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Ukrainische Katholiken berichten über Kriegsalltag

Ukrainische Katholiken berichten über den Alltag im Krieg und die Auswirkungen auf die Ökumene.
Gebet für die Ukraine
Foto: Adobe Stock | Auch die Kirche in der Ukraine ist im Ausnahmezustand.

Alles ist anders seit dem 24. Februar. Putins Truppen haben die Ukraine angegriffen und überziehen das Nachbarland flächendeckend mit Krieg. "(Noch mehr) Krieg in der Ukraine? Alltag im Krisenmodus"   unter diesem Titel hatte die Katholische Akademie Berlin just am Tag eins des Krieges zu einem Online-Gespräch mit ukrainischen Experten aus Kirche und Medien eingeladen.

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Kein Fragezeichen

Doch der Titel passt nicht mehr. Das Fragezeichen ist zu einem dicken Ausrufezeichen geworden, und von "Alltag" kann seit acht Tagen keine Rede mehr sein. "Wir hätten den Titel heute nicht mehr so gewählt", unterstreicht daher die stellvertretende Akademieleiterin Maria-Luise Schneider zu Beginn der Veranstaltung   und stimmt die gut 360 Teilnehmer zugleich darauf ein, dass der Verlauf des Gesprächs "nicht ganz glatt und wie geplant" ablaufen könnte   die Gesprächspartner müssten "buchstäblich wählen, ob sie im Luftschutzkeller sein wollen oder mit uns sprechen".

Als die Gesprächsteilnehmer auf dem Bildschirm erscheinen, wird dieser Hinweis besonders bei Pfarrer Ivan Sokhan deutlich. Der Priester, der zur mit Rom unierten griechisch-katholischen Kirche der Ukraine gehört und auch einige Zeit in Deutschland gewirkt hat, wird aus dem fahrenden Auto heraus zugeschaltet. Mit seiner Frau will er aus Kiew zu den Eltern nach Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine fliehen. Doch in drei Stunden, so erzählt er, sind die beiden gerade zehn Kilometer weit gekommen  so lange sind die Staus auf den Straßen, die aus der Hauptstadt hinausführen.

Immer wieder müssten die Autofahrer zudem Spuren für Krankenwagen und Armeefahrzeuge freihalten, erzählt der Priester. Auch die Läden und Apotheken seien voll mit Menschen, die sich mit Vorräten eindecken wollen, berichtet er von der aktuellen Lage in Kiew. Überall in der Stadt seien Sirenen zu hören, und auch in der Kamera, die er auf dem Armaturenbrett seines Autos positioniert hat, taucht plötzlich ein Polizeiwagen auf. Seit diesem Morgen herrscht Ausnahmezustand im Land.

Krieg in Europa

"Wir haben Krieg in der Ukraine, mitten in Europa", betont auch die Moderatorin des Online-Gesprächs, Gemma Pörzgen. Die freie Journalistin mit Osteuropa-Schwerpunkt und Chefredakteurin der Zeitschrift "Ost-West. Europäische Perspektiven" erinnert daran, dass dieser Zustand schon seit nunmehr acht Jahren in der Ukraine Realität ist. Viele hätten das übersehen, aber jetzt sei die Lage so stark eskaliert, dass wir das nicht mehr übersehen könnten   und dürften, so die Journalistin. Das ist auch für die Caritas im Land eine besondere Herausforderung, berichtet Tetiana Stawnychy, Präsidentin der Caritas Ukraina.

Nur kurz wird sie aus Lwiw (Lemberg) zugeschaltet, dann verlässt sie die Gesprächsrunde wieder. Für sie ist dieser ereignisreiche Tag noch lange nicht beendet. Als sie heute Morgen die Sirenen gehört und einen Anruf erhalten habe, dass Russland angreife, habe sie ihre ganzen Habseligkeiten zusammengepackt, erzählt sie den zahlreichen Zuhörern, die im Live-Chat immer wieder ihre Solidarität mit der Kirche vor Ort bekunden. Erst habe sie gedacht, dass nur der Osten der Ukraine von den russischen Angriffen betroffen sei   bis sie erfahren habe, dass das ganze Land bombardiert werde. Für die Caritas ist das eine schwierige Situation   wie soll sie den Menschen vor Ort und insbesondere den jetzt zahlreich zu erwartenden Flüchtlingen helfen? Die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter stehe für sie an erster Stelle, macht Tetiana Stawnychy mehrfach deutlich.

Planspiele der Caritas

Bereits im Sommer letzten Jahres habe die Caritas einige Szenarien durchgespielt, doch die seien lokal begrenzt gewesen. Erst in den letzten Wochen sei klar geworden, dass viele Kriegsszenarien möglich seien. Derzeit erstrecken sich ihre Programme vor allem auf die Pufferzone im Osten der Ukraine   unter anderem ein Projekt zur Unterstützung von Schulkindern mit Unterstützung des deutschen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis. Aufgrund der aktuellen Lage im Land sind die Programme erstmal auf Eis gelegt   ihre Zukunft ist unklar. Jetzt wird es um Auffangzentren für Flüchtlinge gehen   erste Hilfe, Transportmöglichkeiten, Unterkünfte und vieles mehr. Eine gewisse Ratlosigkeit spricht aus ihren Äußerungen. Die Caritas will für die Menschen da sein, muss aber erst mit der neuen, unerwarteten Lage zurechtkommen.

Für die Kirchen verschärft der russische Angriff ohnehin eine heikle Situation: Denn die meisten Ukrainer gehören einer der beiden orthodoxen Kirchen an. Seit 2018 existiert die "Orthodoxe Kirche der Ukraine", die aus der Fusion der Ukrainisch-orthodoxen Kirche (Kiewer Patriarchat) und der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche entstanden ist. Sie gehörte zunächst zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel, 2019 wurde sie eigenständig.

Kyrill I. folgt Putin

Daneben gibt es die zahlenmäßig erheblich kleinere Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. untersteht, der sich in diesen Tagen einmal mehr als treuer Gefolgsmann Putins erwiesen hat. Nach wochenlangem Schweigen zum Ukraine-Konflikt lobte er den russischen Präsidenten und die "Bereitschaft zur Selbstaufopferung" des russischen Volkes. Sergii Bortnyk ist Professor an der Kiewer Theologischen Akademie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche und Mitarbeiter des Außenamtes der dem Moskauer Patriarchat unterstellten Kirche. Er sitzt in diesen Zeiten buchstäblich zwischen allen Stühlen. Ja, man gehöre zwar rechtlich zum Moskauer Patriarchat, sei aber mehr oder weniger unabhängig, beteuert er im Gespräch.

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Er betont, dass der "Allukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften", in dem auch beide orthodoxe sowie die griechisch-katholische Kirche vertreten sind, sich am Tag eins des Krieges unter anderem deutlich für die Einheit der Ukraine ausgesprochen sowie zur Verteidigung des Landes aufgerufen habe. Die Kontakte zur von Moskau unabhängigen Orthodoxen Kirche der Ukraine seien schwierig   aber jetzt im Angesicht des Krieges sieht er die konfessionellen Grenzen schwinden. "Wir müssen unser Land verteidigen   und das vereinigt uns trotz unserer Unterschiede", gab sich der Professor überzeugt.

Und Bortnyk ergänzt: "Russisch sprechen heißt nicht automatisch, russisch zu sein." Für viele Ukrainer sei Russisch die Muttersprache   das heiße aber nicht, dass sie automatisch auf der Seite des großen östlichen Nachbarn stehen. Auch in Moskau setze man beides gerne gleich,   allerdings zu Unrecht. Das unterstreicht auch der Journalist Denis Trubetskoy, der in Kiew als freier Journalist für deutschsprachige Medien arbeitet. So sei die Hauptstadt immer noch eine überwiegend russischsprachige Stadt, dennoch wechselten angesichts des Konflikts mit Russland viele Menschen jetzt gezielt ins Ukrainische.

Ruhig und entschlossen

Die Rolle der pro-russischen Kräfte im Land sei "marginal"   gerade jetzt. Vor 2014, als Russland Gebiete in den Provinzen Donezk und Luhansk besetzt hat, sei das noch anders gewesen. Auch die konfessionelle Teilung, so betont Sergii Bortnyk, sei oftmals kein Ausdruck einer nationalen Zugehörigkeit. Und der griechisch-katholische Pfarrer Ivan Sokhan ergänzt: Im Gottesdienst erlebe er eine "andere Atmosphäre" als in den Nachrichten. Die Menschen seien sehr ruhig und entschlossen. "Der Glaube hilft den Menschen sehr, diese Zeit zu überwinden", ist der Priester überzeugt.

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