduld erreicht alles.
Wer Gott hat, dem mangelt nichts.
Gott allein genügt.“

„Nada te turbe“ – Nichts verwirre Dich: Unter diesem Titel wurde ihr Gebet vertont und gehört heute zu den beliebtesten Liedern der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé.
Teresa von Avila war keine geduldige Frau. Die Geduld ist eine Gabe und kein Besitz. Niemand wusste dies besser als die Heilige. Deshalb ist ihr Gebet keine Feststellung eines Zustandes, sondern eine Fürbitte, die man nicht oft genug wiederholen kann, wenn das Herz gebrochen oder von den Pfeilen der Zwietracht getroffen wird. Erfahrungen aus dieser Tiefe der dunklen Nacht führen zu der Erkenntnis, dass nur Gott allein den Menschen ganz zu erfüllen vermag: „Sólo Dios basta“ – Gott allein genügt.

Literaturhinweis:
Die Werke des Johannes vom Kreuz sind in vollständiger Neuübertragung in vier Bänden bei Herder erschienen. Das Team unter der Leitung von Ulrich Dobhan OCD zeichnet auch verantwortlich für die Neuübersetzung der Werke und Briefe der Teresa von Avila im Herder Verlag.

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