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Die Wiederentdeckung der brüderlichen Korrektur unter den Bischöfen

Brüderliche Korrektur unter Bischöfen erlebt eine neue Konjunktur. Eine alte Tradition der Kirche erwacht unter dem Eindruck eines deutschen Sonderweges zu neuem Leben. Bischöfe entdecken die Kollegialität neu.
II. Vatikanische Konzil hatte die Kollegialität der Bischöfe betont
Foto: Gerhard Rauchwetter (dpa) | Das II. Vatikanische Konzil hatte die Kollegialität der Bischöfe betont. Diese Kollegialität wird gerade neu entdeckt.

Im goldenen Zeitalter des katholischen Episkopats – den Tagen der großen Kirchenväter wie Cyprian von Karthago und Augustinus von Hippo in den frühen Jahrhunderten des ersten Jahrtausends – standen die Bischöfe nicht selten miteinander in Verbindung, um sich gegenseitig zu ermutigen, zu beraten und, falls notwendig, zu korrigieren. Die Praxis brüderlicher Zurechtweisung unter Bischöfe ist mit der Zeit verkümmert - nicht zuletzt in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Und das ist seltsam.

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Ein Kollegium der Bischöfe

Denn das Zweite Vatikanum hat gelehrt, dass die Bischöfe auf der Welt eine Körperschaft oder ein „Kollegium“ bilden, das sich mit und unter dem Bischöfe von Rom die volle Amtsbefugnis innerhalb der Kirche teilt. Irgendwie hat sich jedoch die Praxis der Bischöfe „Kollegialität“ allmählich dahin entwickelt, dass sie der ungeschriebenen Regel in Evelyn Waughs fiktivem Londoner Bellamy's Club ähnelt, derzufolge man ein anderes Mitglied einfach nicht kritisiert, ganz gleich wie verstörend, ja absonderlich sein Verhalten auch sein mag.

Was immer der mehrjährige „Synodale Weg“ des deutschen Katholizismus bislang sonst bewirkt haben mag - diese Dynamik hat er einschneidend verändert.

Die Bischöfe Polens und Skandinaviens haben jüngst Schreiben brüderlicher Sorge und Korrektur an den deutschen Episkopat gesandt und die Dekonstruktion beständiger Wahrheiten des katholischen Glaubens und der katholischen Praxis durch den deutschen Synodalen Weg hinterfragt. Am Dienstag der Karwoche hat dann eine Gruppe von mehr als siebzig englischsprachigen Bischöfe aus den Vereinigten Staaten, Kanada und Afrika das Schreiben „Ein brüderlicher Offener Brief an unsere deutschen Brüder im Bischofsamt“ veröffentlicht.

Glaubwürdigkeit unterminiert

Unter Hervorhebung, dass die sieben Punkte, auf die hingewiesen wird, nicht die einzigen Bedenken hinsichtlich der bisherigen Arbeiten des deutschen Synodalen Wegs darstellten, nennt der Brief der englischsprachigen Bischöfe gleichwohl die entscheidenden Punkte, in denen die deutsche Kirche in eine Richtung zu schlittern scheint, die man nur als Apostasie bezeichnen kann.

Erstens unterminiere der Synodale Weg die Glaubwürdigkeit der Schrift, die Lehrautorität der Kirche (einschließlich der von Papst Franziskus) sowie das katholische Verständnis der menschlichen Person, indem er es „versäume, auf den Heiligen Geist und das Evangelium zu hören“.

Zweitens würden die Dokumente und Diskussionen des Synodalen Wegs anscheinend eher von weltlichen Ideologien – einschließlich der Gendertheorie – beherrscht, statt sich an der Schrift und der Überlieferung auszurichten, die, wie die englischsprachigen Bischöfe ihren deutschen Mitbrüdern in Erinnerung rufen, das Zweite Vatikanum zu dem „einen […] heiligen Schatz des Wortes Gottes“ erklärt hat, der unabhängig von der allgemein vorherrschenden Kultur im Lauf der Zeit für die Kirche verbindlich ist.

Freiheit reduziert 

Drittens reduziere der Synodale Weg durchgehend Freiheit auf persönliche Autonomie – eine auf „I did it my way“ [Titel eines Liedes von Frank Sinatra mit der Bedeutung: „Ich habe es auf meine Art gemacht“; Anm. d. Übs.] verflachte Freiheit – und verwechsele Gewissen mit persönlichen Vorlieben. Doch bleibe, wie die englischsprachigen Bischöfe es ausdrücken, ein echtes christliches Gewissen „der Wahrheit über die menschliche Natur und den von Gott offenbarten und von der Kirche Christi gelehrten Normen rechtschaffenen Lebens“ unterworfen. „Es gibt keine Freiheit ohne Wahrheit“, schreiben sie, „und Jesus ist die Wahrheit, die uns frei macht“.

Viertens scheine den Dokumenten und Diskussionen des Synodalen Wegs jene Freude des Evangeliums zu fehlen, die Papst Franziskus als „wesentlich für das christliche Leben“ bezeichnet hat. Wie könne es eine ernsthafte kirchliche Erneuerung und Reform geben, so fragen die englischsprachigen Bischöfe, wenn nicht die Freude des neuen Lebens in Christus erwähnt werde? Sei eine verbitterte, auf sich selbst bezogene Kirche, die vom Blick auf echte und eingebildete Fehler besessen sei, in der Lage zu evangelisieren?

Fünftens stellen die englischsprachigen Bischöfe fest, dass der Synodale Weg eine elitäre Übung etablierter und „woker“ [Duden: „in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung“] kirchlicher Bürokraten sei. Doch wie könne die Kirche das neue Leben in Christus verkünden, wenn die gewaltige deutsche katholische Bürokratie „mehr Ehrerbietigkeit und größeren Gehorsam der Welt und Ideologien gegenüber zeigt, als gegenüber Jesus Christus, dem Herrn und Erlöser“?

Fixiert auf Macht

Sechstens signalisieren die englischsprachigen Bischöfe das Fixiertsein des Synodalen Wegs auf kirchliche „Macht“, als sei es von größerem dem Evangelium gemäßen Wert, in einem Kanzleibüro hinter einem Schreibtisch zu sitzen und anderen zu sagen, was zu tun ist, als sie durch persönliches Zeugnis für das Evangelium zu Christus oder zurück zu Christus zu führen.

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Und schließlich warnt der „Brüderliche Offene Brief“ davor, dass eine katholische Synodalität, die den Katholizismus auf eine weitere liberale protestantische Sekte reduziere, eine Ablenkung vom „notwendigen Gespräch der Kirche über die Erfüllung ihres Auftrags, die Welt zu bekehren und zu heiligen“, sei. Die englischsprachigen Bischöfe wissen, dass der christliche Auftrag heute tiefgehende katholische Reformen erfordert. Reform bedeutet jedoch nicht Dekonstruktion. Die Kirche hat eine ihr von Christus gegebene „Form“ und jede echte katholische Reform muss in Bezug auf diese Form stattfinden.

Abgrund der Apostasie

Ob der „Brüderliche Offene Brief“ und die entsprechenden Schreiben der polnischen und skandinavischen Bischöfe aufhalten können werden, was in Deutschland wie ein an die Schweineherde von Gadara erinnernder Absturz in den Abgrund der Apostasie aussieht, bleibt abzuwarten. Doch die unerschrockenen Bischöfe, die diesen Brief unterzeichneten, haben wesentliche Punkte für die Kirche der unmittelbaren Zukunft sowie für das nächste päpstliche Konklave bestimmt.

Und das ist ein Dienst für das Evangelium und die Sache Christi.


Übersetzung aus dem Englischen von Claudia Reimüller.

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