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Warum schweigt der Papst?

Manche würden sich deutlichere Worte von Franziskus zum Angriffs-Krieg von Wladimir Putin wünschen. Johannes Paul II. agierte zu seiner Zeit ganz anders.
Begegnung auf Kuba
Foto: dpa | Papst Fransziskus folgt der Linie der gemeinsamen Erklärung mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill. Damals bedauerten beide die Auseinandersetzung in der Ukraine.

Spätestens bei der Generalaudienz vom vergangenen Mittwoch, knapp eine Woche nach dem Angriff Putins auf das Nachbarland Ukraine, hätte man sich von Papst Franziskus ein Wort zum Krieg in Europa gewünscht. Er sagte etwas, aber erst am Ende. Als ein Pater schließlich die Zusammenfassung der päpstlichen Katechese über die alten Menschen auch in polnischer Sprache vortrug, wandte sich Franziskus frei an das Auditorium, wies darauf hin, dass der Pater aus der Ukraine komme, seine Eltern in Kellern Schutz vor den Bomben suchten und man in Gedanken bei dem ganzen Volk sei, das unter den Bombardierungen leide. Und der Papst lobte die Polen, weil sie „die Herzen und die Türen ihrer Häuser für die Ukrainer öffnen, die vor dem Krieg fliehen“. Es dauerte etwas, bis die Medienleute des Vatikans diese frei gesprochenen Worte von Franziskus auch schriftlich in Umlauf brachten.

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Den Gewaltakt nicht verurteilt

Dass sich zurzeit vermutlich viele Menschen stärkere Aussagen des Papstes zum Ukraine-Krieg und Russland wünschten, räumte am Donnerstagabend der Malteser-Großkanzler Albrecht Freiherr von Boeselager bei einer römischen Veranstaltung ein. Boeselager, der als Großkanzler auch für die Außenbeziehungen des Ordens zuständig ist, fügte aber hinzu, dass solche Äußerungen des Papstes andere diplomatische Möglichkeiten negativ beeinflussen könnten. Und er vertraue auf die Diplomatie des Heiligen Stuhls. Allerdings war bisher den italienischen Medien nur zu entnehmen, dass der für die Beziehungen zu den Staaten zuständige Leiter der zweiten Sektion des Staatssekretariats, Erzbischof Paul Richard Gallagher, zu einem Gedankenaustausch über den Krieg mit dem italienischen Außenminister Luigi di Maio zusammengekommen sei. Zuvor hatte Papst Franziskus den in direkter Nähe des Vatikans residierenden russischen Botschafter beim Heiligen Stuhl zu einem halbstündigen Gespräch aufgesucht – und Franziskus hat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert. Dennoch fällt auf, dass der Papst den Gewaltakt Russlands gegenüber der Ukraine bisher nicht öffentlich erwähnt oder gar verurteilt hat.

Johannes Paul II. warnte vor einem Kreuzzug des Westens

Unvergessen sind in Rom die zahllosen diplomatischen und öffentlichen Interventionen von Johannes Paul II. zum Golfkrieg vor über dreißig Jahren. So wie der „Osservatore Romano“ im August 1990 mit klaren Worten den Einmarsch Saddam Husseins in Kuweit verurteilt hatte, so deutlich waren dann aber auch die darauf folgenden Warnungen Johannes Pauls II. vor einer umfassenden militärischen Intervention des Westens, die die muslimische Welt als neuen Kreuzzug der Christenheit missverstehen könnten. Der polnische Papst ließ damals Angelo Sodano, der noch das „Außenministerium“ des Staatssekretariats leitete (wie das heute Erzbischof Gallagher tut), den Politikern der westlichen Welt klar mitteilen, dass der Vatikan eine militärische Lösung des Kuweit-Konflikts ablehnt und die gesamte Lage im Mittleren Osten eine umfassende Verhandlungslösung brauche. Selber schrieb Johannes Paul II. Briefe an Saddam Hussein und Präsident George H. W. Bush und wurde dann am 12. Januar 1991 vor dem beim Vatikan akkreditierten Diplomatischen Corps ganz deutlich: Eine militärische Operation werde mörderische Konsequenzen haben, womit er – ohne es zu wissen – die Folgen des Irak-Kriegs für die beiden kommenden Jahrzehnte klar vorhersagte. Diplomaten des Vatikans gaben sich beim Papst die Klinke in die Hand, Johannes Paul II. nutzte seine Ansprachen beim Angelus und bei den Generalaudienzen, um seinen Friedensappellen Gehör zu verschaffen. Bis dann am 17. Januar das Bombardement auf Bagdad begann.

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Die Begegnung mit Kyrill 2016

Franziskus aber nennt den Angriffskrieg Putins nicht beim Namen. Er verurteilt Gewalt und sorgt sich um das Leiden der vom Krieg betroffenen Menschen, blendet aber aus, dass es im Fall der Ukraine einen Angreifer und einen Angegriffenen gibt. Er folgt der Linie der gemeinsamen Erklärung, die er mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill am 12. Februar 2016 auf dem Flughafen von Havanna in Kuba unterschrieben hat. Damals bedauerten beide „die Auseinandersetzung in der Ukraine, die bereits viele Opfer gefordert, unzählige Verwundungen bei den friedlichen Einwohnern verursacht und die Gesellschaft in eine schwere wirtschaftliche und humanitäre Krise geworfen hat“. Aber in der Erklärung, die der orthodoxe Patriarch und der Papst unterschrieben, war nur von „Konfliktparteien“ die Rede, die zur Besonnenheit gelangen sollten, und davon, dass „die Kirchenspaltung unter den orthodoxen Gläubigen in der Ukraine auf der Grundlage der bestehenden kanonischen Regelungen überwunden werden kann“. Davon, dass es mit Russland seit 2014 einen Aggressor gibt, und die Ukraine in ihrer territorialen Souveränität angegriffen wird, war bei der Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung selbstverständlich nicht die Rede.

Der schwache Draht nach Moskau

Bei dieser Linie ist Franziskus geblieben – auch jetzt, in der heißen Phase des Kriegs. Vergleicht man seine Interventionen mit denen von Johannes Paul II. zur Zeit der Kuweit-Krise und des Golf-Kriegs, fällt eine deutliche Zurückhaltung der päpstlichen Diplomatie auf. Vor allem verteidigt der Papst nicht die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Selbstbestimmung, der Freiheit und der Demokratie, um die es bei dem Konflikt Putins mit dem Westen geht. Man kann nur vermuten, dass sich Franziskus den Draht zu Patriarch Kyrill in Moskau warm halten will, um vielleicht über diesen Kanals  mäßigend auf Putin und den Kreml einzuwirken.

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